Stärkung lokaler Organisationen
Ebenfalls auf der Agenda steht die Stärkung lokaler Organisationen als Akteure der humanitären Hilfe. Dabei geht es vor allem um die sogenannten First Responders, die Ersthelfer, die im Katastrophenfall sofort an Ort und Stelle sind: lokale zivilgesellschaftliche Organisationen, kommunale Katastrophenschutzbehörden oder die örtlichen Bereitschaften des Roten Kreuzes bzw. Roten Halbmondes. Sie leisten lebensrettende Nothilfe, lange bevor die ersten internationalen Helferinnen und Helfer das Krisengebiet erreichen.
Dass im Vorfeld des Weltgipfels die Rolle, die lokale Akteure in der humanitären Hilfe spielen, deutlich hervorgehoben wurde, ist sehr zu begrüßen. Entgegen einer allgemeinen Tendenz in der öffentlichen Wahrnehmung ist die lokale Ebene nicht nur in den ersten Stunden und Tagen nach einer Katastrophe extrem wichtig, sondern durchgängig in allen Phasen der humanitären Hilfe. Als Partner internationaler Hilfsorganisationen sind es zum Beispiel lokale Akteure, die einen Großteil der Hilfe vor Ort konkret umsetzen. Dabei kommt ihnen eine Reihe von Vorteilen zugute: Sie sind langfristig im betroffenen Land engagiert und werden von der Bevölkerung akzeptiert. Das Personal spricht die Landessprache und kennt den sozialen, kulturellen und politischen Einsatzkontext nicht nur aus dem Internet. Schließlich sind in schwierigen Einsatzkontexten lokale Organisationen häufig die einzigen Akteure, die überhaupt direkt vor Ort arbeiten können.
Weil lokale Akteure eine so zentrale Rolle spielen, sollte sich der WHS mit der Frage befassen, auf welche Art und Weise deren Arbeit konkret unterstützt werden kann.
Zugang zu Projektgeldern ermöglichen
Eine Möglichkeit wäre, ihnen einen direkteren Zugang zu Projektgeldern zu ermöglichen. Das wäre möglicherweise auch ein Beitrag zum Bürokratieabbau im humanitären Sektor, und das Geld würde schneller dorthin fließen, wo es umgesetzt wird.
Bislang geht nur ein erstaunlich geringer Teil der öffentlichen Gelder für humanitäre Hilfe direkt an Organisationen vor Ort. Das hat unter anderem mit dem Zuwendungsrecht internationaler Geber zu tun: Beispielsweise kann die Europäische Union finanzielle Mittel für Hilfsprojekte nur an NGOs vergeben, die in einem europäischen Land registriert sind. Interessanterweise werden häufig genau diese Drittmittel – nicht selten über mehrere Zwischeninstanzen hinweg – an lokale Partner weitergereicht, die das betreffende Projekt im Endeffekt vor Ort implementieren.
Auch aus den gemeinsamen Hilfsfonds (pooled funds), die es in vielen Krisenländern direkt vor Ort gibt und die von den UN verwaltet werden, erhalten einheimische NGOs durchschnittlich nur rund 16 Prozent auf direktem Weg. Hier kann sicher etwas getan werden, um lokalen Akteuren einen besseren Zugang zu ermöglichen.
Langfristige Finanzierungsbasis schaffen
Eine zweite Möglichkeit wäre, sich stärker um die langfristige Finanzierungsbasis lokaler Akteure in der humanitären Hilfe zu kümmern. Die Anforderungen an lokale Partner, was Professionalität und Leistungsfähigkeit angeht, sind hoch. Sie müssen heute nicht nur über bestimmte technische Kapazitäten und Fähigkeiten verfügen, sondern auch eine einwandfreie Rechnungslegung gewährleisten, zahlreiche Geberrichtlinien in ihren unterschiedlichen Projekten berücksichtigen, zuverlässige Korruptionsprävention betreiben, die einschlägigen humanitären Standards und Prinzipien anwenden und verhandlungssicheres Englisch sprechen.
Aus Gebersicht sollte man sich deswegen verstärkt damit befassen, wie eine lokale Organisation für all diese notwendigen und überaus sinnvollen Anforderungen finanziell aufkommen kann. Fest steht, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen kostendeckende und nachhaltige Organisationsentwicklung für lokale Akteure keine einfache Aufgabe ist. Die erwähnten Drittmittel aus Partnerschaften mit den UN oder mit internationalen NGOs sind z.B. in der Regel projektgebunden und enthalten keine Verwaltungskostenpauschalen, aus denen lokale Partner ihre allgemeinen Unkosten anteilig decken könnten.
Wenn die Geberregierungen sich in Istanbul zumindest grob auf die gemeinsame Fahrtrichtung verständigen, dass mindestens 10% der jährlich verfügbaren Mittel für humanitäre Hilfe direkt an lokale Hilfsorganisationen fließen sollen und dass zudem Mechanismen identifiziert und eingerichtet werden müssen, die eine längerfristig angelegte Unterstützung lokaler humanitärer NGOs bei der Basisfinanzierung ermöglichen, dann wäre auf dem Humanitären Weltgipfel bereits einiges erreicht.
Empfehlungen von Oxfam an die Regierungsdelegationen des WHS
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