Anfang des Jahres reisten Dr. Aisha Thawab, Dalia Qasim und Laila Alshabibi, Leiterinnen dreier Partnerorganisationen Oxfams im Jemen, nach Genf. Regierungsvertreter*innen kamen hier zu einer Geberkonferenz zusammen, um über die Zukunft des Jemens zu sprechen. Das Ziel der jemenitischen NGO-Vertreterinnen: ein Appell an die Öffentlichkeit und die Geberländer, die Menschen in ihrer Heimat zu unterstützen.

Menschen wie den elfjährigen Salah(*). Schon zweimal floh der Junge vor der Gewalt – doch sie holte ihn erneut ein. „Vor eineinhalb Monaten wurden meine Cousins und Cousinen von Artilleriegranaten getroffen“, berichtet er. Bei dem Angriff wurden zwei Mädchen getötet: Bilder, die er wohl nicht mehr vergessen wird.

Der elfjährige Salah musste mit ansehen, wie zwei seiner Cousinen bei einem Angriff ums Leben kamen. „Ich hoffe, dass diejenigen, die den Krieg beenden können, wie die Vereinten Nationen, sich beeilen“, sagt er.

Statt zur Schule geht Salah arbeiten, denn Geld und Nahrungsmittel sind knapp: Er sammelt leere Flaschen und Plastik, sucht nach Feuerholz, das er verkaufen kann, oder hütet Vieh in der Nachbarschaft. Der Junge schätzt sich glücklich, drei Mahlzeiten pro Tag zu bekommen – er kennt viele Familien, die hungern müssen. „Gottseidank haben wir bis jetzt überlebt, trotz aller Probleme“, sagt er. „Aber erst wenn dieser Krieg vorbei ist, werden wir Ruhe finden.“

Seit der Vereinigung des Süd- und Nordjemen im Jahr 1990 wurde das Land immer wieder von gewaltsamen Auseinandersetzungen erschüttert – bis der „Arabische Frühling“ im Jahr 2011 die Chance einer friedlichen Entwicklung brachte. 2015 zerbrach diese Hoffnung, als eine Allianz unter Beteiligung der aus dem Norden des Jemen stammenden Huthi-Miliz die Hauptstadt Sana’a eroberte. Der international anerkannte Übergangspräsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi musste ins Exil fliehen.

Eine von Saudi-Arabien geführte Koalition kam der Hadi-Regierung zu Hilfe. Vor allem ihre zahlreichen Luftangriffe – logistisch und mit Waffen unterstützt von den USA, Frankreich und Großbritannien – haben immense Verwüstungen angerichtet und Tausende Menschenleben gefordert. Auch Deutschland hat Kriegswaffen an die Koalition geliefert. Immer wieder zerstören Bomben Schulen, Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen. Doch auch die Huthis sind schon öfter militärisch rücksichtslos gegen zivile Ziele vorgegangen und haben die Nothilfe behindert.

Nothilfe am Limit

Auf die Nothilfe internationaler Organisationen sind Menschen wie Ibrahim(*) dringend angewiesen. „Früher hatten wir unser Land, Vieh und Arbeit, es ging uns gut“, erinnert er sich. „Als der Krieg ausbrach, haben wir alles verloren.“ In der abgelegenen Gegend, in die er geflohen ist, findet der Familienvater keine Arbeit.

Wir essen, was immer wir kriegen können. Manchmal bekommen meine Kinder Brot mit Wasser oder einer Tasse Tee. Wenn jemand krank wird, können wir nicht viel tun. Wir gehen zur Apotheke, und manchmal lassen sie uns dort anschreiben, manchmal aber auch nicht.
Ibrahim
Ibrahim mit seinen Kindern
Vor den Kämpfen in seiner Heimat ist Ibrahim in ein abgelegenes Gebiet geflohen. Er hat keine Möglichkeit, seine sechsköpfige Familie zu ernähren, und ist auf Oxfams Nothilfe angewiesen.

Mehr als drei Millionen Kinder, Frauen und Männer sind im eigenen Land auf der Flucht – eine Möglichkeit, den Jemen zu verlassen, haben sie nicht. Die Wüste, das Meer und die Grenze zu Saudi Arabien sind für die meisten Menschen unüberwindliche Hindernisse. Andersherum gelangen kaum noch lebenswichtige Güter wie Nahrungsmittel, Medikamente oder Treibstoff ins Land: Mit extremen Einfuhrbeschränkungen hat die Kriegskoalition die Bevölkerung in Geiselhaft genommen.

Viele Menschen sind wie Ibrahim vor den Kämpfen in abgelegene Regionen geflohen, in denen es kaum Infrastruktur gibt. Ohne festes Einkommen und mit nur spärlichen Möglichkeiten, etwas zu verdienen, können sie sich Lebensmittel, Medikamente und andere dringend benötigte Artikel nicht leisten. Oxfam unterstützt sie deshalb nicht nur mit Wasser, Nahrung und Sanitäreinrichtungen, sondern greift bedürftigen Familien auch finanziell unter die Arme. „Mit dem Geld von Oxfam zahlen wir unsere Schulden zurück oder kaufen Mehl und Reis davon“, sagt Ibrahim. „Die Laden- und Apothekenbesitzer wissen, dass Oxfam mich unterstützt, darum geben sie mir eine Frist bis Ende des Monats, um zu bezahlen.“

Seit mehr als 30 Jahren arbeitet Oxfam im Jemen, der schon vor diesem Krieg zu den ärmsten Ländern der Welt gehörte. „An Maßnahmen, mit denen Menschen sich aus der Armut befreien können, ist derzeit nicht zu denken“, sagt Oxfams Experte für Krisen und Konflikte Robert Lindner. „Im Moment geht es darum, dass die Menschen überleben.“ Trotz der ständigen Angriffe leisten Oxfam-Teams landesweit in den am stärksten betroffenen Provinzen Nothilfe. Manchmal müssen Büros jedoch wegen der Sicherheitslage geschlossen oder verlegt werden.

Darüber hinaus gilt es, logistische Probleme und bürokratische Hürden zu überwinden. Um trotzdem zu den Menschen zu gelangen, kooperiert Oxfam mit nationalen und lokalen Regierungsbehörden. „Hilfreich sind dabei die guten Beziehungen, die in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind“, so Robert Lindner. „Gemeinsam mit jemenitischen Partnerorganisationen leisten die Oxfam-Teams derzeit humanitäre Hilfe für mehr als drei Millionen Kinder, Frauen und Männer.

Die Zahl derjenigen, die dringend Unterstützung brauchen, ist aber weit höher: Allein 14 Millionen Menschen sind von einer akuten Hungersnot bedroht.“

Eine Botschaft an die Welt

Je länger die Kämpfe dauern, desto verzweifelter wird die Lage dieser Menschen. Ein Ende ist jedoch nicht abzusehen. Zwar saßen die Konfliktparteien im November 2018 erstmals an einem Tisch: In Stockholm schlossen sie einen Waffenstillstand für einige Orte, unter anderem die Hafenstadt Al-Hudeida. Dort können nun wieder einige Schiffe anlegen, die lebenswichtige Versorgungsgüter ins Land bringen. „Die Konfliktparteien halten sich aber nur teilweise an das Abkommen und versuchen weiterhin, militärische Vorteile für sich zu gewinnen“, sagt Robert Lindner. „Der Druck, die Waffen gänzlich niederzulegen, ist scheinbar auf beiden Seiten noch nicht groß genug.“

Auf dem Weg zu einem dauerhaften Frieden kommt Frauen eine besondere Rolle zu. Die Vereinten Nationen fördern deshalb überall auf der Welt Frauen, um Friedensprozesse voranzubringen. Auch Oxfam setzt auf die Frauen im Jemen: „Sie sind oft die ersten, die bei akuten Krisen handeln, und sie wissen deshalb sehr genau, was die Menschen wirklich brauchen. Außerdem vermitteln Frauen bereits häufig bei Konflikten in ihren Gemeinschaften, beispielsweise um Wasser oder Land. Und, so traurig es ist: Dass infolge des Kriegs immer mehr Jemenitinnen ihre Familien allein ernähren müssen, hat ihre Stellung weiter gestärkt“, so Robert Lindner.

In Genf berichteten Dr. Aisha Thawab, Dalia Qasim und Laila Alshabibi sehr anschaulich von ihrer täglichen Arbeit und informierten über die schwierige Lage vor Ort. „Wir haben zahlreiche Entscheidungsträger*innen getroffen und mit ihnen die größten Hindernisse, vor denen wir in der Nothilfe stehen, diskutiert“, sagt Dr. Aisha Thawab. „Sie haben versprochen, unsere Arbeit zu erleichtern und uns zu unterstützen.“

Auf der Konferenz machten die Geberstaaten finanzielle Zusagen für die nach wie vor unterfinanzierte Nothilfe im Jemen. „Oxfam schätzt die Versprechen, die von den Gebern gemacht wurden, sehr“, so Dina Elmamoun, Oxfams Expertin für Rechte in Krisen und Konflikten im Jemen. „Aber was der Jemen wirklich braucht, ist Frieden, einen sofortigen Waffenstillstand, das Ende der Konflikte sowie den Schutz der Zivilbevölkerung.“

Nicht veröffentlicht

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Seit Ausbruch der jüngsten Krise hat Oxfam im Jemen bereits mehr als drei Millionen Menschen erreicht. Wir stellen vor allem Trinkwasser bereit, verteilen Hygiene-Sets zum Schutz vor Cholera und unterstützen Familien mit Bargeld, damit sie Nahrungsmittel und andere lebenswichtige Güter kaufen können. Doch im Jemen sind mehr Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen als irgendwo sonst auf der Welt.

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Dieser Artikel wurde zuerst in der Sommer-Ausgabe der EINS veröffentlicht.