Anfang März hat das BMZ eine Strategie für feministische Entwicklungspolitik veröffentlicht. Sie legt fest, dass Entwicklungspolitik Frauen und ihre Rechte gezielt fördern und in den Mittelpunkt stellen muss. Dabei benennt sie strukturellen Rassismus und Kolonialismus als Ursachen globaler Ungleichheit und ist damit ein weitreichendes Papier. Wie die Umsetzung aussehen wird, bleibt indes noch abzuwarten.

Oxfams Reaktion auf die Strategie

Auch Oxfam hat sich Gedanken dazu gemacht, was feministisches Arbeiten im internationalen Kontext für uns bedeuten kann. Um unseren Zielen und Prinzipien einen Schritt näher zu kommen, hat Oxfam im Rahmen des von der EU geförderten Programms #ClimateOfChange eine Studie in Auftrag gegeben. Forscher*innen der Universität Wien haben sich genau angeschaut, welche Rolle Feminismus in der internationalen Zusammenarbeit spielt. Sie untersuchen hierfür insbesondere, welche Potentiale ausgeschöpft werden können, wenn der Zugang unter anderem zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Wasser und Energie priorisiert wird. Denn Frauen sind in Krisen anders und heftiger betroffen als Männer und übernehmen oft die meiste Verantwortung und Arbeitslast. Gleichzeitig haben sie häufig weniger Rechte oder sind von Gewalt und Diskriminierung betroffen. Um diese Ungleichheit aufzulösen, müssen die Bedarfe von Frauen entsprechend gesehen werden und gedeckt sein.

Feminismus in der Entwicklungszusammenarbeit?

Bereits seit den 1970er Jahren kritisieren Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, dass die Rolle von Frauen in ihrer besonderen Betroffenheit sowie als Akteurinnen des Wandels in der Entwicklungszusammenarbeit lange ein blinder Fleck war. Mittlerweile legen Staaten wie Deutschland und internationale Organisationen, wie etwa die Weltbank, großes Gewicht auf Programme, die ganz gezielt Frauen und anderen an den Rand gedrängten Gruppen zugutekommen. Dabei geht es sowohl um den Abbau von Ungleichheit als auch um die Erkenntnis, dass Frauen häufig die entscheidenden Akteurinnen für ein besseres Leben für alle sind.

Transformative Zusammenarbeit…

Die Wiener Forscher*innen beziehen sich in ihrer Studie auf unterschiedliche Ansätze, um Frauen und an den Rand gedrängte Gruppen zu stärken. Für eine „transformative“ feministische Zusammenarbeit auf internationaler Ebene fordern sie jedoch – neben Maßnahmen, die gezielt Frauen stärken – einen systemischen Wandel. Das bedeutet, dass gesellschaftliche Machtverhältnisse etwa zwischen den Geschlechtern sowie zwischen den wirtschaftlich privilegierten „reichen“ Ländern und ehemals kolonisierten Ländern thematisiert und überwunden werden. So wird in einem transformativen Ansatz auch das Konzept „Entwicklung“ selbst als koloniales Erbe kritisiert, das allen Gemeinschaften und Ländern dieselbe Vision eines Guten Lebens und denselben Weg dorthin vorschreibt.

Dabei sind in indigenen Lebensweisen sowie feministischen Ansätzen aus ehemals kolonisierten Ländern bereits Konzepte eines „guten Lebens“ für alle und ohne Zerstörung der Natur fest verankert. Sie dienen hier oft schon seit langer Zeit als Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Im Kolonialismus wurden diese Traditionen jedoch aktiv bekämpft. Und mit dem aktuellen Wirtschaftssystem, das auf die Ausbeutung von Natur, Menschen und Ressourcen aufbaut, sind diese Arten des Zusammenlebens auch heute schwerlich zu verbinden.

… jenseits von „Entwicklung“

Das moderne Verständnis von „Entwicklung“ hat seine Wurzeln im Kolonialismus und in der Idee, dass alle Länder dasselbe wirtschaftliche Ziel verfolgen und es nur einen richtigen Weg dahin gibt. Und wenn sie dem von wirtschaftlich privilegierten Ländern vorgeschrieben Weg folgen, so das Versprechen, erreichen sie das ultimative Ziel: den Reichtum und den Lebensstil der Länder, die früher Kolonialherren waren, darunter auch Deutschland. Dieses Versprechen geht jedoch nicht auf.

Wenn alle Menschen so viele Ressourcen verbrauchen würden wie wir Menschen in wirtschaftlich privilegierten Ländern, würde das zum sofortigen ökologischen Kollaps führen. Zudem ist auch in wirtschaftlich privilegierten Ländern, die als Erfolgsmodell präsentiert werden, vieles im Argen; etwa in Bezug auf Ungleichheit und die Gefährdung der Demokratie. Und schließlich beruht gerade ihr Reichtum und insbesondere der Reichtum der reichsten Milliardär*innen darauf, dass sogenannte „Entwicklungsländer“ weiterhin billige Ressourcen exportieren, die so nur durch extreme Ausbeutung und immense Naturzerstörung gewonnen werden können.

„Entwicklung“ lässt in dieser Tradition also wenig Raum für alternative Ansätze, die das Wohlergehen von Menschen und Natur in den Mittelpunkt stellen und verhindert eine grundlegende Umgestaltung unserer Wirtschaft, der internationalen Zusammenarbeit und die Umverteilung von Reichtum.

Transformative feministische Zusammenarbeit dagegen erkennt das Recht von Gemeinschaften und Ländern an, selbstbestimmt über ihre Ziele eines guten Zusammenlebens zu bestimmen. Die übliche Unterscheidung in reiche Länder, die häufig als „Geber“ von „Entwicklungshilfe“ auftreten und Länder, die als „Nehmer“ gesehen werden, wird so in Frage gestellt.

Transformative internationale Zusammenarbeit geschieht auf Augenhöhe und wertschätzt vielfältige und unterschiedliche Konzepte eines gerechten und ökologischen Zusammenlebens. Und sie bestärkt unterschiedliche Wege, wie diese Ziele erreicht werden können. Diese Art der internationalen Zusammenarbeit ist deshalb wichtiger Bestandteil, weltweit gerechte Lösungen zu finden, damit alle Menschen innerhalb ökologischer Grenzen gut leben können.

Grunddienste als Lösung gegen Armut und extreme Ungleichheit

Durch die Befragung von Expertinnen weltweit kommt die Studie zu einem eindeutigen Ergebnis. Der Schlüssel zur Überwindung von Armut und Ungleichheit ist weltweit derselbe: Allen Menschen muss der Zugang zu grundlegenden Diensten und lebensnotwendigen Gütern ermöglicht werden. Insofern ist die Stärkung öffentlicher und von den betroffenen Gemeinschaften ausgestalteter Daseinsvorsorge und sozialer Sicherungssysteme ein wichtiges Werkzeug feministischer Entwicklungspolitik.

Was bedeutet Daseinsvorsorge?

Zur Daseinsvorsorge gehören:

  • Zugang zu sauberem Wasser, Nahrung, Energie, Mobilität, sanitären Anlagen, Bildung und Gesundheitsversorgung
  • Grundlegende Sicherungssysteme wie Kindergeld, Arbeitslosen- und Krankenversicherung oder Rentensysteme

Sich auf diese Systeme verlassen zu können, ist Grundbedingung für ein selbstbestimmtes Leben. In Zeiten der Klimakrise ist die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse und grundlegender Absicherung noch wichtiger, da Lebensgrundlagen ganz konkret bedroht sind.

Von der Erfüllung dieser Grundbedürfnisse würden insbesondere diejenigen profitieren, die am häufigsten ausgegrenzt werden und am wenigsten Macht besitzen: Frauen und andere an den Rand gedrängte Gruppen, z. B. Menschen mit Behinderungen, von Rassismus Betroffene oder religiöse Minderheiten. Ihnen fehlt aktuell am häufigsten der Zugang zu Grunddiensten wie Bildung und Gesundheitsversorung. Sie müssen in Ermangelung guter Wasserversorgung häufig weite Wege zurücklegen. Die Klimakrise verschlechtert diese Situation zunehmend. Zudem sind sie durch akute Notlagen wie Naturkatastrophen am schlechtesten abgesichert, weil sie oftmals “informell” arbeiten, d.h. nicht in (staatliche) Versicherungssysteme einzahlen können.

Eine flexible Gestaltung ist wichtig

Je nach Kontext müssen Grunddienste unterschiedlich gestaltet werden. In Großbritannien wird zum Beispiel über „Universal Basic Services“ und den Ausbau der „Alltagsökonomie“ diskutiert. Dabei geht es um eine Wiederbelebung und Ausweitung öffentlicher Daseinsvorsorge und des Wohlfahrtstaats. In anderen Kontexten ist die grundlegende und zuverlässige Versorgung mit sauberem Wasser der erste wichtige Schritt.

Trotz unterschiedlicher Ausgangslagen handelt es sich bei dem Ruf nach bedingungslosem Zugang zu Grunddiensten um eine weltweite und verbindende Forderung. Insbesondere dekoloniale und feministische Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen arbeiten in wirtschaftlich benachteiligten Ländern schon seit Jahrzehnten für dieses Ziel: die Bereitstellung der Dinge, die ein Gutes Leben überhaupt erst möglich machen.

Es ist eine Frage der Gerechtigkeit

Die Gespräche, die die Autor*innen mit Expertinnen aus wirtschaftlich benachteiligten Ländern geführt haben, zeigen, dass ein Umdenken notwendig ist. Deutschland und andere wirtschaftlich privilegierte Länder sind auch durch den Kolonialismus und das bestehende Handels- und Wirtschaftssystem reich geworden. Sie tragen, gemeinsam mit Superreichen und Konzernen, fast die ganze Verantwortung für die Klimakrise, die vor allem Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen trifft. 

Wohlfahrtsstaaten und grundlegende Infrastruktur in ehemals kolonisierten Ländern aufzubauen und Menschen damit auch vor den Folgen der Klimakrise abzusichern, kostet viel Geld. In Folge von Kolonialismus, ungerechter Wirtschafts- und Handelssysteme und Überschuldung sind viele der arm gemachten Länder nicht in der Lage, diese Kosten zu stemmen. Die Finanzierung sozialer Grunddienste und damit die Einhaltung von Menschenrechten darf keine weitere Verschuldung für die betroffenen Länder bedeuten. Im Gegenteil: die Schuldfrage gehört auf den Kopf gestellt!

Verantwortung übernehmen

Wirtschaftlich privilegierte Länder müssen endlich Entschädigungen für koloniale Gewalt und Ausbeutung, sowie für die Zerstörung der Lebensgrundlagen durch von ihnen verursachte Klimaschäden bezahlen. Die Forscher*innen weisen darauf hin, dass über die Frage einer Wiedergutmachung schon länger unter dem Begriff „Reparationen“ diskutiert wird. Dabei geht es darum, Betroffene für vergangene Ungerechtigkeiten zu entschädigen. Reparationen können unterschiedliche Formen annehmen: von einer offiziellen Entschuldigung und Anerkennung historischer Schuld über strukturelle soziale Reformen zur Aufarbeitung und Überwindung von fortdauernder Ungerechtigkeit, sowie der Rückgabe von z. B. gestohlenen Kunstwerken, bis hin zu Entschädigungszahlungen.

In jedem Fall geht es um die Übernahme von Verantwortung für historische und fortdauernde Schuld und Ungerechtigkeit. Dies bedeutet auch, dass die Ausgestaltung und Verwendung z. B. von Reparationszahlungen selbstverständlich und vollständig bei den Empfänger*innen läge – ganz anders als derzeit in der Entwicklungszusammenarbeit üblich.

Schritt für Schritt in die richtige Richtung

Die neue BMZ-Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik ist ein wichtiger erster Schritt. Wirklich transformative Ansätze internationaler Zusammenarbeit zu entwickeln, zu erproben und praktisch umzusetzen, bleibt jedoch eine Herausforderung und muss nun tatkräftig angegangen werden. Dabei müssen Verantwortung, Macht und Ressourcen an die betroffenen Gemeinschaften und Länder abgegeben werden, die auf eine reiche Tradition indigener, feministischer und dekolonialer Expertise zurückgreifen können.

Mehr zu Feminismus und Entwicklung, Ansätzen für die Stärkung sozialer Grunddienste, transformative feministische Entwicklungspolitik und die spannenden Perspektiven der interviewten Expertinnen können Sie in der Oxfam-Studie (Englisch) nachlesen.

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