Globaler Kapitalismus: wenige Gewinner, viele Verlierer

Jedes Jahr aufs Neue offenbart der Oxfam-Bericht zu Armut und Reichtum Erschreckendes: Die Lebenschancen auf dieser Welt sind in einem geradezu unglaublichen Maße ungleich verteilt.

Man kann aber auch sagen, dass Oxfam alle Jahre wieder das allseits Bekannte enthüllt: Der globale Kapitalismus kennt wenige Gewinner, denen es möglich ist, sich auf geradezu obszöne Art und Weise zu bereichern. Und er schafft viele Verlierer, die in menschenunwürdigen Verhältnissen leben und unter unsäglichen Bedingungen arbeiten müssen.

Dass beides, Gewinnen und Verlieren, im globalen Kapitalismus miteinander zusammenhängt, kann nicht oft genug deutlich gemacht werden: Die Einkommen und Vermögen der Reichen und Superreichen dieser Welt werden aus der Arbeit und der Armut von großen Bevölkerungsmehrheiten rund um den Globus geschöpft. Das ist das eigentlich Skandalöse an den Verhältnissen, die Oxfam zu Beginn eines jeden Jahres dokumentiert: Die einen bereichern sich auf Kosten der anderen.

Dieses Prinzip gilt in jedem einzelnen Land dieser Welt – und es gilt ebenso im Weltmaßstab. In praktisch allen Ländern der Welt wächst die soziale Ungleichheit, können Reiche und Superreiche immer mehr Einkommen und Vermögen auf sich konzentrieren. Aber auch weltweit sind die Ungleichheiten nach wie vor extrem: Wäre die gesamte Welt ein einziges Land, so läge die Einkommensungleichheit desselben auf dem Niveau Südafrikas, seines Zeichens eines der ungleichsten Länder überhaupt.

Nationale und globale Umverteilung

So gesehen hat die ungeheure Kluft zwischen Arm und Reich immer einen doppelten Index, einen nationalen und einen globalen. Überall dort, wo das gute Leben der Reichen dieser Welt auf Kosten der schlechten Arbeit ihrer Armen zur Sprache kommt, muss daher immer beides Thema sein: Die national wie global krasse Ungleichverteilung von Lebenschancen. Und immer dann, wenn es um Politiken zur Bekämpfung solch extremer Ungleichheiten geht, hat beides auf der Agenda zu stehen: nationale und globale Umverteilung.

Beides zusammenzudenken und beides gleichzeitig anzugehen, das ist die politische Herausforderung unserer Zeit. Eine doppelte Herausforderung, die so groß ist, dass nicht nur der öffentliche Druck auf Unternehmen und Regierungen, auf „die Wirtschaft“ und „die Politik“ gefragt ist. Sondern auch die Selbstbefragung der national und global Bessergestellten, ob und wie sich die systematische Ungleichverteilung von Lebenschancen überhaupt rechtfertigen lässt. Ob die Welt weiterhin damit (und davon) leben kann, ein globales Südafrika zu sein.

Diese gesellschaftliche Lebens-, ja Überlebensfrage ist nicht nur an die Adresse der national Reichen und Superreichen zu richten, sondern auch an die der global Privilegierten und Hyperprivilegierten. Sie ist eine Frage nicht nur der verheerenden Folgen des „Neoliberalismus“, sondern eine der Funktionsweisen kapitalistischer Ökonomie als solcher. Und sie stellt sich nicht nur mit Blick auf die Macht wirtschaftlicher Eliten, eine Politik zu ihren Gunsten herbeizuführen. Sondern sie betrifft auch die Bereitschaft vieler Menschen in den reicheren Gesellschaften dieser Welt, unsägliche Arbeits- und Lebensbedingungen hinzunehmen, solange sie selbst nicht unmittelbar davon betroffen zu sein meinen.

Global denken, lokal handeln: Dieses Motto reicht nicht mehr aus, wenn es gilt, dem guten Leben der einen auf Kosten der schlechten Arbeit der anderen ein Ende zu bereiten. Globales Denken verlangt nach nationalem und transnationalem Handeln. Und zwar bevor schon wieder der nächste Oxfam-Bericht erscheint – und neuerlich das Bekannte enthüllt.

Prof. Dr. Stephan Lessenich arbeitet am Lehrstuhl für Soziale Entwicklungen und Strukturen (Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München). Von 2013 bis 2017 war er Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. 2016 wurde sein Buch "Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis" (Hanser Berlin 2016) veröffentlicht.

3 Kommentare

Jeder sollte seinen Teil dazu beitragen und es dagegen tun. Ausreden sollte es einfach nicht mehr geben dürfen

Lieber Herr Chwalek,
entscheidend finde ich das gemeinsame Agieren und nicht die individuelle moralische Anklage. Jemandem, der alleinerziehend ist, von Hartz IV lebt oder sonst zur weltweit gigantischen Gruppe der Armen gehört, zu sagen, er solle keine billigen T-Shirts kaufen, führt nicht weiter.
Oxfam liefert wichtige Studien, mit denen wir die Möglichkeit haben politisch zu arbeiten und sollten das auch tun. Ich greife den Bericht zur sozialen Ungleichheit z.B. in den Gremien der Hochschule auf, um u.a. damit die Notwendigkeit gesellschaftlich eingreifender Wissenschaft(ler) zu begründen. Denn diese Gleichgültigkeit ist ja strukturell z.B. in unserem Bildungssystem verankert und muss entsprechend strukturell verändert werden.
Im übrigen denke ich, dass wir jeden Tag selbst eine Alternative zu Gleichgültigkeit und Egoismus sein können, indem wir andere Ernst und uns selbst als Teil der möglichen Veränderung wahrnehmen. Damit sind wir auch jeden Tag Herausforderung und Hoffnung für Mitmenschen.

Herzliche Grüße
Lutz

Mich erschreckt immer wieder die Geichgültigkeit und der Egoismus unserer Gesellschaft, gegenüber diesen Verhältnissen. Da kaufen Kindergärtnerinnen T-Shirts
für 2,-€, aus Kinderarbeit, um sie dann von anderen Kindern bemalen zu lassen. Keiner kann sich rausreden. Alle wissen es, oder wollen es nicht so genau wissen. Es sind diese Alltagshandlungen, neben den obzönen Gewinnen einiger Egomanen, wie z. B. Bonifikationen von 100 Mill. € und mehr. Es ist ein System und alle machen mit. Nein - ich glaube an keine Solidarität und dem Wunsch nach Gerechtigkeit!

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