Oxfam: Du bist als Aktivist in der Klimagerechtigkeitsbewegung in Indien aktiv …

Soumitra Ghosh: Leider gibt es in Indien keine Klimagerechtigkeitsbewegung. Es gibt zwar verschiedene Bewegungen. Man kann sie aber nicht zu einer Klimagerechtigkeitsbewegung zusammenfassen. Wir haben versucht, einen Dialog zwischen Aktivist*innen verschiedener sozialer Bewegungen in Indien und interessierten Personen und Gruppen anzustoßen. So können sie sich über den Klimawandel und vor allem über die diesbezügliche Politik und ihre Auswirkungen in Indien austauschen.

Was sind das für Bewegungen?

Es gibt verschiedene soziale Bewegungen. Ich bin zum Beispiel in einer Bewegung aktiv, die sich für Waldzugangsrechte und gegen die Enteignung von Gemeingütern einsetzt. Viele Menschen kämpfen gegen den Bergbau oder den Bau großer Dämme. Die meisten Bewegungen setzen sich für den Erhalt der natürlichen Ressourcen ein – die Lebensgrundlage der verschiedenen Gemeinschaften. In letzter Zeit wurden in verschiedenen Teilen Indiens viele Landarbeiter*innen mobilisiert. Ein Beispiel: Im westindischen Bundesstaat Maharashtra gab es lang anhaltende Dürren, unter denen Millionen Landarbeiter*innen litten. Sie forderten von der Regierung Hilfe, zum Beispiel durch den Erlass von Schulden. Menschen aus verschiedenen ländlichen Gebieten Maharashtras kamen zu einem Protestmarsch nach Mumbai zusammen. Das war eine große Sache. Aber können wir das wirklich einen Klimaprotest nennen? Ich bin mir nicht so sicher. Was ich allerdings weiß: Der Protestmarsch steht zumindest mit dem Klima oder dem Klimawandel in Verbindung. Denn die Not der Farmer*innen hängt direkt mit den Dürren zusammen, die wir auch in Zukunft immer öfter erleben werden. In einigen Gebieten gibt es Dürren, in anderen plötzliche Wolkenbrüche und Überflutungen oder sehr unregelmäßige Niederschläge. Ich glaube, dass in Indien – so wie in vielen anderen Teilen der Welt auch – der gestörte Monsunregen die Wurzel des Problems ist. 2008 haben das bereits Klimaforscher wie James Hansen vorhergesagt.

Die indische Regierung hat zwar einen Klimaaktionsplan entwickelt, dem es allerdings an Substanz fehlt. Der Fokus richtet sich nicht auf die gefährdeten Gemeinschaften, also Menschen, die in den Bergen, an den Küsten und in den Überflutungsgebieten leben oder Menschen, die von Dürren betroffen sind. Daher können wir nicht davon ausgehen, dass die Maßnahmen der Regierung wirklich Abhilfe schaffen.

Statt Emissionen einzudämmen, ist die indische Regierung dabei, die Emissionen noch zu erhöhen. In Indien steigen die Emissionen genauso wie in China oder anderen großen Entwicklungsländern im globalen Süden – zum Beispiel im Bergbau, der in Indien mit riesigen Bauprojekten gerade so richtig boomt.

Meinst Du den Kohlebergbau?

Ja genau, den Kohlebergbau – Kohle und andere Mineralien, aber hauptsächlich geht es um Kohlebergwerke. Indien setzt auf Kohle und die Regierung vergibt eine Abbaulizenz nach der anderen – und das in immer mehr Gebieten. Dadurch steigen natürlich die globalen Emissionen. Außerdem leiden die Gemeinschaften unter dem Bau der Minen: Sie werden vertrieben, ihre Lebensgrundlagen werden zerstört und das Ökosystem, von dem sie leben, wird beschädigt. Es heißt, dass die Länder im globalen Süden nicht für den Klimawandel verantwortlich sind. Aber sie tun auch nichts, um ihn aufzuhalten.

Du hast bereits den Monsun erwähnt. Welche Folgen des Klimawandels treffen Indien Deiner Meinung nach am stärksten und was bedeutet das für die Menschen in Indien?

Der Monsun-Kreislauf war früher regelmäßig, doch er ist aus dem Takt gekommen. Der Monsun lässt sich nicht mehr langfristig vorhersagen. Betrachtet man am Jahresende die Monsundaten und die Dauer der Monsunmonate, scheint es zunächst, als ob der Monsun ganz normal verlaufen sei, denn der Niederschlag liegt im Durchschnitt. Das heißt aber nichts, denn es kann drei Tage lang oder sogar nur einen Tag sehr stark regnen, während es in anderen Monaten gar keine Niederschläge gibt.

Die Landwirtschaft ist davon am stärksten betroffen, gefolgt von der Viehzucht. Landwirt*innen und Hirtengemeinschaften erleben eine dauerhafte Wasserknappheit. Fischer und in der Fischerei tätige Menschen haben Probleme mit ihrem Fang. Waldökosysteme verändern sich mit dem unregelmäßigen Monsun. Das bedeutet, dass die Waldgemeinschaften es mit abnehmenden Waldressourcen zu tun haben. Die Veränderung des Monsuns beeinträchtigt sämtliche Gemeinschaften in allen Regionen. Sogar Menschen, die in der Stadt leben, sind davon betroffen, obwohl sie nicht so stark von der Natur abhängig sind wie Menschen auf dem Land.

Inwiefern sind Menschen in der Stadt betroffen?

Bei plötzlichen Regenfällen und Wolkenbrüchen fallen riesige Wassermengen. Mit den Wassermassen, die bei solch plötzlichen Sturzregen in zwei oder drei Tagen herunterkommen, wissen wir nicht umzugehen. In indischen Städten gibt es keine geeignete Infrastruktur. Die Folge: Überflutungen und Staunässe, die sich bei jedem Monsun von neuem wiederholen. Und selbst wenn der Monsun offiziell vorbei ist, kann es weiterhin zu starken Regenfällen kommen. Man weiß einfach nie, ob es regnen wird oder nicht. Vorhersagen sind schlicht nicht mehr möglich. Die Meteorologie versagt und kann keine Antworten bieten.

Du arbeitest mit Waldgemeinschaften. Was genau machst Du?

Unsere Arbeit hat viel mit dem Klima zu tun. Wir sind der Meinung, dass Wälder nur dann langfristig erhalten oder geschützt werden können, wenn die Gemeinschaften wieder die Verantwortung für die Wälder übernehmen. Alle Wälder waren einmal Gemeingut, bis sie der Kolonialstaat einzäunen ließ. Für die Waldgemeinschaften ist der Wald allerdings besonders wichtig, denn sie leben davon.

Die Gemeinschaften, mit denen ich arbeite, versuchen die Wälder zurückzugewinnen. Es gibt mit dem „Forest Rights Act“ (Gesetz über die Waldnutzung) ein relativ neues Gesetz. Dieses Gesetz sieht vor, dass die Gemeinschaften die Wälder kontrollieren. Doch leider sind die Behörden, die aktuell die Aufsicht über 90 Prozent von Indiens Wäldern haben, überhaupt nicht daran interessiert, die Kontrolle abzugeben. Stattdessen versuchen sie die Privatisierung dieser Wälder voranzutreiben – unter dem Deckmantel der Klimaanpassung und Abschwächung des Klimawandels. Sie vergeben Waldstücke an private Akteure, die dort Plantagen aufziehen oder andere Formen der Forstwirtschaft betreiben, und sind nicht bereit, den Gemeinschaften die Kontrolle über die Wälder zu überlassen. Das ist bedauerlich. Die Regierung nimmt das nicht ernst und tut auch sonst nichts, außer den immer gleichen Akteuren zu helfen, die den Klimawandel überhaupt erst verursacht haben.

Wir versuchen die Gemeinschaften, mit denen wir arbeiten, politisch zu schulen. Doch was ist überhaupt eine Gemeinschaft? Wir untersuchen die sozialen Dynamiken in der „Gemeinschaft“. Außerdem informieren wir die am meisten marginalisierten und sozial schwächsten Schichten über ihre Rechte sowie über andere Dinge, die ihnen bei der Rückforderung der Gemeingüter behilflich sein können. Das ist also das politische Ziel – Menschen zu helfen, ihren Anteil an den Gemeingütern einzufordern, die ihnen genommen wurden; das heißt, ihr Erbe zurückzufordern.

Die Gemeinschaften wissen, dass ihr gemeinschaftliches Handeln etwas bewirken kann. Mithilfe rechtlicher Bestimmungen, die sie in ihrem Kampf unterstützen, können sie großartige Dinge erreichen. Schon oft haben sie die geplante Abholzung oder Rodung von Wäldern sowie Entwicklungsprojekte verhindert, die Wälder gefährden und zerstören können.

Lass uns noch über Regierungen und den Klimawandel reden – was müssen die reichen Länder aus Deiner Sicht tun, um den gefährlichen Klimawandel zu verhindern?

Das ist ganz einfach. Sie müssen die Emissionen direkt an der Quelle senken. Bisher haben sie einzig und allein falsche Marktlösungen gefördert und zwar gemeinsam mit den politischen Entscheidungsträger*innen des globalen Südens und den großen Unternehmen.

Deutschland galt lange Zeit als Vorreiter beim Klimaschutz. Das Bild hat sich jedoch gewandelt: Deutschland wird sein Klimaschutzziel für 2020 drastisch verfehlen und tut sich auch mit dem Kohleausstieg sehr schwer. Viele deutsche Politiker*innen sind der Meinung, dass wir noch Jahrzehnte für den Kohleausstieg brauchen, weil viele Menschen in der Kohleindustrie beschäftigt sind. Was denkst Du darüber?

Die politischen Entscheidungsträger*innen in Indien argumentieren genauso. Immer wieder geht es um Argumente wie Arbeit, Krise und wirtschaftliche Pflichten. Und die Gewerkschaften stimmen mit der Regierung überein. Die meisten politischen Parteien denken so. Das ist aber eine völlig falsche Herangehensweise. Wir brauchen den Kohleausstieg, es gibt keine Alternative. Es gibt auch keine Alternative zum Ausstieg aus dem Erdöl. Wir müssen uns von allen möglichen Dingen verabschieden, die Treibhausgase verursachen. So einfach ist das. Ich meine, wer kontrolliert denn die Minen? Wer kontrolliert die globalen Ölvorräte? Wer will, dass es so weitergeht? Es ist wirklich keine Frage des Energiebedarfs, es geht hier nur um Profite.

Wenn es eine Sache gäbe, die Du die Menschen in aller Welt wissen lassen würdest, was wäre das?

Ich glaube, es gibt keine Klimakrise per se. Die Klimakrise ist eine Folge der eigentlichen Krise: des Kapitalismus. Wenn wir die Klimakrise aufhalten wollen, müssen wir das System ändern, uns also entschieden dem System widersetzen. Wir müssen uns gegen den Kapitalismus wenden. Und das passiert bereits: Wir reden über Kämpfe gegen den Kapitalismus, über Kämpfe gegen kapitalistische Sichtweisen und über Plünderungen der natürlichen Ressourcen im Namen des Kapitalismus. Ich sage nicht, dass es einfach ist. Es wird auch nicht über Nacht passieren. Aber eine andere Alternative haben wir nicht.

 

Oxfam fordert Regierungen auf, den Klimaschutz oben auf die Agenda zu setzen und arme Länder bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen.

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