Oxfam kämpft seit seiner Gründung vor rund 80 Jahren für das Recht von Menschen auf ein Leben in Würde und ohne Armut. Während bedeutende Erfolge insbesondere bei der Reduzierung von extremer Armut erzielt werden konnten, werden weltweit jedoch immer noch Millionen Menschen jeglichen Geschlechts und Alters grundlegende politische und soziale Rechte vorenthalten. Doch nur wenn sie selbst in der Lage sind, die Verantwortlichen für Misswirtschaft und Machtmissbrauch zur Rechenschaft zu ziehen, können sich Menschen dauerhaft aus Armut und sozialer Benachteiligung befreien. Deswegen ist es ein zentrales Anliegen von uns, die Kapazität und Souveränität unserer lokalen Partner und anderer Akteur*innen der Zivilgesellschaft zu stärken.  

Einschränkung von Grundrechten als weltweiter Trend

Viele Länder, in denen wir arbeiten, sind von staatlicher und gesellschaftlicher Fragilität, undemokratischen Verhältnissen und langanhaltenden gewaltsamen Konflikten gekennzeichnet. Die Tendenz ist dabei seit Jahren steigend. Immer häufiger unterdrücken Regierungen Menschenrechte, verwehren soziale Teilhabe und gehen gewaltsam gegen politische Gegner*innen vor. Weltweit leben etwa neun von zehn Menschen in Ländern, in denen der zivilgesellschaftliche Handlungsraum („Civic Space“) in unterschiedlichem Maß eingeschränkt oder geschlossen ist. Staaten, die gestern noch als demokratische Hoffnungsträger galten, können morgen schon autoritäre Züge aufweisen und zum Beispiel die Online-Überwachung verstärken, Parlamente entmachten, das Versammlungsrecht einschränken oder Nichtregierungsorganisationen (NRO) als feindliche „ausländische Agenten“ oder „Terrorunterstützer“ brandmarken. Gleichzeitig sind vielerorts militante menschenrechtsfeindliche Gruppen auf dem Vormarsch, die Menschenrechtsverteidiger*innen einschüchtern, misshandeln oder sie sogar ermorden und dabei oft straffrei bleiben.

Mächtige kontrollieren, Grundrechte einfordern

Unser Strategischer Plan 2020-2030 beinhaltet als eines der Kernziele „Accountable Governance“, also die Einforderung von demokratischen Grundstandards und Rechten sowie die Kontrolle der Mächtigen durch eine starke und lebendige Zivilgesellschaft.

Gemeinsam mit unseren lokalen Partnern treiben wir diese Agenda voran. Selbst dort, wo Kriege und Krisen primär kurzfristige Nothilfe erfordern, wollen wir so früh wie möglich tragfähige Strukturen aufbauen, die die Menschen widerstandsfähiger gegen künftige Bedrohungen machen. Der Aufbau und Schutz von zivilgesellschaftlichen Strukturen spielen dabei eine zentrale Rolle – von lokalen Initiativen bis hin zu international ausstrahlenden Netzwerken. Unsere Erfahrung zeigt, dass dieser Ansatz trotz aller Rückschläge durchaus erfolgreich sein kann, wie die folgenden zwei Beispiele zeigen.

In zwei mehrjährigen, durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geförderten „Globalprogrammen“ in Indien, Südafrika, Tunesien und Ägypten steht die Stärkung der dortigen Zivilgesellschaft bzw. ihres Einsatzes für Arbeits-, Frauen- und politische Mitbestimmungsrechte im Zentrum.

 

Projektbeispiel 1: Globalprogramm in Indien und Südafrika

Ziel des Programms ist, die Rechte von Landarbeiter*innen in Indien und Südafrika zu stärken. In Südafrika hat zum Beispiel unsere Partnerorganisation „Women on Farms Project“ eine Kampagne zur Einführung einer Vermögenssteuer durchgeführt, damit Farmland neu verteilt und in die Hände von schwarzen Arbeiterinnen gegeben werden kann. Da in Südafrika vergleichsweise hohe Menschenrechtsstandards herrschen, kann dort Kritik an Regierung oder Unternehmen relativ gefahrlos erfolgen.

Deutlich ungünstiger ist die Situation in Indien, wo die Regierung in den vergangenen Jahren demokratische Freiheiten beschnitten und politisch missliebigen zivilgesellschaftlichen Organisationen die Arbeit erheblich erschwert hat. Ein Beispiel ist die Ende September 2020 in Kraft getretene Verschärfung des Gesetzes zur Auslandsfinanzierung von indischen Nichtregierungsorganisationen (FCRA), in deren Folge hunderte NRO, darunter auch Oxfam Indien, die Lizenz zum Empfang von ausländischen Fördermitteln untersagt wurde. Um im legalen Rahmen zu bleiben und überhaupt noch arbeiten zu können, musste Oxfam Indien seine Organisationsstruktur grundlegend verändern. Büros mussten geschlossen, Personal entlassen und der Arbeitsmodus angepasst werden.

Aufgrund dieser Einschränkungen musste u.a. ein im Globalprogramm vorgesehenes Austauschtreffen zwischen den Oxfam-Partnern aus Indien und Südafrika in einen benachbarten indischen Bundesstaat verlegt werden, um weniger Aufmerksamkeit zu erregen.

 

Projektbeispiel 2: Globalprogramm in Tunesien und Ägypten

Der Mittlere und Nahe Osten gehören zu den Weltregionen, in denen Menschenrechte und zivilgesellschaftliche Handlungsräume am meisten eingeschränkt werden. Menschenrechtsverteidiger*innen und politisch unliebsame Personen sehen sich in vielen Ländern willkürlichen Anklagen, Inhaftierungen oder Reisebeschränkungen ausgesetzt. Während Ägypten seit langem zu den Ländern mit den größten Einschränkungen der Menschenrechte weltweit zählt, herrscht in Tunesien seit dem sogenannten Arabischen Frühling 2011 ein vergleichsweises offenes politisches Klima. In jüngster Zeit sieht sich die dort sehr lebendige Zivilgesellschaft jedoch verstärktem Druck durch die Regierung ausgesetzt.

Um dieser Entwicklung hin zu politischer Bevormundung und Überwachung entgegenzuwirken, unterstützen wir im Rahmen des zweiten Globalprogramms tunesische und ägyptische NRO, Bewegungen und Aktivist*innen bei ihrem Einsatz für die bessere Achtung der Menschenrechte in den beiden Ländern und in der Region. Der Schwerpunkt liegt dabei auf positiver Beeinflussung von politischen Prozessen auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene. Jeweils vier lokale Partner in beiden Ländern arbeiten u.a. zur Rechtsberatung von NRO, Erfassung von Verstößen gegen die Meinungs- und Pressefreiheit, Wissensaustausch und Vernetzung mit anderen Aktivist*innen, Förderung von Frauen in der politischen Mitgestaltung sowie zu psychosozialer Unterstützung für NRO-Mitarbeitende. Um diese Arbeit noch effektiver und sicherer zu machen, können die Partner im Rahmen des Projekts dafür notwendige Kenntnisse erwerben und sich in sicherer Umgebung digital oder in Präsenz treffen und untereinander Erfahrungen austauschen.

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