Oxfam: In den letzten Monaten hat ATFD politisch viel erreicht. Was war der wichtigste Erfolg?

Nadia Benzarti: Zusammen mit anderen Frauenorganisationen machen wir uns seit Langem gegen das Scharia-Erbrecht stark, nach dem Frauen nur halb so viel erben wie Männer. In diesem Jahr gibt es dazu endlich einen Gesetzesvorschlag, der hoffentlich bald vom Parlament verabschiedet wird.

Gibt es trotzdem Dinge, mit denen Sie unzufrieden sind?

Gesetze sind nicht alles, oft hapert es an der Umsetzung. 2017 wurde zum Beispiel ein Gesetz verabschiedet, das Gewalt gegen Frauen unter Strafe stellt. Das ist toll, aber in der Praxis gibt es viele Hürden. Zum Beispiel gibt es nur in den großen Städten Ärzte, die Verletzungen für die Polizei dokumentieren dürfen. Bis die Frauen dort hinkommen, sind die Spuren der Gewalt oft nicht mehr nachweisbar. Generell ist die Situation für Frauen vor allem in den ländlichen Gebieten sehr schwierig, die Mentalität und soziale Kontrolle sind von der fortschrittlichen Gesetzgebung meilenweit entfernt.

Sie arbeiten in einer 1991 von ATFD eingerichteten Anlaufstelle für Frauen – der ersten dieser Art in ganz Tunesien. Wie unterstützt das Zentrum Frauen?

Ich arbeite als Psychologin. Andere Aktivistinnen sind Anwältinnen und übernehmen die Rechtsberatung. Die Frauen, die zu uns kommen, haben häusliche oder sexualisierte Gewalt erfahren. Vor allem unterstützen wir sie dabei, herauszufinden, wie sie sich selbst aus ihrer Notsituation befreien können. Wir kämpfen nicht ihre Kämpfe für sie, wir helfen ihnen dabei, sie selbst auszufechten. Dabei orientieren wir uns an einem feministischen Ansatz, der auf Mitgefühl und Solidarität aufbaut.

Was ist Ihre Hoffnung für die Zukunft?

Wir haben schon viel erreicht, aber wenn ich Länder wie Norwegen sehe, merke ich, wie weit der Weg noch ist. Was mir Mut macht, ist die jüngere Generation. Es ist leichter, mit jungen Menschen über Geschlechtergerechtigkeit zu sprechen. Auch wenn es eine andere Sache ist, ob sie diese auch leben. Trotzdem werden wir weiterkämpfen, bis in Tunesien wirklich Geschlechtergerechtigkeit herrscht.

 

Oxfams Einsatz für Frauenrechte

Auf politischer Ebene und gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen setzen wir uns dafür ein, Frauenrechte weltweit zu stärken, Frauen mehr Gehör zu verschaffen, Gewalt gegen Frauen zu beenden, Frauen in ihrer Arbeit zu entlasten und wirtschaftlich zu fördern und Frauen und Mädchen einen besseren Zugang zu Gesundheitsfürsorge, Bildung und Einkommen zu ermöglichen.

Grundsätzlich fördern wir nur Projekte, die sich positiv auf die Situation von Frauen und Mädchen auswirken.

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Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Frühjahrsausgabe 2019 der EINS.