Oxfam hat es sich zum Ziel gemacht hat, die ungleiche Verteilung von Macht und Ressourcen innerhalb der Konförderation zu beseitigen. Die ursprüngliche Struktur Oxfams umfasste eine kleine Anzahl an Nichtregierungsorganisationen (NRO) im Globalen Norden, Mitgliedsorganisationen oder auch Affiliates genannt. Unser Ziel ist es, uns zu einem breit gefächerten Netzwerk von Affiliates auf der ganzen Welt zu entwickeln, die an einer gemeinsamen Vision und Mission arbeiten. Heute hat Oxfam Mitgliedsorganisationen in Indien, Mexiko, Brasilien, der Türkei, Kolumbien und Südafrika, weitere sind in Planung.

Oxfam ist mit diesem Ansatz nicht allein. Viele andere internationale Nichtregierungsorganisationen (INROs oder INGOs) im Bereich der Humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit haben sich für einen ähnlichen Weg entschieden.

Neben dem, was Oxfam als „globales Gleichgewicht“, oder „Global Balance“ bezeichnet, arbeiten wir daran, unsere Selbstverpflichtung zur Lokalisierung, also zur Förderung und Stärkung lokaler und nationaler Akteure zu erfüllen. Oxfam investiert daher insbesondere in Projekte, die von Partnerorganisationen geleitet werden. Auf diese Weise können lokale Akteure notwendige Fähigkeiten entwickeln sowie Netzwerke und institutionelle Kapazitäten stärken, die sie benötigen, um erfolgreich agieren zu können. Oxfam hat sich außerdem dazu entschieden, sich aus einer dominanten Rolle in der Nothilfe zurückzuziehen und ist dazu übergegangen, die Arbeit lokaler Akteure zu ergänzen und zu unterstützen.

Die Lokalisierungsagenda und die Expansion des Oxfam-Verbundes in den Globalen Süden basieren auf denselben Grundwerten und können sich gut gegenseitig ergänzen. Jedoch hat die Entscheidung darüber, welchen Raum eine Organisation einnimmt und wie sie agiert, erhebliche Auswirkungen auf diejenigen, die diesen Raum ihr Zuhause nennen. Einige lokale und nationale Organisationen beanstanden, dass INRO-Mitgliedsorganisationen mit ihnen um Finanzmittel und um hart erkämpfte Sitze am Entscheidungstisch konkurrieren – ein Verhalten, das die lokalen Akteure eher schwächt als stärkt.
Befinden sich die beiden Vorhaben also auf einem Kollisionskurs oder ist es möglich, dass sie aufeinander aufbauen und sich gegenseitig stärken können?

Wildern und stehlen

Meine Befürchtung ist, dass [internationale Organisationen] ankommen, sich einrichten, Erwartungen wecken und wieder gehen ... Ich befürchte eine neokolonialistische Haltung und eine „Rückeroberung“, so als ob die Menschen hier nicht viel zu deren Fachwissen oder Ressourcen beizutragen hätten. Das wäre ein katastrophales Szenario.
Luis Guillermo Guerrero, Direktor des Center for Research and Popular Education, eine kolumbianische Nichtregierungsorganisation

Die Aussicht, dass internationale Unterstützer zu lokalen Konkurrenten werden, löst bei den lokalen Akteuren sowohl Angst als auch Empörung aus. Eine vor Ort registrierte, internationale NGO hätte Zugang zu allen Systemen und zusätzlich die Unterstützung der Mitgliedsorganisationen im Norden, was ihr einen Vorsprung bei der Vergabe von Finanzmitteln verschaffen würde. Sie könnte in Notsituationen ins Rampenlicht treten, indem sie selbst aktiv wird, anstatt fähige lokale Organisationen zu unterstützen. Und sie könnte Sitze am Tisch einnehmen, die zu Recht einheimischen Gruppen gehören.

Die Suche nach einem globalen Gleichgewicht

Im Jahr 2008 entschied Oxfam, eine ausgewogenere und gleichberechtigtere Aufteilung der Mitgliedsorganisationen anzustreben, um sich der lokalen und nationalen Zivilgesellschaft gegenüber solidarischer zu zeigen. Diese Entscheidung trug schnell Früchte. Neue Mitgliedsorganisationen wie Oxfam Indien setzten sich sofort kritisch mit nationalen Themen auseinander. Die Direktor*innen neu gegründeter Affiliates wurden zu Mitgliedern der Führungsgremien der Oxfam-Konföderation und brachten so neue Stimmen, Meinungen und Arbeitsweisen ein.

Das „globale Gleichgewicht“ ist für Oxfam nicht nur ein internes, sondern vielmehr ein politisches Projekt. Es beeinflusst, wie Oxfam in der Welt agiert [...]. Es bedeutet, die Vielfalt zu stärken und zu nutzen, Inklusion und Gerechtigkeit zu fördern und die Bürger*innen als Akteur*innen eines Wandels zu bestärken – sowohl innerhalb als auch außerhalb von Oxfam.
Leela Ramdhani, Chief Operating Officer bei Oxfam International

Oxfams Weg

Oxfam zählt derzeit sechs Mitgliedsorganisationen (unabhängige, auf nationaler Ebene registrierte NROs mit lokalen Vorständen) im Globalen Süden, fünf weitere sollen folgen. In Kolumbien beispielsweise, wo Oxfams bereits bestehendes Büro im März 2021 in eine Mitgliedsorganisation umgewandelt wurde, wurden mehr als 200 lokale Akteur*innen – darunter Vertreter*innen von mehr als 50 lokalen Organisationen – gebeten, ihre Gedanken und Perspektiven zu diesem Übergang mitzuteilen. Die kolumbianischen NROs forderten, dass Oxfam mit ihnen für den Frieden arbeitet und nicht mit ihnen um Finanzmittel konkurriert. Der Direktor von Oxfam Kolumbien, Carlos Mejía, stimmte zu:

Wir bringen den Geldgebern bei, dass wir alles, was wir tun, gemeinsam mit anderen tun. Wann immer es eine Finanzierungsmöglichkeit gibt, bewerben wir uns gemeinsam mit den jeweiligen Partnern. […] Gemeinsam arbeiten wir daran, dass unser Land sicherer, widerstandsfähiger und gerechter wird.
Carlos Mejía, Executive Director von Oxfam Kolumbien

Prinzipien

  • Nationale Mitgliedsorganisationen von INGOs sind nicht rein lokale Organisationen. Sie sind mit globalen Netzwerken verbunden und sollten ihren lokalen Partnerorganisationen Zugang zu diesen Netzwerken verschaffen, wenn sich ihre Agenden decken.
  • Um sicherzustellen, dass der Übergangsprozess hin zu Mitgliedsorganisationen die lokalen Akteure stärkt und nicht schwächt, müssen zwei feministische Prinzipien beachtet werden: Zusammenarbeit und Solidarität. Es ist leicht, diese Werte für sich zu beanspruchen, aber sie in vollem Umfang zu übernehmen bedeutet, dem Drang nach Wettbewerb zu widerstehen.
  • In Notsituationen kann das bedeuten, dass man Partnerorganisationen finanziell unterstützt, ihre Maßnahmen begleitet oder direkt eingreift, wo Lücken bestehen, jedoch ohne dominant zu sein.
  • Die Stärkung der Kapazitäten in einer wirklich kooperativen Weise erfordert, dass alle Parteien sich selbst als Treiber für Verbesserungen und potenzielle Wissensquellen betrachten. Das bedeutet: Lernen zu teilen und lernen, auch auf das zu hören, was man nicht hören will.

Wenn INGOs nationale Mitgliedsorganisationen gründen, ist das Wie ebenso wichtig wie das Was. Die Übernahme feministischer Grundsätze kann dazu beitragen, der Tendenz zur Dominanz entgegenzuwirken. Insbesondere können sie dazu beitragen, der kolonialen Denkweise entgegenzuwirken, von der die Organisationen im Norden geprägt sind.

Hoffnungen, Ängste und Verbindlichkeit

Einige lokale NROs verwandeln sich in nationale und sogar internationale Organisationen, während einige INROs nationale Mitgliedsorganisationen aufbauen oder lokale Büros einrichten. Wachstum und Anpassungen wie diese sind nicht neu, aber der aktuelle Kontext ist beispiellos: langanhaltende Konflikte, die Klima-, Migrations- und Covid-19-Krise und die Todesfälle, die die Black-Lives-Matter-Bewegung beflügelten, haben – zusammen mit dem wachsenden Rechtsnationalismus – das moralische, politische und praktische Versagen der Führungselite im Globalen Norden deutlich gemacht. In der Zwischenzeit hat der Ausbau digitaler Infrastruktur den Graswurzelaktivismus zum Blühen gebracht und dazu beigetragen, eine südbasierte, internationale Bewegung lokaler Akteure zu stärken, die sich nicht zum Schweigen bringen lässt.

Um den dringenden und wachsenden humanitären Bedarf zu decken, müssen alle an Bord sein. Doch für Organisationen aus dem Norden, die traditionell eine dominante Rolle im humanitären Sektor spielen, ist es oft schwer zu begreifen, wie sie wirklich gleichberechtigte und wünschenswerte Partner der lokalen Akteure werden können. Es ist an der Zeit, dass die INGOs ihren Platz in einem humanitären Ökosystem einnehmen, das den Wert aller seiner Teile anerkennt, und statt Wettbewerb Zusammenarbeit in den Fokus stellt.

Was Oxfam in Kenia bisher getan hat, war großartig. Aber wenn die Gründung einer Mitgliedsorganisation in irgendeiner Weise die lokale Zivilgesellschaft untergräbt, dann sind wir nicht dafür […]. Wenn Oxfam seine Arbeitsweise ändert und zu einem Konkurrenten der lokalen Akteure wird, sind wir dagegen. Das ist ganz klar.
Ahmed Abdi, Executive Director von Arid Lands Development Focus und Mitbegründer des ASAL network of local and national NGOs

Oxfam beherzigt das. „Wenn wir diesen Prozess noch einmal mit dem Wissen beginnen könnten, das wir jetzt haben, würden wir uns stärker darauf konzentrieren, sicherzustellen, dass unsere Auswirkungen auf die lokale Zivilgesellschaft und unsere Arbeitsweise durchweg positiv sind“, sagt Gabriela Bucher, Executive Director von Oxfam International. „Wir lernen und entwickeln uns weiter. Aber wir glauben, dass es für national registrierte INGOs möglich ist, einen positiven Effekt auf die lokale Zivilgesellschaft zu haben, und das ist es, wozu wir uns rund um den Globus verpflichtet haben.

 

Der Text ist eine gekürzte Version des englischen Originals Can INGOs go national in the Global South without recolonising aid?

1 Kommentar

Ja, diese postkolomiale Machtverteilung sollte endlich auf die Agenda jeder Hilfsorganisation. Konsequent sind Selbstorganisierte Basisinitiativen mit basisdemokratischer Entscheidungsstruktur allen anderen Hilfsmöglichkeiten vorzuziehen. Ich habe immer wieder erlebt, dass kleine lokale Organisationen in mühsamer Kleinarbeit gute Fachleute praktisch ausgebildet, die dann aber in große Organisationen "Geld lockt eben" abwandern. Es wird Zeit, die kritische Diskussion vor seiner eigenen Haustür zu führen Elu

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