Die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit ist eines der zentralen Themen, denen sich Oxfams weltweite Arbeit verschreibt. Für eine ganzheitliche Veränderung im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit ist es nicht nur notwendig, geschlechtsbasierte Gewalt zu bekämpfen und die Stimmen von Personen zu stärken, die von patriarchal geprägten Gesellschaften besonders diskriminiert werden (u. a. Frauen, LGBTQIA+). Auch die Wirtschaft muss gerechter werden. Denn nur wenn auch auf dieser Ebene Ungleichheiten bekämpft werden – indem beispielsweise Profite gerechter verteilt werden und mehr Menschen wirtschaftliche Entwicklungen mitbestimmen  –  können wir ungerechte Gesellschaftsstrukturen ganzheitlich angehen. Deshalb fördern wir in unseren Projekten eine geschlechtergerechte Wirtschaft und unterstützen zum Beispiel Frauen dabei, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern und selbstbestimmter zu handeln.

Was bedeutet eine geschlechtergerechte Wirtschaft für Oxfams Arbeit?

Im Rahmen des Ansatzes für eine wirtschaftliche Stärkung von Frauen (Women’s Economic Empowerment, kurz: WEE) und einer geschlechtergerechten Wirtschaft hinterfragt Oxfam traditionell geprägte, ökonomische Strukturen und Muster, die Ungleichheitsverhältnisse fördern oder festigen und durch welche Frauen systematisch diskriminiert werden. Außerdem entwickeln wir mithilfe dieser Ansätze konkrete Umsetzungsmöglichkeiten dafür, wie diese ungleichen Strukturen Schritt für Schritt aufgebrochen werden können und mehr Geschlechtergerechtigkeit entsteht.

Ein besonderes Augenmerk liegt bei einer geschlechtergerechten Wirtschaft auf den ökonomischen Realitäten von Frauen. Wir zeigen die unterschiedlichen Voraussetzungen zwischen den Geschlechtern auf und stärken, zusammen mit lokalen Partner*innen, die gleichberechtigte Teilhabe an wirtschaftlichen Märkten. Das bedeutet gleichzeitig auch, dass wir uns für existenzsichernde Löhne und sichere Arbeitsverhältnisse einsetzen. Damit wir Projektziele wie diese erreichen, müssen wir dafür einstehen, dass alle Menschen (unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität) autonome Entscheidungen treffen können und wirtschaftliche Ressourcen kontrollieren dürfen.

Wie zeigt sich der WEE-Ansatz konkret in unserer Projektarbeit?

Oxfam als Verbund führt derzeit bereits in mehr als 45 Ländern Projekte durch, die mit dem WEE-Ansatz arbeiten (Stand 2020). In vielen weiteren Projekten wird zudem Geschlechtergerechtigkeit als übergreifende Komponente mitgedacht.

Asmaa Al Imamy sitzt an einem Schreibtisch und füllt ein Formular aus
Asmaa Al Imamy leitet die "Women Empowerment Unit" in Ma'an (Jordanien), die Frauen durch fachliche Weiterbildungen und Kredite fördert, damit sie selbstbestimmter leben können.

Beispielsweise fördern wir in einigen Projekten gezielt die Gleichberechtigung aller Akteur*innen einer Wertschöpfungskette. In diesem Fall unterstützen wir zusammen mit unseren lokalen Partner*innen die Teilhabe von Frauen an Entscheidungsprozessen sowie eine gerechte Entlohnung. Außerdem fördern wir hierbei das Unternehmer*innentum und die finanzielle Inklusion von Frauen. Das bedeutet vor allem: Frauen erlernen oder verbessern Fähigkeiten in der Unternehmensführung und erreichen im besten Fall größere finanzielle Unabhängigkeit.

Andere Projekte stellen wiederum die Realisierung würdevoller Arbeitsbedingungen für Frauen in den Fokus. Arbeiter*innen, die beispielsweise im Teeanbau, in der Textilindustrie oder als Reinigungspersonal tätig sind, haben oftmals keinen Arbeitsschutz und wenig Rechte. Deshalb bestärken wir die betroffenen Personen darin, ihre Rechte einzufordern und gemeinsam für sichere Arbeitsverhältnisse einzustehen.

Shylet (L) und Abigail (R) laufen durch ihre Nachbarschaft, tragen grüne T-Shirts und geben sich ein High-Five
Die Care Champions Shylet (L) und Abigail (R) sorgen in Hatcliffe (Simbabwe) dafür, dass mehr Menschen zu unbezahlter Pflege- und Sorgearbeit sowie Geschlechtergerechtigkeit sensiblisiert werden.

Um das Ziel einer geschlechtergerechten Wirtschaft zu erreichen, müssen wir uns auch mit unbezahlter Pflege- und Fürsorgearbeit auseinandersetzen. Unbezahlte Pflege- und Fürsorgearbeit hindert Menschen und insbesondere Frauen daran, gleichberechtigt an der lokalen sowie globalen Wirtschaft teilzunehmen. Sie hindert vor allem Frauen daran, ihre Möglichkeiten zu entfalten und von ihren Rechten Gebrauch zu machen – wie beispielsweise vom Recht auf Ruhe und Freizeit. Deshalb fördern wir mit Projekten wie WE-CARE eine gerechtere Verteilung und rechtliche Anerkennung von Pflege- und Fürsorgearbeit. So reduzieren wir die nicht entlohnte Arbeitslast von Frauen in Simbabwe, Kenia, den Philippinen, Äthiopien und Uganda.

Ein Beispiel aus Bihar: Soziale und wirtschaftliche Selbstständigkeit für Frauen in Indien

In Bihar (Indien) rief Oxfam Indien zusammen mit der Frauenrechtsorganisation SEWA Bharat und mit der Unterstützung von Oxfam Deutschland das Projekt „Her Veggie Basket“ zur Förderung sozial benachteiligter Bäuerinnen ins Leben (Laufzeit: 2016-2020). Ziel des Projekts war es, die soziale und wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen in der Landwirtschaft zu ermöglichen. Knapp 3.000 Bäuerinnen nahmen in diesem Zusammenhang an Weiterbildungsangeboten unserer Partnerorganisationen teil.

Sunita Devi steht vor ihrem Anbaufeld, das durch ein grünes Stoffzelt abgedeckt ist.
Sunita Devi ist eine der Bäuerinnen aus Bihar, die ihre Landwirtschaft durch die neu erlernten Anbau- und Bewässerungsmethoden optimieren konnte.

In diesen erarbeiteten sie gemeinsam, wie sie ihre landwirtschaftlichen Produkte nachhaltiger und effektiver anbauen können: Neben der Tröpfchenbewässerung und der Anzucht von Setzlingen lernten sie auch geeignete Kompostierungsverfahren und nachhaltige Düngungsmethoden kennen. Im Anschluss daran gründeten die Frauen ein eigenes eingetragenes Unternehmen. Sie erlangten so einfacher Zugang zu Märkten und können nun ihre Produkte unabhängig von Großunternehmen verkaufen. Durch die Zusammenarbeit bei „Her Veggie Basket“ steigerten die Bäuerinnen in Bihar bisher nicht nur ihren Umsatz. Auch traditionelle, patriarchale Strukturen wurden dadurch aufgebrochen und die Frauen können seitdem selbstständiger und selbstbewusster handeln.

Zum Begriff Frauen

Wir sind uns bewusst, dass der Begriff „Frauen“ eine gesellschaftlich konstruierte Kategorie darstellt. Mit dem Begriff meinen wir in diesem Text aber ausdrücklich alle Menschen, die sich als Frauen identifizieren.

Mini-Glossar zu Geschlechtsidentitäten

Cis-Gender: Der Begriff Cis* bezeichnet Menschen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

Nicht-binär, genderqueer: Wer sich jenseits der Geschlechterbinarität von Mann und Frau verortet, sich mit keinem Geschlecht/weder* noch* identifiziert, sich mehreren Geschlechtern zugehörig fühlt oder genderfluide ist, fällt unter den Schirm nicht-binärer oder auch genderqueerer Identitäten.

FLINTA*: Zum Sichtbarmachen der diversen Geschlechtsidentitäten, die in unserer patriarchal geprägten Gesellschaft diskriminiert werden, ist auch die Verwendung der Abkürzung FLINTA* geeignet.

Das F steht in der Abkürzung für Frauen,
das L für weiblich gelesene Personen, die homosexuell sind (Lesben),
das I für intersexuelle Menschen (mit sowohl biologisch weiblichen als auch männlichen Geschlechtsmerkmalen geboren),
das N für Menschen, die nicht-binär sind, sich also weder eindeutig mit dem weiblichen noch mit dem männlichen Geschlecht identifizieren,
das T für Trans Personen (trans Frauen und trans Männer) oder Transgender und
das A für Menschen, die asexuell (Personen ohne/mit wenig sexuellem Verlangen), aromantisch (Personen, die wenig/keine romantische Anziehung verspüren) oder agender (Personen, die sich keinem Geschlecht zuordnen) sind.

Das Sternchen steht für alle Personen, die sich in keiner der erwähnten sexuellen Orientierungen oder Geschlechtsidentitäten wiederfinden und (mit) gemeint sind.

Wissen teilen: Wie wir bei Oxfam voneinander lernen

Über die Projekte hinaus fördert Oxfam auch den Wissensaustausch und das Teilen von Erkenntnissen im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit sowie eine enge Zusammenarbeit zwischen den Oxfam-Themen Klimagerechtigkeit, Armutsbekämpfung, soziale Ungleichheit und anderen. Dazu nutzen wir diverse Plattformen. Der von Aissa Boodhoo (Referentin für die Vermittlung und Bildung von Geschlechtergerechtigkeit) koordinierte WEE Knowledge Hub verbindet beispielsweise Mitarbeitende von Oxfam, Partner*innen und Unterstützer*innen aus über 25 Ländern auf regionaler und globaler Ebene. Das globale Netzwerk bietet eine Plattform, auf der wir bewährte Praktiken existierender WEE-Projekte festhalten und Erfahrungen mit sensiblen Fragestellungen weitergeben, die im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Förderung von Frauen auftauchen können. Beispielsweise teilen die Teilnehmer*innen ihr Wissen darüber, wie sich kulturell unterschiedliche, soziale Werte auf das Erreichen einer geschlechtergerechten Wirtschaft auswirken können. Oder sie erörtern den Zusammenhang zwischen geschlechtsspezifischer Gewalt und unterschiedlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen für bestimmte Personengruppen (zum Beispiel Frauen und LGBTQIA+-Personen).

Annie Kelly, Hala Al Karib, Rasha Obaid, Preet Kaur Gill MP und Riya William Yuyada sitzen an einem Tisch mit Tischmikrophonen und tauschen sich vor einem Publikum aus
Als internationaler Verbund ist uns bei Oxfam Austausch auf Augenhöhe und das Finden gemeinsamer Lösungen sehr wichtig. So wie bei dieser Diskussionsrunde zum Thema Feminist Leadership: Zu Gast waren u.a. Annie Kelly, Hala Al Karib, Rasha Obaid, Preet Kaur Gill MP, Riya William Yuya, um Erfahrungen und Schwierigkeiten weltweiter feministischer Arbeit miteinander zu teilen.

Neben einer Online-Plattform zur Vernetzung aller Interessierten werden zahlreiche Publikationen zum Thema Geschlechtergerechtigkeit (in der Projektarbeit) und Online-Lernmaterialien zum Selbstanwenden zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise wird auch ein direkter Austausch ermöglicht, bei dem viele Perspektiven gehört und diskutiert werden können, da zum Beispiel Webinare und Lern-Events weltweit frei zugänglich sind. Darüber hinaus veröffentlicht Oxfam als Verbund regelmäßig Policy-Papers zu Geschlechtergerechtigkeit, um dem Thema stets Gehör zu verschaffen. Und auch als Oxfam Deutschland arbeiten wir nach feministischen Prinzipien und führen beispielsweise vor dem Beginn eines neuen Projektes Genderanalysen durch, um geschlechtsspezifischen Problemen gerecht zu werden. Wir wollen so auch Ungleichheiten aufzeigen und gezielt Veränderungen anstoßen, sodass alle Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, ihre Rechte einfordern können. Und um Ungleichheit zu bekämpfen, brauchen wir Feminismus und feministische Prinzipien. Warum das so ist, untersuchen wir zum Beispiel gemeinsam mit unseren Gesprächspartner*innen in unserem Podcast Zeitgerecht:

Folge 2 mit Ellen Ehmke (Oxfam Anlystin für soziale Ungleichheit), Mirai Chatterjee (Vorsitzende der SEWA Cooperative Federation) und Elisa Naranjo (Head of Fairstainability and New Work bei Einhorn)

Verbesserungsmöglichkeiten: Was können wir als Oxfam Deutschland noch tun?

Trotz diverser Projekte, die gezielt Frauen im Sinne von Gender Equity (Intervention speziell zur Gleichstellungsförderung) fördern und trotz wichtiger Ansätze, die Wissensaustausch und Vernetzung beflügeln, ist die Aufarbeitung feministischer Prinzipien bei Oxfam intern längst nicht abgeschlossen. Die Organisationsentwicklung bei Oxfam Deutschland richtet sich aktuell verstärkt in Richtung der Feminist Leadership Principles aus, deren Ansätze patriarchale Machtdynamiken kritisch hinterfragen und eine geschlechtergerechte, diskriminierungsfreie Organisation anstreben. Eine interne Arbeitsgruppe erarbeitete in diesem Kontext im Sommer 2019 den Aktionsplan Geschlechtergerechtigkeit. Dieser soll zeitnah, unter anderem durch die Arbeit des 2020 gegründeten Gender-Rats, umgesetzt werden. Außerdem hat im Februar 2021 eine belegschaftsübergreifende Erarbeitung für ein gemeinsames Verständnis von Feminist Leadership begonnen. Durch diese vielfältigen Aufarbeitungsprozesse wollen wir eine Grundlage für alle Mitarbeiter*innen schaffen, die dann auch zu einer noch sensibleren und gerechteren Zusammenarbeit in unseren Projekten und Kampagnen führt.

Die Geschlechter-Binärität (weiblich-männlich) bei Oxfams WEE-Ansatz wird im Sinne der Gender-Equity (Gerechtigkeit) aufrechterhalten. Equity als sozial-kritischer Ansatz in der Projektarbeit bedeutet, anzuerkennen, dass Menschen unterschiedliche Voraussetzungen haben und bestimmte Personen zusätzliche Hindernisse überwinden müssen, um gesellschaftlich erfolgreich zu sein. Auf dieser Grundlage werden Ressourcen bewusst so verteilt, dass alle Menschen das erhalten, was sie für eine gleichberechtigte Teilhabe benötigen. Für unsere Arbeit bedeutet das in diesem Fall: Wir fördern in wirtschaftlich benachteiligten Ländern gezielt Frauen in ihrer Wirtschaftskraft, damit patriarchale Gesellschaftsnormen sie nicht daran hindern, selbstbestimmt leben zu können.

Auf der Webseite von Oxfam International finden Sie weitere Hintergrundinformationen zu diesem Ansatz.

1 Kommentar

Für mich als Frau ist es selbstverständlich für die Rechte der Frauen einzutreten. Auch wenn die Bedingungen in Deutschland vermutlich etwas besser sind, gibt es auch dort Probleme im Bezug auf Frauenrechte. Deshalb sollte man an diesem Thema auch dranbleiben.

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