Transkript: Das Problem mit dem Klo – wie Feministinnen die Toilette neu erfinden

00:00:00 Prof.in Dr. Bettina Möllring: Also ich glaube, mein Wunsch wäre auch, dass es bei Installationen, die da eben verwendet werden, dass es da auch wirklich Diversität gibt.

Kristina Lunz: Und das ist eine Mammutaufgabe, und das ist eine Aufgabe, in der Feministen, Feministinnen, Menschen, die kapitalismuskritisch und antirassistisch sind, irgendwie seit Jahren versuchen umzustülpen. Wenn wir das nicht aufbrechen, dann schaffen wir auch keine Gerechtigkeit zwischen Ländern.

00:00:24 Musik

00:00:43 Susanne Klingner: Hallo und herzlich willkommen bei zeitgerecht, dem Podcast von Oxfam. Hier dreht sich alles um weltweite Ungleichheit und vor allem um Wege und Lösungen, wie sie sich verringern lässt.

Ich bin Susanne Klingner, und in den nächsten Folgen schauen wir uns die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern etwas genauer an. Dafür werden wir mit vielen interessanten Menschen sprechen. Mit ihnen gemeinsam suchen wir nach Ansätzen und Beispielen, wie wir mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern erreichen können. Und wir zeigen, dass das manchmal gar nicht so schwer ist, wie oft gedacht.

In unserer ersten Folge dreht sich alles um ein eigentlich ziemlich banales Örtchen: die Toilette. Dass das oft alles andere als banal ist und schon gar nicht gerecht, erfahren wir zum Beispiel von der Architektin Nuha Anoor Pabony. Sie erzählt uns, wie sie in einem der größten Geflüchtetencamps der Welt einfach mal die Frauen gefragt hat, wie so eine Toilette aussehen sollte.

Kristina Lunz, die das Centre for Feminist Foreign Policy gegründet hat, erklärt uns, warum unsere Gesellschaft immer noch extrem blind ist, wenn es um die Bedürfnisse verschiedener Geschlechter geht. Und natürlich darf auch Deutschlands führende Toilettenexpertin Bettina Möllring nicht fehlen.

00:01:53 Musik

00:02:01 Susanne Klingner: In unserer Welt profitieren einige Wenige von den Strukturen, in denen wir leben. Die Mehrheit aber wird durch diese Strukturen benachteiligt. Wer bevorteilt und wer benachteiligt ist, entscheidet sich anhand ganz unterschiedlicher Kriterien. Welchen Pass habe ich? Bin ich von Rassismus betroffen? Wie viel verdiene ich? Wie ist mein Zugang zu Bildung? Aber eben auch, welches Geschlecht habe ich?

Um zu ergründen, welche Auswirkung unser Geschlecht auf unser tägliches Leben hat, sprechen wir in dieser Folge also über Toiletten. Man sollte meinen, dass für ein Grundbedürfnis, das so alt ist, wie der Mensch selbst, mittlerweile eine Lösung gefunden wurde, die für alle gut funktioniert. Aber ist es tatsächlich so?

Bettina Möllring, die man wohl als Deutschlands führende Toilettenexpertin bezeichnen kann, sagt ganz klar: Nein. Mit Blick auf die Toilettensituation in Deutschland sind wir ihr zufolge gerade mal am Punkt Null. Und sie muss es wissen. Bettina ist Professorin für Industriedesign an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Die Gestaltung von Toiletten und Urinalen spielt in ihrer Arbeit eine zentrale Rolle. Sie hat sogar schon ihre Doktorarbeit dazu geschrieben. Dabei wirft sie insbesondere Fragen des geschlechtsspezifischen Zugangs zu Toiletten im öffentlichen Raum auf. Eine Sache ist Bettina in den letzten dreißig Jahren aufgefallen: Toiletten sind ein sensibles Thema.

00:03:25 Prof.in Dr. Bettina Möllring: Ich habe doch immer wieder erlebt, dass Leute angefangen haben zu lachen oder auch aggressiv wurden, weil das ja doch ein Thema ist, das sehr körperlich ist. Also da sind die Geschlechtsorgane da irgendwie auch dabei und so, und wir müssen uns entblößen, um die Toilette zu benutzen. Also es ist alles so ein bisschen heikel, ne? Und dann ist es eben so, dass im Moment die Toiletten, würde ich jetzt mal so ganz steil behaupten, sind nur für Männer gemacht. Und damals war es auch so, dass auch die, also die meisten Architekten waren Männer, und das heißt, die Planer denken eben auch männlich, und damals wussten die ja auch nicht, dass es da ein Problem gibt. Also ich habe – häufig ist mir oft passiert - dass Männer dann ganz erstaunt waren, als ihre Freundinnen oder Frauen gesagt haben, ja ja, ich setze mich auch nicht hin. So und die gedacht haben, hä, was machen die? Also das heißt, es war gar keine Kenntnis da.

Und dann gibt's so eine wahnsinnige Geschlechtergerechtigkeit, dass die eben dann gleich groß sind, diese Räume. Also für Männer und für Frauen gibt's die gleichen Flächen. Nun ist es aber so, dass man in die gleiche Fläche bei den Männern sehr viel mehr Installationen reinkriegt - also Urinale und Toiletten - als bei den Frauen, weil die Frauen eben mehr Platz brauchen, weil die Kabinen ja noch um die Sitztoiletten rum sind und bei den Urinalen, die kann man ja enger hängen. Und die kommen auch an die Wand. Und insofern gibt's einfach, also grundsätzlich weniger Sanitärinstallationen bei den Frauen.

00:05:12 Susanne Klingner: Deshalb auch die langen Schlangen. Ein fehlendes Problembewusstsein, auf das stoßen wir bei diesem Phänomen sehr häufig. Ein ganz tolles Buch dazu, wie Frauen, also immerhin die Hälfte der Bevölkerung, bei vielen Themen einfach vergessen werden, hat Caroline Criado Perez geschrieben. Zum Thema Toiletten sagt sie, dass in der Planung von Toiletten nicht bedacht wird, dass Frauen im Schnitt länger auf der Toilette brauchen als Männer. Das liegt daran, dass sie zum Beispiel mehr ausziehen müssen, um die Toilette zu benutzen, dass sie häufiger mit Kindern oder älteren Personen unterwegs sind oder dass sie ihre Periode haben und Tampon, Binde oder ihre Menstruationstasse wechseln müssen.

Halten wir also fest: Frauen müssen sich auf öffentlichen Toiletten häufig mit längeren Schlangen rumschlagen, um dann eine Vorrichtung zu benutzen, die gar nicht so richtig auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Das mag banal scheinen, aber es ist ein Beispiel dafür, wie stark unsere Gesellschaft auf Männer ausgerichtet ist und dass alle anderen Geschlechter häufig einfach nicht mitgedacht werden.

Wenn wir hier der Einfachheit halber von Männern und Frauen sprechen, trifft es allerdings nicht das ganze Problem. Die Aufteilung in Männer- und Frauentoiletten ignoriert zum Beispiel die Bedürfnisse von nicht-binären Menschen, die sich weder als ausschließlich männlich noch ausschließlich weiblich identifizieren. Und dass die öffentlichen Sitztoiletten nicht auf die Bedürfnisse von Frauen ausgerichtet sind, ist auch nicht so ganz richtig. Genau genommen entsprechen sie nicht den Bedürfnissen von Menschen mit bestimmten Geschlechtsorganen. Also Menschen, die sich hinsetzen müssen, um die Toilette zu benutzen. Diese Personen identifizieren sich aber nicht unbedingt alle als Frauen, sondern können auch ein anderes Geschlecht haben.

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00:07:03 Susanne Klingner: Das Thema Toiletten ist also alles andere als banal, im Gegenteil. Das fehlende Problembewusstsein rund um das Thema ist leider eher das logische Ergebnis davon, wie in unserer Gesellschaft immer noch viele Entscheidungen getroffen werden. Denn die sogenannte geschlechtsneutrale Perspektive bleibt für viele Probleme blind. Was das bedeutet, darüber haben wir mit Kristina Lunz gesprochen. Sie ist Mitbegründerin und Deutschlanddirektorin des Centre for Feminist Foreign Policy, das sich für eine feministische Außenpolitik einsetzt. Kristina ist außerdem freie Autorin und Kampagnenberaterin und nicht zuletzt eine preisgekrönte feministische Aktivistin.

00:07:43 Kristina Lunz: Wenn du Strukturen hast, die gebaut wurden von einer kleinen Gruppe an Menschen und Institutionen, die also gebaut wurden von einer kleinen Gruppe an Menschen, die die entlang der eigenen Bedürfnisse und eigenen Lebensumstände und Lebenserfahrungen aufbauen, dann führt das im Endeffekt immer dazu, dass die Architektur dahinter, dass die eben nur denen dient und allen anderen nicht.

00:08:07 Susanne Klingner: Konkret mit Blick auf die Corona-Krise heißt das:

00:08:09 Kristina Lunz: Wenn dann so eine Regierung jetzt dann darüber nachdenkt, wie wir so eine Wirtschaft wieder retten können und wem wir da helfen, wenn dann die Regierung vor allem Gelder in Bereiche gibt, in denen vor allem eine bestimmte Personengruppe arbeitet, zum Beispiel Männer, dann profitieren die eben mehr von diesen Unterstützungshilfen von einem Staat. Und immer dann, wenn eine Regierung, wie die deutsche zum Beispiel, kein Gender Budgeting und keine Genderanalysen hinter deren Finanzpolitik und Finanzhaushalt macht, dann wissen die nicht, wer wie von den vielen Milliarden profitiert, und denken, das wird fair verteilt. Aber das ist genau so ein genderblinder Ansatz und am Ende zementiert das Ungerechtigkeiten, weil viele, viele Gelder sich wieder in denselben Bereichen, die eh schon privilegiert sind, wiederfinden.

00:09:04 Susanne Klingner: Genderblinde Ansätze gehen also davon aus, dass Lösungen geschlechtsneutral sind und alle Menschen gleichermaßen von ihnen profitieren. Welche Folgen das haben kann, hat Kristina am Thema Geld aufgezeigt und zwar an einem sehr großen Budget, dem Staatshaushalt.

00:09:19 Kristina Lunz: Wenn wir gucken, wem wir wie viel Geld geben, dann gucken wir auch, welche Geschlechter das sind, welche Geschlechter davon profitieren und welche eben nicht. Zum Beispiel, wenn wir ganz viel Geld in die Automobilindustrie stecken, dann profitieren vor allem ganz viele Männer davon, weil in den Bereichen ganz viele Männer arbeiten. Und wenn wir eben ganz wenig Geld für Care-Arbeit geben und ganz wenig Geld in Infrastruktur wie Kitas und Kindergärten, die vor allem in unserer Gesellschaft noch Frauen entlasten, dann ja, trägt so ein Haushalt auch dazu bei, dass diese Bereiche und die Menschen, die davon vor allem betroffen sind, prekärer sind.

00:10:00 Susanne Klingner: Das Ganze nennt sich Gender Budgeting und das schaut einfach, wie wir Geld ausgeben und welche Geschlechter davon profitieren. Wie ihr merkt, sprechen wir in diesem Podcast ganz schön viel von Gender: Genderblind, Gender Budgeting. Der englische Begriff Gender wird mittlerweile auch viel im Deutschen verwendet. Im Unterschied zu unserem anatomischen Geschlecht, steht er für das soziale Geschlecht. Also alles das, was die Gesellschaft den unterschiedlichen Geschlechtern zuordnet. Von rosa, Lippenstift und Kindererziehung, hin zu blau, Rasenmäher und Manager. Diese Zuschreibungen formen unsere Realität, obwohl sie eigentlich nichts mit unserem anatomischen Geschlecht zu tun haben.

00:10:45 Musik

00:10:51 Susanne Klingner: Welche Auswirkungen es hat, wenn man die Bedürfnisse unterschiedlicher Geschlechter nicht mitdenkt, zeigt sich also in großen politischen Prozessen, wie der Planung eines Staatshaushalts. Und ganz konkret wird das Ganze dann im Alltag, womit wir wieder beim Thema Toiletten wären. Wenn wir beim Bau von Toiletten nicht mitdenken, was eigentlich die Bedürfnisse der Menschen sind, die sie letzten Endes benutzen sollen, zum Beispiel die Bedürfnisse von Frauen, dann kann es dazu führen, dass eben Frauen diese Toiletten kaum oder gar nicht nutzen.

Konkret zeigte sich das an einem Beispiel in Bangladesch, wo es das größte Geflüchtetencamp der Welt gibt. In der Region Cox‘s Bazar an der Grenze zu Myanmar leben knapp eine Million Rohingya. Die meisten von ihnen flohen 2017, nachdem das myanmarische Militär brutal gegen die mehrheitlich muslimische Minderheit vorging. Mehrere hunderttausend Menschen kamen innerhalb kürzester Zeit in Cox‘s Bazar an. Aufgrund des unebenen Geländes, der hohen Bevölkerungsdichte und des fehlenden Platzes, gestaltete sich die Bereitstellung von Toiletten, Trinkwasser und Duschmöglichkeiten als eine Herausforderung. Dabei war es zunächst das Ziel, möglichst viele Einrichtungen bereitzustellen. Was jedoch die tatsächlichen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen waren, lag nicht im Fokus. Das führte dazu, dass Frauen die sanitären Einrichtungen mieden, weil viele von ihnen noch nicht mal ein Dach hatten oder auch überhaupt keine abschließbare Tür. Statt die Toiletten zu nutzen, verrichteten sie ihre Notdurft oft unter katastrophalen hygienischen Bedingungen.

00:12:28 Nuha Anoor Pabony: Also als erstes werde ich darüber sprechen, wie es aus der Perspektive einer Architektin ist und dann als Frau. Als Architektin habe ich gesehen, warum es scheiterte. Also warum es eine Anzahl von unbenutzten und anderen Wasser- und Sanitäranlagen gab, die nicht benutzt wurden. Ich habe versucht herauszufinden, was das Hauptproblem ist.

00:12:54 Susanne Klingner: Das ist Nuha Anoor Pabony. Nuha war Teil eines Oxfam-Projekts, das in Zusammenarbeit mit Architektinnen gemeinsam mit den Frauen im Camp neue sanitäre Einrichtungen geplant hat, die nämlich besser auf die Bedürfnisse der Frauen zugeschnitten sind. Nuha ist eine dieser Architektinnen. Sie hat 2018 ihr Architekturstudium an der BRAC University in Dhaka in Bangladesch abgeschlossen, und gerade absolviert sie ihr Masterstudium in Gender, Gewalt und Konflikt der University of Sussex in Brighton in Großbritannien. Dort beschäftigt sie sich unter anderem mit gendersensiblen Designansätzen. Außerdem setzt sie sich gegen geschlechterbasierte Gewalt in Bangladesch ein. Als Nuha die Toiletten im Camp gesehen hat, ist ihr klar geworden, warum viele Frauen und Mädchen die Toiletten gemieden haben.

00:13:45 Nuha Anoor Pabony: Es gab sechs oder sieben verschiedene Typen von Toiletten und Wascheinrichtungen, die wir uns angesehen haben. Wir sind selbst hineingegangen, da einer unserer Professoren immer gesagt hat: Versuche nicht, etwas zu bauen oder zu designen, das nicht auch für dich funktionieren würde. Wenn du glaubst, dass du es benutzen oder darin wohnen könntest, dann weißt du, dass es in Ordnung ist.

Als wir in die Toiletten gegangen sind und versucht haben, die Tür zu öffnen, habe ich darauf geachtet, wie es sich für mich als Frau anfühlt und habe ganz klar festgestellt, nein, als Frau würde ich mich hier nicht wohlfühlen. Aus der Forschung und den Hintergrundumfragen wussten wir, dass Mädchen die Toiletten nachts nicht aufsuchen. Und auch während sie ihre Periode haben, bleiben sie einfach für drei oder vier Tage zu Hause und tauschen ihre Binden nicht aus. Die Bedürfnisse während der Menstruation waren ein konkretes Beispiel, das ich aus beiden Perspektiven - als Frau und Architektin - versucht habe zu verstehen.

00:14:43 Susanne Klingner: Einige der Frauen und Mädchen haben gemeinsam mit Nuha neue sanitäre Einrichtungen entwickelt. Die Erfahrungen der Frauen waren dabei das zentrale Element, um sicherzugehen, dass die neuen Toiletten ihren Bedürfnissen entsprechen.

00:14:57 Nuha Anoor Pabony: Es war sehr wichtig, dass die Frauen verstehen, dass sie das Recht darauf haben, Entscheidungen zu treffen, und dass sie sich ermächtigt fühlen, Kontrolle über ihr eigenes Leben zu ergreifen. Und das beinhaltet auch die Kontrolle über ihre eigene Hygiene. Das ist ein wichtiger Aspekt. Die Frauen haben über ihre Probleme gesprochen und die Lösungen dafür selbst gefunden. Wenn eine Person ein Problem identifiziert hatte, hat eine andere eine Lösung formuliert und es war großartig, das zu beobachten.

00:15:32 Susanne Klingner: Nuha hat also basierend auf den Gruppendiskussionen ein Modell für neue, passendere sanitäre Anlagen entworfen. In den Diskussionen zeigte sich auch für Nuha eindrücklich, dass es eine ganze Reihe von Aspekten gab, die für die Frauen in den Camps und ihre Lebenssituationen dort eine Rolle spielten, die sie vorher überhaupt nicht bedacht hatte.

00:15:55 Nuha Anoor Pabony: Da gibt es vieles, was meine Idee und mein Verständnis von Architektur komplett verändert hat. Zum Beispiel, wie wir Toiletten für verschiedene Geschlechter designen. Was wir normalerweise machen, ist, die Funktion einfach zu spiegeln und das einzige, was uns einfällt, um die Trennung deutlich zu machen, ist, sie räumlich zu unterteilen. Zwei verschiedene Eingänge zum Beispiel. Und so kreieren wir einen gemeinsamen Toilettenkomplex. In diesem Zusammenhang funktioniert das aber nicht.

Wenn an den Toiletten und Wascheinrichtungen ein Mann und eine Frau sind, dann fühlen sich die Frauen oft nicht wohl, die gleiche Anlage zu verwenden. Der gemeinsame Toilettenkomplex war also das erste, was mir aufgefallen ist und ich dachte, okay, eine Frau möchte diese Einrichtung vielleicht nicht nutzen, weil ein Mann direkt nebenan ist. Und dazu noch ein Mann, der ein komplett Fremder für diese Frau ist. Ein weiterer großer Lernprozess für mich war das Verständnis für die Maße, obwohl wir die Maße für die vermeintlich ideale Größe einer Toilette oder einer Wascheinrichtung kennen.

Was ich also gemacht habe, wenn mir Probleme in der Übersetzung begegnet sind, ich habe mir ein großes Blatt Papier genommen, habe eine Hocktoilette aufgemalt und habe mich darüber gehockt. Dann habe ich mit Daumen hoch oder Daumen runter abgefragt, also zum Beispiel, ist es groß genug? Dann habe ich eine ältere Person gebeten, sich auch hinzuhocken, um zu schauen, ob das für sie auch funktioniert. Dann habe ich eine Zwölfjährige gebeten, sich in die Position zu setzen und gefragt, ob das für sie passt. Ich habe also all diese Dinge getan, um ihnen dabei zu helfen, sich vorzustellen, wie die Anlage später funktionieren wird. Und dann haben sie ihre eigene Größe entworfen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der herauskam, war, dass Männer, bei einem gemeinsamen Toilettenkomplex, häufig die Frauentoiletten benutzen. Die Frauen empfanden das natürlich als ein Eindringen in ihre Privatsphäre und ich würde es genauso empfinden. Also haben sie gesagt: Mach die Türen kleiner, klein genug, sodass ein Mädchen hineingehen könnte, aber kein Mann. Sie sagten: Stell sicher, dass der Türrahmen so niedrig ist, dass ein Mann, der versucht hineinzugehen, sich den Kopf stoßen würde. Es ist also wichtig zu verstehen, dass kleinere Toiletten besser für die Bedürfnisse der Frauen funktionieren würden. Als Architekten würden wir natürlich sagen, dass das nicht funktional genug ist, weil wir nach den Bedürfnissen von Männern und Frauen gar nicht unterscheiden.

Außerdem haben wir durch die Umfrage erfahren, dass die Frauen sich sicher fühlen wollen. Das Thema Sicherheit kam immer und immer wieder auf. Als Architektin würde ich also versuchen, mehr Tageslicht zu integrieren, um es sicherer zu machen. Und wir würden versuchen, Schlitze in die Wände oder vielleicht ein transparentes Dach einzubauen. Aber die Frauen haben sofort gesagt, nein, ihr könnt keine Schlitze in die Wand machen. Selbst wenn nur ein wenige Zentimeter breiter Schlitz in der Wand ist, selbst ganz unten, würde ein Junge hindurchschauen, um zu gucken was passiert.

Dies sind all diese kleinen Elemente, die ich übersehen würde, die ich früher übersehen habe. Das war wirklich wie ein Schlag ins Gesicht und ich dachte, oh Gott, warum habe ich das nicht besser durchdacht? All diese kleinen Elemente, die ich versucht habe zu integrieren, führten also eigentlich dazu, dass sich die Frauen unsicherer fühlen. Das sind Erkenntnisse, die durch die Gruppendiskussion herauskamen. Ich versuchte also immer noch herauszufinden, wie wir mehr Tageslicht in den Toiletten integrieren können, ohne ihre Privatsphäre zu stören. Und dann kam die Idee, dass wir die Wände einfach höher ziehen, über zwei Meter hoch. Hoch genug, sodass selbst wenn ein Mann oder ein Junge springt, er nicht mehr hineinsehen kann. Und dann habe ich perforierte Fenster eingebaut, die aber erst über zwei Metern anfangen.

Einer der interessanten Aspekte, der dabei herauskam, war, dass unser Abwassersystem eigentlich so gut durchdacht ist. Wenn wir eine Wascheinrichtung zum Beispiel entwickeln, dann haben wir bestimmte Perspektiven oder vorgefasste Vorstellungen, wie Dinge funktionieren müssen. Zum Beispiel bieten wir Binden für Mädchen an, aber für viele ist das vielleicht ein neues Konzept. Es ist möglich, dass manche immer noch Baumwolltücher während ihres Menstruationszyklus verwenden. Diese zu waschen, ist ein sensibles Thema für sie und entsprechend auch der Wasserabfluss. Eine Frau hat uns berichtet: Ihr müsst das Abwasserrohr abdecken, denn wenn ich die Baumwollbinden wasche und draußen steht ein Mann, sieht er, dass da Blut aus dem Rohr kommt. Wenn die Frau hinausgeht, wird sie beim Verlassen der Toilette gehänselt, vor allem wenn sie ein junges Mädchen ist. Also all diese Einzelaspekte, ob das Rohr abgedeckt ist oder nicht, können zu Belästigung führen. Das ist also eine lange Verbindung, die ich, wenn ich ehrlich bin, übersehen hätte, weil ich nicht darüber nachdenke, wenn ich etwas herunterspüle oder wegwerfe, wie es die Müllanlage erreicht. All diese Dinge, die ich erfahren habe, sind sehr wichtig, wenn man einen gendersensiblen Ansatz verfolgt.

00:21:29 Susanne Klingner: Was an Nuhas Erzählungen besonders fasziniert, ist, wie eindrücklich sie zeigen, dass Betroffene selbst sehr gut wissen, was sie brauchen. Auch als Frau würde man viele der Aspekte, von denen Nuha erzählt, nicht automatisch mitbedenken. Ein gendersensibler Ansatz muss also noch viel mehr einschließen als nur das Geschlecht. Auch wenn Toiletten ein globales Problem sind, das feministischer Lösungen bedarf, so können diese je nach Kontext ganz unterschiedlich ausfallen.

00:22:01 Musik

00:22:10 Susanne Klingner: Erinnert ihr euch noch, dass Nuha gerade erzählt hat, dass es den Frauen wichtig war, dass die Frauentoiletten eher klein sein sollten? Wir haben auch mit Bettina darüber gesprochen, wie eine Toilette im öffentlichen Raum in Deutschland aussehen sollte, damit sie für alle Geschlechter gut zugänglich ist und sich alle dort wohlfühlen.

00:22:28 Prof.in Dr. Bettina Möllring: Also, sie müsste auf jeden Fall sauber sein. Sie müsste eher zu groß als zu klein sein auf jeden Fall. Dann sollte es möglichst, also mehr, als dann zu groß. Also, das heißt, nicht nur an zentralen Punkten, sondern sollten dezentral auch überall zu finden sein. Also, ich glaube, mein Wunsch wäre auch, dass es bei den Installationen, die da eben verwendet werden, dass es da auch wirklich Diversität gibt. Also dass es jetzt nicht immer nur die eine Standardlösung gibt, sondern dass es auch mal Hocktoiletten irgendwo gibt und dass es vielleicht auch ein Frauenurinal gibt und dass es ein Männerurinal gibt. Also ich finde, das muss auch so ein, es muss ein freudvoller Ort sein, ne? Also und wo man jetzt auch nicht immer so denkt so, also ja, wo man sich entspannen kann, ne? Und nicht so einer Norm entsprechen muss, ne? Ich glaube das wäre für mich so, also eher so weichere Orte. Also dass es eben auch ein sinnliches, ein schönes, sinnliches Erlebnis sein kann, ne? Und ich denke, das ist auch ein wesentlicher Aspekt, den ich mir wünschen würde.

00:23:44 Susanne Klingner: Und auch in Deutschland gibt es natürlich ganz unterschiedliche Bedürfnisse für die Toilettennutzung, zum Beispiel auch abhängig davon, wie mobil wir sind. Gerade deshalb ist es wichtig, dass eine diverse Gruppe von Menschen gemeinsam an Lösungen arbeitet, um eben möglichst viele Perspektiven abbilden zu können. Die beiden Perspektiven von Nuha und Bettina zeigen ganz eindrücklich, dass es keine genderneutrale Wirklichkeit gibt und welche konkreten Auswirkungen es haben kann, wenn man die Bedürfnisse unterschiedlicher Geschlechter nicht mitdenkt. Gendersensible Ansätze sind also wichtig, weil sie berücksichtigen, dass ein Vorhaben unterschiedliche Auswirkungen auf die Lebensrealität verschiedener Geschlechter haben kann. Was müsste sich also in Zukunft ändern, um Lösungen möglichst inklusiv zu gestalten, Kristina?

00:24:33 Kristina Lunz: Da kann ganz schön viel getan werden. Eben weil aktuell, weiß nicht, man kann natürlich ganz groß reden und sagen das System, das neoliberale, kapitalistische System, in dem wir leben, das keinerlei Care-Arbeit finanziert und das darauf aufgebaut ist, dass Menschen anderer Hautfarben, anderer Religionen, eben sozusagen unten gehalten werden in unserer Gesellschaft. Also das an sich, das muss komplett geändert werden und das ist eine Mammutaufgabe und das ist eine Aufgabe in der Feministen, Feministinnen, Menschen, die kapitalismuskritisch und antirassistisch sind, irgendwie seit Jahren versuchen umzustülpen. Wenn wir das nicht aufbrechen, dann schaffen wir auch keine Gerechtigkeit zwischen Ländern.

00:25:15 Susanne Klingner: Das klingt vielleicht erstmal ein bisschen abstrakt, aber es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, um die Strukturen zu verändern, die einige Menschen privilegieren und andere diskriminieren. Das ist gerade auch ein wichtiges Thema, wenn wir uns überlegen, welche Veränderungen zum Wiederaufbau nach der Corona Pandemie notwendig und möglich sind. Kristina hat zum Beispiel die Entlohnung von Care-Arbeit genannt, also von unbezahlter Haus- und Fürsorgearbeit, sowas wie Kochen, Waschen, Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen. Gleichzeitig wäre es wichtig, global in Strukturen zu investieren, die helfen unbezahlte Care-Arbeit zu reduzieren, also zum Beispiel in Kitas oder Grundschulen.

Eine andere Möglichkeit ist die Förderung von feministischer Zivilgesellschaft, das heißt von feministischen Organisationen oder Aktivist*innen. Das ist wichtig, da sozialer Wandel meist von der Zivilgesellschaft ausgeht. Denken wir nur mal an die Antiatomkraftbewegung in den 70er Jahren oder an die Black Lives Matter Bewegung heute. Bisher fließt aber noch zu wenig internationale Unterstützung in die Förderung von feministischen Organisationen. Gerade deshalb müssen Länder wie Deutschland hier ihren gerechten finanziellen Beitrag leisten.

Gleichzeitig ist die Forderung nach Strukturwandel gar nicht so leicht. Denn einerseits müssen sich Strukturen natürlich verändern, aber dafür muss man ja erstmal verstehen, auf welchen Strukturen unsere Gesellschaft überhaupt aufgebaut ist. Das ist gar nicht so einfach und klingt sehr groß und komplex. Wie können wir als Einzelperson denn überhaupt Strukturen verändern?

00:26:52 Kristina Lunz: Das ist ganz schön viel, was da gemacht werden kann. Ich versuche mal, mal gucken, welchen Aspekt greife ich heraus? Also ich glaube, das fängt ja dann am Ende, irgendwie bei so einer sehr persönlichen Einstellung damit an, was wir in Gesellschaften, was wir einfach akzeptieren und was wir als unumkehrbar oder unveränderbar annehmen und wo wir nicht bereit sind, das weiterhin hinzunehmen. Und ich glaube, dass der Großteil auch meiner eigenen Ausbildung und ich habe auch irgendwie an Unis studiert, die international viel Ansehen bekommen, wo ich damals auch dachte - na, wenn die das sagen, dann stimmt das auch irgendwie alles. Und wenn man durch den eigenen Trott durchgeht, sich gut ausbilden lässt und so weiter, dann... Ich glaube, die Fähigkeit zu - oder der Anspruch zu reflektieren, zu hinterfragen und zu kritisieren, wird nicht entsprechend groß gefördert in unseren Ausbildungen, wie wir das bräuchten, um Gesellschaften grundlegend infrage zu stellen. Wir wachsen auf und nehmen tradierte Rollenbilder und Systeme einfach an und denken, das war schon immer so und darum ergibt das ja auch Sinn. Aber so visionäre, utopische, andere Ansätze, die uns andere Möglichkeiten von der Zukunft aufzeigen, denen geben wir ganz schön wenig Raum in unserer Gesellschaft. Und wenn wir anfangen, erst zu hinterfragen und dann durchzudenken und neuen Visionen mehr Raum zu geben, das ist so der aller- allerwichtigste und erste Schritt. Also dieses wirklich sich Zeit nehmen und zu hinterfragen.

00:28:30 Susanne Klingner: Auch für Nuha war die Mitarbeit im Oxfam-Projekt wichtig, um erst einmal anzufangen, die Strukturen zu verstehen.

00:28:39 Nuha Anoor Pabony: Ich denke, es war an der Zeit, dass ich als Architektin, die mit Menschen und ihrem alltäglichen Leben zu tun hat, Genderrollen verstehe. Ich glaube, ich habe einfach das getan, was ich tun musste.

00:29:01 Susanne Klingner: Das war die erste Folge von zeitgerecht, dem Podcast von Oxfam. Die nächste Folge erscheint in zwei Wochen. Darin schauen wir uns etwas genauer an, wie Frauen durch unser Wirtschaftssystem benachteiligt werden und sprechen mit Menschen, die versuchen etwas daran zu ändern.

Die Idee und Konzeption dieses Podcasts sind von Lisa Ruppel. An der Folge haben mitgewirkt: Mara Brückner, Ulrike Pehlgrimm und Valerie Senden. Schnitt und Sounddesign machte Maximilian Lindert. Unterstützt wurden wir von Sabrina Winter und Filip Nohe. Die Titelmusik ist von Paul Ott, das Cover von Ole Kaleschke. Es sprachen Susanne Klingner und Sabine Gernemann. Herzlichen Dank an Katrin Rönicke von hauseins für die Unterstützung in der Umsetzung des Podcasts.

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