Wir befinden uns in einer globalen Nahrungsmittelkrise: Hunderte Millionen Menschen haben nicht genug zu essen. Währenddessen erzielen die größten Lebensmittelhändler der Welt Rekordgewinne und steigern ihren Reichtum um Milliarden.

In unserer aktuellen englischsprachigen Studie Fixing Our Food decken wir nicht nur populäre Irrtümer über unser Ernährungssystem auf. Wir zeigen auch, wo die Lösungen liegen. Denn eins ist klar: So wie es ist, kann es nicht weitergehen.

Irrtum 1: Die Welt steht vor einer ganz neuen Nahrungsmittelkrise, verursacht durch den Krieg in der Ukraine.

Wirklichkeit:

Die Ernährungskrise, die wir jetzt erleben, wird durch den Krieg in der Ukraine verschärft, aber sie ist nicht neu. Die Auswirkungen des Krieges sind lediglich eine zusätzliche Ebene im jahrelangen Versagen unseres globalen Ernährungssystems.

Hintergründe

Die Ukraine-Krise hat sich zwar sehr negativ auf die Weltmarktpreise für Lebensmittel ausgewirkt, aber der Preisanstieg begann schon mehrere Monate vor dem Krieg. So stiegen beispielsweise die Weizenpreise zwischen April 2020 und Dezember 2021 um 80 %. Und bereits vor Beginn des Krieges litten schätzungsweise 828 Millionen Menschen auf der Welt an Hunger – fast ein Zehntel der Weltbevölkerung.

Unser globales Ernährungssystem wird immer zerbrechlicher. Das hat mehrere Ursachen:

  • die Klimakrise
  • wirtschaftliche Notlagen
  • wirtschaftliche, soziale und geschlechtsspezifische Ungleichheit
  • anhaltende Konflikte in der ganzen Welt
  • die COVID-19-Pandemie

Das globale Ernährungssystem ist äußerst verschwenderisch und ineffizient organisiert. Es ist ausbeuterisch, schlecht reguliert und liegt größtenteils in den Händen einiger weniger Privatunternehmen und sehr reicher Einzelpersonen. Dadurch ist es alles andere als nachhaltig und anfällig für Krisen.

Wir können den Hunger nur beenden, wenn wir uns mit der Klimakrise, dem Verlust der landwirtschaftlichen Artenvielfalt und den tiefgreifenden Ungleichheiten in der Gesellschaft auseinandersetzen. Wir müssen die Rechte und Bedürfnisse von Kleinbäuer*innen und Arbeiter*innen in der Lebensmittel- und Landwirtschaft in den Mittelpunkt der Umgestaltung unseres globalen Ernährungssystems stellen, wenn wir Ungleichheit und Hunger reduzieren wollen.

Dazu sollten Bäuer*innen und Beschäftigte in der Lebensmittel- und Landwirtschaft von nationalen Regierungen durch langfristige Investitionen unterstützt werden, um die nachhaltige einheimische Lebensmittelproduktion auszuweiten.

Diyaara* zeigt die Lebensmittel, die sie noch hat, um für ihre Familie zu kochen und ihr verbliebenes Vieh zu füttern. Sie zeigt eine Schüssel, deren Boden bedeckt ist, und einen kleinen Beutel, der etwa halbvoll ist. Sie lebt in Wajir, Kenia, wo derzeit eine Hungerkrise herrscht.
„Wir lassen jetzt Mahlzeiten ausfallen und beschränken uns auf eine Mahlzeit am Tag. Und manchmal müssen wir dem Essen der Kinder den Vorrang geben und die Erwachsenen hungern lassen, um das Wenige, das wir haben, zu erhalten.“ Diyaara* zeigt die Lebensmittel, die sie noch hat, um für ihre Familie zu kochen und ihr verbliebenes Vieh zu füttern. Sie lebt in Wajir, Kenia, wo derzeit eine Hungerkrise herrscht.

Irrtum 2: Vom Anstieg der Lebensmittelpreise sind alle Menschen auf der Welt betroffen.

Wirklichkeit:

Die steigenden Lebensmittelpreise treffen wirtschaftlich benachteiligte Menschen viel härter, weil sie einen größeren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Gleichzeitig sind auch Gewinner aus der Krise hervorgegangen. Es gibt 62 neue Lebensmittelmilliardär*innen und die mächtigen Lebensmittelunternehmen und -händler verzeichnen Rekordgewinne.

Hintergründe

Ungleichheit zwischen Ländern

Die Inflation der Lebensmittelpreise hat viele einkommensschwache Länder härter getroffen als den weltweiten Durchschnitt. Jüngste Daten aus Ostafrika zeigen beispielsweise, dass die Lebensmittelinflation im letzten Jahr in Äthiopien (44 %), Somalia (15 %) und Kenia (12 %) über dem G7-Durchschnitt (10 %) und dem weltweiten Durchschnitt (9 %) liegt.

Zudem geben Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen in der Regel einen viel höheren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel aus, weshalb Preisanstiege sie noch viel stärker treffen. In Ländern wie Kenia und Äthiopien haben starke Preissteigerungen daher verheerende Auswirkungen: Lebensmittel sind zwar erhältlich, aber für Millionen von Menschen nicht bezahlbar.

Ungleichheit innerhalb von Ländern

Auch innerhalb von Ländern hat die Inflation von Nahrungsmittelpreisen die Ungleichheit vergrößert: Die weltweit größten Lebensmittelhändler haben in den letzten Monaten Rekordgewinne gemacht, während Teile der Bevölkerung auch in wirtschaftlich privilegierten Ländern nicht genug zu essen haben.

Diese Ungleichheiten im Lebensmittelsystem und die ungleichen Auswirkungen von Preiserhöhungen müssen angegangen werden. Am dringendsten brauchen wir endlich Maßnahmen, um Übergewinne und extremen Reichtum zu besteuern.

Das dabei eingenommene Geld sollte in wirksame und bewährte Programme zur Verringerung der Ungleichheit investiert werden, beispielsweise in eine Sozialversicherung und in die Gesundheitsversorgung. Soziale Sicherungssysteme, die auf die ärmsten Menschen abzielen und sich auf den Zugang zu Nahrungsmitteln konzentrieren (sowohl physisch als auch in Form von Bargeld), sollten in allen Ländern eingeführt oder verstärkt werden.

Wer Schulden abbezahlt, ist von steigenden Lebensmittelpreisen mehr belastet

Für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen kommt hinzu, dass die Rückzahlung von Schulden einen großen Teil des Staatshaushalts verbraucht. Um die Probleme anzugehen, die durch die rasante Lebensmittelpreisinflation verursacht werden, und um eine gerechtere Welt zu schaffen, sollten daher den wirtschaftlich schwächeren Ländern die Schulden erlassen werden. So könnten sie in ihr soziales Sicherungsnetz investieren und ihre Bürger*innen besser vor den Auswirkungen akuter Krisen schützen.

Irrtum 3: Es gibt nicht genug Nahrung, um die ganze Welt zu ernähren.

Wirklichkeit:

Es gibt mehr als genug Nahrungsmittel, um die ganze Welt zu ernähren. Das Problem liegt in der Ungleichheit, der Verteilung und im fehlenden Zugang zu bezahlbaren Lebensmitteln.

Hintergründe

Die hohe Zahl der Hungernden ist nicht auf einen Mangel an Nahrungsmitteln zurückzuführen; die Landwirt*innen produzieren mehr als genug, um die ganze Welt zu ernähren. Trotz ausreichender Ernten und guter Nahrungsmittelvorräte hat der Hunger seit 2017 zugenommen. Das Problem liegt in der Verteilung und darin, dass Nahrungsmittel unerreichbar oder unbezahlbar sind.

Regierungen sollten zwei entscheidende Wege gehen, damit in unserer Welt des Überflusses nicht mehr Millionen Menschen hungern müssen:

  • die Lebensmittelpreise bezahlbar machen
  • die Einkommen der Menschen durch die Einführung universeller Sozialschutzsysteme aufstocken

Irrtum 4: Wir müssen die Nahrungsmittelproduktion intensivieren, um den Bedarf an Lebensmitteln zu decken.

Wirklichkeit:

Die Lösung zur Bekämpfung des Hungers liegt nicht in der Steigerung der Produktion, wie sie von vielen Befürworter*innen der industriellen Landwirtschaft vorgeschlagen wird, ungeachtet der Umweltkosten. Sie besteht darin, für eine gleichmäßigere Verteilung zu sorgen.

Hintergründe

Inmitten des jüngsten Anstiegs der Lebensmittelpreise wollen viele Länder ihre landwirtschaftliche Produktion steigern – ungeachtet der langfristigen Umweltkosten. Stattdessen sollten die Faktoren auf der Nachfrageseite angegangen werden. Diese Faktoren erhöhen die Lebensmittelpreise und treiben die Landnutzung für andere Zwecke als die Lebensmittelproduktion voran, beispielsweise für Agrosprit und die Futtermittelproduktion.

Anstatt die Produktion auf brachliegenden Flächen zuzulassen, wie es beispielsweise auf EU-Ebene vorgeschlagen wurde, sollte der Schwerpunkt auf der Verringerung des Flächendrucks liegen. Maßnahmen dazu sind:

  • Verbot der Nutzung von Nahrungs- und Futtermittelpflanzen für Agrokraftstoffe
  • Verringerung der Lebensmittelverluste durch Reduzierung von Lebensmittelabfällen und von Verlusten nach der Ernte

Irrtum 5: Globalisierung ist die Lösung für unsere Nahrungsmittelkrise.

Wirklichkeit:

Die Krise in der Ukraine zeigt das große Risiko, sich bei der Ernährung der Menschen hauptsächlich auf den globalen Lebensmittelmarkt zu verlassen. Stattdessen muss die lokale Produktion gestärkt werden. Gleichzeitig müssen globale Wertschöpfungsketten nachhaltiger und zugänglicher werden.

Hintergründe

Weltweit sind mehr als 80 % der Kleinbäuer*innen auf lokalen und regionalen Märkten tätig, und die meisten Lebensmittel werden in lokalen oder regionalen Nahrungsmittelsystemen erzeugt, verarbeitet und gehandelt. Die lokale Lebensmittelwirtschaft hat viele Vorteile, wenn sie die richtige Unterstützung bekommt:

  • Sie kann den Zugang zu frischen Lebensmitteln verbessern.
  • Sie ermöglicht eine gerechtere und höhere Entlohnung der Bäuer*innen.
  • Sie übersteht häufig globale Schocks wie Pandemien, Klimakrise und Risiken im Zusammenhang mit der globalen Geopolitik.

Damit trägt die lokale Lebensmittelwirtschaft zu einem breit angelegten, integrativen Wachstum bei, das zur Erfüllung des „Rechts auf Nahrung“ erforderlich ist. Frauen können als Bäuerinnen und Arbeiterinnen aktiv an diesen Märkten teilnehmen und auch eine führende Rolle bei der Verarbeitung und dem Verkauf von Lebensmitteln übernehmen.

Die lokale Versorgung sollte bei Bedarf durch importierte Lebensmittel ergänzt werden, aber der internationale Handel sollte als Ergänzung zur lokalen Produktion und nicht als Hauptfaktor für die Ernährungssicherheit angesehen werden. Die Länder müssen kontextspezifische Ansätze entwickeln und ein komplementäres Gleichgewicht zwischen lokaler und globaler Versorgung finden. Und wie der derzeitige Krieg in der Ukraine deutlich macht, sind Kapazitätsreserven und eine Vielfalt an Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Handelspartnern unerlässlich.

Irrtum 6: Größeres Vertrauen in die Märkte, Finanzakteure und die Liberalisierung des Handels wird das kaputte Ernährungssystem reparieren.

Wirklichkeit:

Wir müssen die Märkte besser regulieren und gerechtere und flexiblere Handelsregeln für einkommensschwache Länder schaffen, die es ihnen ermöglichen, stärkere lokale Ernährungssysteme aufzubauen.

Hintergründe

Handelsregeln müssen reformiert werden

Die Handelsregeln, insbesondere die der WTO, sollen allen Landwirt*innen einen gleichberechtigten Zugang zu den Weltmärkten ermöglichen und zur Ernährungssicherheit beitragen. Jedoch profitiert die Landwirtschaft in den wirtschaftlich privilegierten Ländern stärker von den Handelsregeln, während die Menschen in wirtschaftlich benachteiligten Ländern den Kürzeren ziehen und einem höheren Risiko der Ernährungsunsicherheit ausgesetzt sind.

Die Handelsregeln sollten daher im Sinne einer nachhaltigen und widerstandsfähigen Ernährungssicherheit reformiert werden. Wichtig dabei sind:

  • ein größerer Spielraum für Regierungen, um das Niveau ihrer Lebensmittelimporte und -exporte anzupassen
  • die Möglichkeit, stärker in die heimische Lebensmittelproduktion zu investieren
  • die Möglichkeit, strategische Reserven für die Ernährungssicherheit anzulegen
  • strengere Regulierung der Lebensmittelmärkte
  • geringere Marktkonzentration

Keine dieser Entwicklungen sollte bei der WTO als „handelsverzerrend“ angefochten werden, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Stattdessen sollten sie als lebenswichtige Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungssicherheit unterstützt werden. Die jüngsten Lebensmittelkrisen haben gezeigt, dass ein „Verlassen auf den Markt“ und die Förderung einer stärkeren Marktabhängigkeit die Ungleichheit bei jeder neuen Krise verschärft.

Problem Finanzspekulation

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Rolle, die Finanzspekulant*innen seit den frühen 2000er Jahren im internationalen Lebensmittelhandel spielen. Bereits 2011 dokumentierte Oxfam, wie die Deregulierung von Agrarrohstoffderivaten und der anschließende Markteintritt von nichtlandwirtschaftlichen Akteuren (insbesondere Pensionsfonds) die Inflation verstärkte. Diese Inflation führte zu den großen Nahrungsmittelkrisen von 2007-2008 und 2011. Es besteht die Gefahr, dass sich diese Situation heute wiederholt.

Irrtum 7: Die Gender-Diskussion lenkt uns davon ab, dafür zu sorgen, dass alle genug zu essen haben.

Wirklichkeit:

Ohne Geschlechtergerechtigkeit wird es kein nachhaltiges Ende des Hungers geben. Wenn wir den Hunger und die ihm zugrunde liegende Ungleichheit beenden wollen, müssen wir echte und radikale Maßnahmen für Frauenrechte ergreifen.

Hintergründe

In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen stellen Frauen auf dem Land im Durchschnitt fast die Hälfte der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte. Trotz ihrer entscheidenden Rolle werden sie diskriminiert und haben nur eine begrenzte Verhandlungsmacht.

Patriarchale Normen benachteiligen Bäuerinnen und Lohnarbeiterinnen, insbesondere in Bezug auf:

  • Landrechte (kleine Grundstücke, Schwierigkeiten bei der Erlangung von Eigentum, diskriminierendes Erbrecht)
  • produktive Ressourcen (kein Zugang zu Krediten, Beratungsdiensten oder Betriebsmitteln)
  • unsichere und prekäre Beschäftigungsverhältnisse
  • niedrige oder nicht vorhandene Löhne (als unbezahlte Familienarbeitskräfte in der landwirtschaftlichen Produktion)
  • unbezahlte Betreuungsarbeit
  • Ausschluss von Entscheidungsprozessen und politischer Vertretung

Innerhalb des Haushalts essen Frauen aufgrund ihrer schwächeren Verhandlungsposition häufig am wenigsten, zuletzt und am schlechtesten.

Besonders in Krisenzeiten sind Frauen gefährdet, Hunger zu leiden. Frauen puffern die Auswirkungen einer Krise oft durch extreme Bewältigungsstrategien ab: Sie reduzieren ihren eigenen Nahrungsmittelkonsum, um andere zu ernähren, sie sammeln Nahrungsmittel in der Wildnis und gehen auf der Suche nach Einkommensmöglichkeiten ins Ausland. Manchmal nehmen sie riskante Jobs an, einschließlich Sexarbeit.

Hätten Landwirtinnen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen den gleichen Zugang zu Ressourcen wie männliche Landwirte, würde dies die Produktion in den landwirtschaftlichen Betrieben von Frauen schätzungsweise um bis zu 30 % steigern, was zu einer Gesamtsteigerung der landwirtschaftlichen Produktion von bis zu 4 % führen würde. Dies wiederum würde die Zahl der Menschen, deren Ernährung unsicher ist, weltweit um 100-150 Millionen verringern.

Clémence Nibaruta steht stolz in ihrem Maisfeld in Gitega, Burundi. Sie hat an Schulungen unserer Partnerorganisation ADISCO in Gitega (Burundi) teilgenommen und betreibt nun agrarökologischen Landbau.
Clémence Nibaruta hat an Schulungen unserer Partnerorganisation ADISCO in Gitega (Burundi) teilgenommen und betreibt nun agrarökologischen Landbau. Ihre Kenntnisse gibt sie in einer Solidargruppe und einer landwirtschaftlichen Kooperative weiter. Von ihrem Einkommen zahlt die Witwe die Schulgebühren ihrer Kinder und baut ihren landwirtschaftlichen Betrieb aus. Neben Bananenpflanzen, einem Gemüsegarten und einem Maisfeld besitzt sie mittlerweile eine Kuh und vier Ziegen.

Irrtum 8: Um die doppelte Krise von Klimawandel und Hunger zu bewältigen, sind High-Tech-Lösungen im Agrarsektor erforderlich.

Wirklichkeit:

Lösungen gibt es bereits. Mit den richtigen politischen Entscheidungen können sie für die Bäuer*innen erschwinglicher und verfügbar werden. So würden die Bäuer*innen bei der Eindämmung der Klimakrise und der Anpassung an sie erheblich unterstützt. Gleichzeitig wäre die Ernährungssicherheit für alle gewährleistet.

Hintergründe

Es braucht Innovationen

Um sich von den derzeitigen hochintensiven, kostspieligen und nicht nachhaltigen Landwirtschaftsmodellen zu lösen, sind Innovationen erforderlich. Es kommt jedoch darauf an, wie die Forschung erfolgt, worauf sie sich konzentriert und vor allem, wer die Agenda bestimmt.

Viele Forschungseinrichtungen und Unternehmen für landwirtschaftliche Betriebsmittel konzentrieren sich auf die Entwicklung neuer Saatgutsorten, die häufig nicht den Bedürfnissen oder Prioritäten der Landwirt*innen in einkommensschwachen Ländern entsprechen. Oder sie sind für die wirtschaftlich benachteiligte Landbevölkerung einfach nicht bezahlbar. Gleichzeitig gibt es bereits eine Fülle von praktischen Ansätzen. Sie sollten anerkannt und besser unterstützt werden.

Lösung Agrarökologie

Die Agrarökologie ist ein System, das Familienbetriebe weltweit schon seit langem anwenden. Sie sollte durch passende politische Maßnahmen und finanzielle Investitionen unterstützt werden, denn sie bietet eine Reihe von sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Vorteilen:

  • Agrarökologie kann die Nahrungsmittelproduktion sowie die Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit unterstützen.
  • Sie kann die Ökosysteme und die biologische Vielfalt wiederherstellen, die für eine nachhaltige Landwirtschaft unerlässlich sind.
  • Sie kann eine wichtige Rolle beim Aufbau der Widerstandsfähigkeit von Gemeinschaften spielen.

Diversifizierung auf dem Hof, Lebensraummanagement zur Förderung der biologischen Vielfalt, Konzentration auf die Bodengesundheit und Nährstoffrecycling sind allesamt agrarökologische Praktiken, die Landwirt*innen anwenden können, um insgesamt widerstandsfähiger zu werden. Die Umschichtung von Forschungsbudgets zur Förderung agrarökologischer Produktionsverfahren sollte daher eine Priorität sein.

Irrtum 9: Hunger ist einfach eine unvermeidliche Folge von Konflikten und Kriegen. Wir können nichts dagegen tun.

Wirklichkeit:

Selbst in Konflikten gibt es ein Recht auf Nahrung. Märkte und Nahrungsmittellieferungen sind durch internationales Recht geschützt. Es gibt Lösungen zur Durchbrechung des tödlichen Kreislaufs aus Konflikten und Hunger. Wir sollten sie fördern und gemeinsam auf Frieden als integralen Bestandteil zur Überwindung des Hungers hinarbeiten.

Hintergründe

Hunger und Konflikte verstärken einander gegenseitig

Ernährungskrisen sind das Ergebnis zahlreicher Ursachen, die sich gegenseitig bedingen, von Konflikten über Umwelt- und Klimakrise bis hin zu Wirtschafts- und Gesundheitskrisen. Hauptursachen für Ernährungsunsicherheit und Hunger weltweit sind unser kaputtes Ernährungssystem und die Armut und Ungleichheit, die ihm zugrunde liegen. Doch auch Konflikte sind nach wie vor eine der Hauptursachen für Hunger weltweit.

Das muss nicht so bleiben: Wir können gemeinsam an den Grundursachen von Konflikten und Hunger arbeiten. Wir müssen uns für den Frieden einsetzen und verhindern, dass Hunger als Kriegswaffe eingesetzt wird, damit sich Konflikte und Hunger nicht mehr gegenseitig verstärken.

Humanitäre Hilfe + Entwicklungszusammenarbeit + Friedenssicherung

Nachhaltige Entwicklung und dauerhafte Lösungen sind ohne Frieden nicht möglich. Daher verfolgen wir einen „Triple-Nexus-Ansatz“, der die Säulen der humanitären Hilfe, der Entwicklungszusammenarbeit und der Friedensicherung miteinander verbindet. Dieser Ansatz zielt darauf ab, die Art und Weise zu verändern, wie humanitäre, entwicklungspolitische und friedensfördernde Maßnahmen in fragilen Kontexten geplant, umgesetzt und finanziert werden.

Die Mittel müssen ausreichend, schnell verteilbar und flexibel sein, um konfliktsensible, mehrjährige, integrierte Maßnahmen zu unterstützen. So können bessere, widerstandsfähigere und nachhaltigere lokale und nationale Systeme aufgebaut werden. Diese Systeme ermöglichen es den Menschen und Gemeinschaften, zu gedeihen und in gleichberechtigteren und friedlicheren Gesellschaften zu leben.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass solche Maßnahmen auf lokaler Ebene durchgeführt werden und dass Friedensarbeiterinnen im Mittelpunkt der Friedensbemühungen stehen. Zunehmend müssen solche Maßnahmen auch die Auswirkungen der Klimakrise berücksichtigen, um sicherzustellen, dass die Programmplanung in der Lage ist, Klimaschocks, die sich auf die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und Wasser auswirken, frühzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren.

Politischer Wille

Zudem braucht es einen wesentlich stärkeren politischen Willen zur Lösung der anhaltenden Konflikte: Staaten und Institutionen müssen ihre Bemühungen erneuern, Konflikte zu vermeiden oder beizulegen und einen inklusiven, feministischen Frieden zu schaffen und zu erhalten.

Irrtum 10: Die Mittel sind begrenzt, daher müssen wir schwierige Entscheidungen treffen, wohin die Unterstützung fließen soll.

Wirklichkeit:

Es gibt mehr als genug Geld, um auf alle Krisen zu reagieren, wenn Milliardär*innen und Unternehmen angemessen besteuert werden.

Hintergründe

Ungleichheit ist gewachsen

Die Ungleichheiten bei Einkommen und Vermögen haben während der COVID-19-Pandemie ein neues Niveau erreicht. Schätzungen zufolge könnten in diesem Jahr 263 Millionen Menschen mehr in extremer Armut leben als vor der Pandemie. Gleichzeitig wurden während der Pandemie 573 Menschen zu neuen Milliardär*innen – 62 davon aus dem Lebensmittelsektor. Alle 30 Stunden wurde eine weitere Person Milliardär*in!

Aufgrund der immer gravierenderen Auswirkungen der Klimakrise, der Zunahme von Konflikten und der anhaltenden Ungleichheit werden Hunger und Armut fortgeschrieben und verstärkt. Dies führt zu einer noch nie dagewesenen Anzahl von Krisen und gewaltsamen Vertreibungen.

Geberregierungen können schnell und massiv auf Krisensituationen wie den Krieg in der Ukraine reagieren, wenn der politische Wille vorhanden ist. In den letzten zwei Jahren haben wirtschaftlich privilegierte Länder als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie über 16 Billionen Dollar in ihre Volkswirtschaften gepumpt, um Menschen zu unterstützen.

In krassem Gegensatz dazu sind die Aufrufe der Vereinten Nationen an die Geberländer zur Finanzierung der humanitären Krisen in Syrien, Jemen, Nordost-Nigeria und Südsudan nach wie vor stark unterfinanziert. Würden alle Regierungen ihr Versprechen einhalten, mindestens 0,7 % ihres Bruttoinlandsprodukts für die Auslandshilfe bereitzustellen, bräuchten sie keine Entscheidungen darüber treffen, welche Menschen Unterstützung erhalten und welche nicht.

Geld muss gerecht umverteilt werden

Die Bewältigung einer Krise darf nicht auf Kosten der Bewältigung einer anderen gehen. Bei der Lösung der Ernährungskrise geht es um die Umverteilung von Wohlstand und Ressourcen, sowohl im Inland als auch auf internationaler Ebene. Die Ernährungskrise ist daher eine Frage des politischen Mutes und Willens.

Die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit sind begrenzt. Daher ist es notwendig, kreativ zu werden und neue Finanzierungsquellen durch Schuldenerlass und progressive Maßnahmen zur Besteuerung von Reichtum und Unternehmensgewinnen zu ergreifen. Die so erzielten Einnahmen sollten in wirksame und bewährte Maßnahmen zum Abbau von Ungleichheit, zur Bekämpfung von Hunger und Armut und zum Aufbau einer besseren Zukunft für alle investiert werden.

Die Besteuerung von extremem Reichtum und übermäßigen Gewinnen von Unternehmen wäre auch eine gerechte und legitime Maßnahme, da sie unser fehlerhaftes Wirtschaftssystem korrigiert, das dazu neigt, Ungleichheit zu verstärken und Unternehmensgewinne zu konzentrieren.

Mit finanziellen Mitteln allein lassen sich nicht alle Probleme lösen – es sind auch wichtige politische Änderungen erforderlich, um die Klimakrise, Menschenrechtsverletzungen, Konflikte und andere Faktoren anzugehen, die den Hunger aufrechterhalten. Jedoch sind ausreichende Mittel erforderlich, wenn die Welt das fehlerhafte und ungleiche Ernährungssystem korrigieren will.

9 Oxfam-Mitarbeiter*innen tragen einen grünen Banner mit der Aufschrift "Corona, Klima, Krieg: Krisengewinne besteuern - Armut überwinden" auf der G7-Demo 2022. 7 von ihnen (mittig) tragen Big-Heads und posieren so als G7-Regierungschefs.
Oxfam-Mitarbeiter*innen posieren als G7-Regierungschefs auf der G7-Demonstration in München (Juni 2022): Sie fordern eine gerechtere politische Antwort auf die aktuellen Krisen!

Marc J. Cohen ist Experte bei Oxfam America für Entwicklungsfinanzierung und Ernährungssicherheit. Er ist Mitautor der Publikation Fixing Our Food: Debunking 10 myths about the global food system and what drives hunger.