„Die Kartoffel muss nach Afrika!“, verkündete Staatssekretär Beerfeltz des Entwicklungsministeriums (BMZ) mit markigen Worten im Juni 2013. Einige Monate später erfolgte der Startschuss für die „Kartoffelinitiative Afrika“. Sie ist Teil der von Entwicklungsorganisationen scharf kritisierten German Food Partnership (GFP), die das BMZ letztes Jahr still und heimlich hat auslaufen lassen. Mitte Dezember 2015 konnte ich dank der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) einen Einblick in das Kartoffelprojekt in Kenia gewinnen. Die dort erhaltenen Informationen und erlangten Eindrücke haben mir bestätigt, wie problematisch die Kooperation mit Agrarkonzernen als Ansatz in der Hungerbekämpfung ist.
Die Kooperationspartner: Europlant, Solana, Bayer CropScience und Grimme
Kurz zum Hintergrund: Das BMZ finanziert ein Pilotprojekt mit ca. 700.000 Euro, bei dem u.a. Kartoffelsorten von Europlant und Solana, Pestizide von Bayer CropScience und Maschinen von Grimme zum Einsatz kommen. Allen Unternehmen ist gemeinsam, dass die Kartoffel für sie ein strategisch wichtiges Produkt ist.
Auf der Homepage der GFP ist zu lesen: „Mit Kleinbauern und Projektpartnern werden neue Kartoffelsorten und Technologien, wie z.B. Landmaschinen, getestet. Im Fokus stehen moderne Anbau- und Weiterverarbeitungsmethoden und gute landwirtschaftliche Praxis.“ Diese Sorten sind für die Weiterverarbeitung, z.B. von Kartoffelchips geeignet. Das Ziel: Armut und Hunger reduzieren sowie die ökologische Nachhaltigkeit verbessern. Im Kern soll dies durch einen „produktionssteigernden Technologietransfer“ erreicht werden. Im Zuge der Feldversuche kommen deutsche Produkte zur Anwendung.
Konkurrierende Wirtschaftsinteressen: Niederlande versus Deutschland?
Die niederländische Regierung hat bereits im Jahr 2011 ein Kartoffelprojekt in Kenia gestartet und eine Kartoffelplattform ins Leben gerufen. Dabei ging es um die Einführung neuer Sorten und deren Vermehrung, also auch wie beim BMZ-Projekt um die Erschließung neuer Märkte, in diesem Fall für niederländisches Kartoffelpflanzgut. Die Niederlande ist „der größte Produzent von Saatkartoffeln“. Von den ungefähr 40 Kartoffelsorten, die in Kenia gelistet sind, wurden viele in den letzten drei Jahren aus den Niederlanden importiert. Darunter auch die Kartoffelsorten, die im Pilotprojekt des BMZs getestet wurden: Jelly, Connect, Caruso, Rumba. Interessanterweise wurden diese von Den Hartigh, der niederländischen Tochter von Solana, und von Europlant NL importiert.
Mit der Kartoffelinitiative verbessert das BMZ nun die Marktposition der deutschen Unternehmen im kenianischen Markt. Es ist anzunehmen, dass dieser Aspekt von Anfang an bei der Planung der Kartoffelinitiative (endete 2015) eine wichtige Rolle gespielt hat. Im Jahr 2015 gründete die Niederlande eine ostafrikanische Kartoffelplattform. Die GIZ plant nun auch, die Kartoffelinitiative regional in Ostafrika auszuweiten. Zufall? Vielleicht ja, wahrscheinlich aber eher nicht.
Tolle Knolle: nahrhaftes Grundnahrungsmittel
Entgegen der Aussage von Staatssekretär Beerfeltz ist die Kartoffel bereits seit gut 100 Jahren in Kenia, ist dort aber nicht ursprünglich heimisch. Sie ist nach Mais das zweitwichtigste Grundnahrungsmittel, sehr nahrhaft und günstiger als Reis. Die Kartoffel wird auf ca. 128.000 ha von mehr als 500.000 Bauern, zu 90 Prozent Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, angebaut. Kartoffelanbau ist in Kenia Frauensache. Das heißt, die Kartoffel ist wichtig für eine gute Ernährung und deren Anbau stellt aktuell eine wichtige Einkommensquelle für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen dar. 96 Prozent des Kartoffelpflanzguts stammen bislang aus der eigenen Ernte oder von benachbarten Höfen, d.h. die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen müssen kein teures, zertifiziertes Pflanzgut kaufen. Im Bezirk Nyandarua, in dem das GIZ-Projekt umgesetzt wird, gibt es 130.000 Betriebe, die hauptsächlich Kartoffeln anbauen. Es spricht also vieles dafür, den Kartoffelanbau sozial und ökologisch nachhaltig zu gestalten, aber auch Alternativen zu entwickeln.
Absurde Entwicklungshilfe?
Das erste GIZ-Projekt (damals noch GTZ) zum Aufbau einer Saatkartoffelindustrie in Kenia geht bereits auf das Jahr 1968 zurück. Auch damals ging es schon um die Saatkartoffelproduktion, um die Lagerung und Testversuche zur Bekämpfung von Schädlingen. Eine Studie des Internationalen Kartoffelinstituts (CIP) aus dem Jahr 1993 bescheinigte dem GIZ-Projekt, das 1979 endete, nur eine geringe Wirkung und eine fehlende Nachhaltigkeit. In der Bewertung des kenianischen Saatkartoffelsystems wurde zudem eine Diskrepanz zwischen den von Wissenschaftlern untersuchten und den von Bauern bevorzugten Kartoffelsorten festgestellt. Dies ist leider in der Agrarforschung auch heute noch immer wieder der Fall. Wie sieht aber nun die Situation heute, 35 Jahre später, aus?
Beim Besuch des GIZ-Kartoffelprojekts im Nyandarua-Bezirk Mitte Dezember 2015 zeigten sich die staatlichen Vertreter/innen als auch zwei Testbetriebe sehr zufrieden. Die Produktion konnte gesteigert werden und die beteiligten Betriebe erzielten nach Angaben des Behördenvertreters höhere Einnahmen. Allerdings wurden den Testbetrieben, soweit ich das verstanden habe, die Saatkartoffeln, die Pestizide und der Maschineneinsatz in der Testphase kostenlos zur Verfügung gestellt. Trotzdem sehe ich das Projekt nach wie vor sehr kritisch. Warum?
- Krankheitsdruck und pestizidfokussierter Anbau: Knollenfäule ist ein großes Problem im Kartoffelanbau in Kenia. Dies hängt auch sehr stark mit fehlenden Anbaupausen (Fruchtfolge) zusammen. Normalerweise erfolgt selbst im konventionellen Kartoffelanbau eine Anbaupause von 4-5 Jahren (im ökologischen Landbau 6-7 Jahre). Im GIZ-Projekt wird der Fokus auf den Einsatz von Pestiziden von Bayer CropScience (und Syngenta?) gesetzt. Wöchentlich wird eine neue Pestizidkombination auf die Kartoffeln gesprüht. Alternativen, die eine Minimierung von externen Inputs erlauben, wurden nicht untersucht und nach Angaben eines befragten Bauern auch nicht aufgezeigt. Gleichwohl ist die Auswahl möglicher alternativer Anbaufrüchte in der Höhenlage begrenzter.
- Risiko der Einschleppung von aggressiven Krankheitsformen: Über den Import besteht das Risiko, dass eine aggressive Ausprägung der Knollenfäule eingeschleppt wird, die in der Europäischen Union vorkommt, aber nicht in Kenia bzw. Ostafrika. Zwar verneint die EU-Kommission dies in einer Antwort (12.6.2013) auf eine Anfrage von der Europaabgeordneten Ska Keller, aber trotzdem bleibt dies Risiko fortbestehen.
- Auswahl der Sorten: Die Saatkartoffeln wurden aus Deutschland importiert. Obwohl auch in benachbarten Ländern wie Uganda und Ruanda in den letzten Jahrzehnten relativ viele Kartoffelsorten entwickelt wurden, die u.U. sogar wesentlich angepasster an die lokalen Bedingungen sind, wurde dies nicht untersucht. Aufgrund der Kooperation mit deutschen Unternehmen, wurden den kenianischen Bauern und Bäuerinnen neben ihren bereits verfügbaren kenianischen nur deutsche Saatkartoffeln angeboten.
- Krankheitsresistente Sorten: Die europäischen Sorten, die für die Weiterverarbeitung geeignet sind, benötigen wegen ihrer geringeren Krankheitsresistenz mehr Pestizidbehandlungen als lokal verwendete Sorten. Aus Ernährungssicherungsperspektive ist für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen jedoch die Züchtung auf Krankheitsresistenz und Toleranz zu Trockenheit und Wärme, gerade in Zeiten des Klimawandels von entscheidender Bedeutung. Offensichtlich sind später reifende Sorten eher resistenter gegen Knollenfäule.
- Sortencharakteristika: Eine Umfrage des CIP hatte damals ergeben, dass für die Bauern bei der Auswahl der Sorte nicht nur der Ertrag, sondern auch die kulinarischen Qualitäten sowie die Resistenz gegen Knollenfäule und natürlich auch die Vermarktungsfähigkeit wichtig sind. Die Kenianer bevorzugen geschmacklich offensichtlich die lokale Sorte „Shangi“ gegenüber europäischen Sorten. Ein anderer Vorteil der lokalen Sorten sind teilweise kürzere Garzeiten, ein durchaus wichtiges Argument, wenn wenig Geld zum Kauf von Gas zur Verfügung steht.
- Schlechte Bodenqualität: Die schlechte Bodenqualität ist eine Ursache für die niedrigeren Erträge in Kenia, wie die GIZ selbst in ihrem Projektkonzept darstellt. Trotzdem wird darauf im Projekt nicht eingegangen. Das BMZ erklärt auch auf eine Anfrage der LINKEN, dass im Rahmen der Kartoffelinitiative „keine Schulungen“ durchgeführt wurden. Es wäre sicherlich sinnvoll gewesen, im Projekt nicht nur eine umfassende Beratung (jenseits von Kartoffeln) anzubieten, bei denen auch agrar-ökologische Alternativen vorgestellt werden, sondern auch ökologischere Anbauverfahren bei Kartoffeln zu testen. Hierbei kann auf Erfahrungen in anderen Ländern zurückgegriffen werden. Eine Fruchtfolge ist zentral für eine erfolgreiche, ökologisch nachhaltige Landwirtschaft. Das CIP in Kenia hat bereits Feldversuche mit Zwiebeln in der Fruchtfolge gemacht, die erfolgsversprechend sind und in dem Projekt nicht berücksichtigt wurden.
- Keine Hungerreduzierung: Auf Nachfrage wurde mir erklärt, dass die beteiligten Haushalte nicht von Hunger betroffen sind (möglicherweise auch nicht von Armut?). Dabei ist dieses Ziel im Projektkonzept der GIZ als solches deutlich formuliert worden. Es ist davon auszugehen, dass die Kooperation mit Agrarkonzernen im Rahmen des Kartoffelprojekts die Zahl der von Hunger betroffenen Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in dem Bezirk nicht reduziert hat. Sie sind offensichtlich nicht die Zielgruppe des Projekts.
- Hohe Produktionskosten und hohes Risiko: Kleinbauern und Kleinbäuerinnen haben wenig bis gar keinen finanziellen Puffer, um Ernteverluste bzw. Fehlinvestitionen auszugleichen. Der Fokus auf eine kostenintensive Form des Kartoffelanbaus mit massivem Einsatz von Pestiziden (die Pestizidpakete von Syngenta und Bayer sind deutlich überdimensioniert), Düngemitteln und dem Kauf von teurem zertifizierten Saatgut ist mit erheblichen finanziellen Risiken im Falle von Ernteverlusten (z.B. durch Klimawandel, Schädlingsbefall) verbunden. Wenn die Ertragssteigerungen und die Einnahmen nicht entsprechend höher ausfallen, könnte die Steigerung der Netto-Einkommen wie in anderen agrar-ökologischen Projekten belegt, geringer als mit Alternativen ausfallen.
- Neue Kunden für Europlant, Bayer etc.: Die Strategie der deutschen Unternehmen könnte gut aufgehen, über die Kooperation mit dem BMZ neue Kunden für ihre Produkte zu erwerben. Dies ist für sie wichtig, da die ausländische Konkurrenz nicht schläft. Aufgrund der Tatsache, dass die Inputs kostenlos bereitgestellt wurden und die Erträge in der Testphase (kurzfristig) höher waren, ist zu erwarten, dass einige Betriebe auch weiterhin die neuen Sorten und die entsprechenden Pestizide, zumindest zum Teil, einsetzen werden. Dabei tragen die Betriebe am Ende das volle Risiko.
Fazit
Die Kooperation mit Agrarkonzernen bringt es mit sich, dass ihre Geschäftsmodelle und Wirtschaftsinteressen Grundlage für das Kartoffelprojekt sind, mit all den Problemen, die damit verbunden sind. Das BMZ und die GIZ sollte die Kooperation mit den Agrarkonzernen nicht fortsetzen. Es gibt bessere Ansätze, die von der GIZ in Kenia bereits gefördert werden, die eher dazu geeignet sind, eine sozial und ökologisch nachhaltige kleinbäuerliche Landwirtschaft auch im Kartoffelbereich stärker zu fördern. Für die Reduzierung der Anzahl der Hungernden ist allerdings eine Fokussierung genau auf diese Zielgruppe erforderlich. Dabei sollten betroffene Kleinbauern und Kleinbäuerinnen und ihren Organisationen bereits in der Planungsphase von Projekten einbezogen werden.
3 Kommentare
Als Wahlafrikaner, verheiratet mit einer Togoerin, habe ich 6 Jahre in Togo gelebt und mein Feld bestellt. In Westafrika wachsen keine Kartoffeln, es ist nachts zu warm. Der Anbau wäre in Afrika aus mehreren Gründen von großer Bedeutung. Bitte teilen Sie mir mit, mit welchen Kartoffeln sie in Kenya Erfolg haben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jürgen Onken
Wurde in Zusammenhang mit "Public Private Partnership" (PPP) hierher verlinkt, anscheinend als Argumentation gegen Mitwirkung der Privatwirtschaft in der Entwicklungszusammenarbeit. Bin selber Agronom und habe in einer ganzen Reihe von Projekten in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa gearbeitet, auch in Kartoffelanbau.
Die Argumentationslinie kann ich trotz Lücken einigermassen nachverfolgen, was die begangenen Fehler bei der Wahl der Kartoffelsorten, der Technologien, wohl auch der Region (Böden) und der „Zielgruppen“ betrifft. Sie sind klassisch und lassen Planung durch Leute ohne Felderfahrung vermuten.
Der grundlegende Fehler scheint aber ganz am Anfang gemacht worden zu sein: Wer auf die Idee kommt, auf grossmasstäblichen und ertragsoptimierten Anbau in Mitteleuropa spezialisierte Agrarfirmen einzusetzen in einem Projekt, wo kleinbäuerlicher Anbau vorherrscht und gewiss auch Low tech, ist inkompetent oder nicht bei Trost.
Die Agrarfirmen haben ihre Technologien angewandt und damit getan, was sie kennen. Dass sie sich in einer neuen Region gern etablieren, ist ihnen nicht zu verdenken.
Auch in der GIZ existiert das know-how, wie man an kleinbäuerliche Landwirtschaft herangeht. Warum das nicht genutzt wurde, bleibt unerklärt.
Das ist nicht ein Fallbeispiel gegen PPP, sondern eines für Inkompetenz der betreffenden Entwicklungsbürokratie.
Ich finde Ihren Artikel und die Bedenken sehr richtig. Ich hatte 2013/14 auch ein Jahr in Kenia zu tun. Die GIZ förderte doch auch eine lokale Innovation zur Erzeugung von lokalen Pflanzkartoffeln. Das Projekt arbeitete aber mit Grossbauern (1000ha+) zusammen die die Kartoffeln in Hydrokultur erzeugen. Dies geschieht um Krankheiten auszuschliessen. Damit ist das ganze nur für grosse Bauern gedacht. Dann soll das ganze billige Saatkartoffeln für Kleinbauern erbringen. Eher sehr fragwürdig.
Der kleinbäuerliche Anbau ist allerdings auch extrem mit Kartoffelkrankheiten verbunden, da die Bauern zu wenig über die Erzeugung von virusfreiem Saatgut wissen. Gebraucht wäre also eine gute Agrarberatung zu diesem Thema. Das fehlt aber weitgehend. Statt dessen testet man x-verschiedene fragwürdige Innovationen die allesamt mangels Interesse letztlich versanden.
Lorenz Bachmann