Die neue EU-Lieferkettenrichtlinie, auf die sich in den Grundzügen das Europaparlament und die Vertreter*innen der Mitgliedstaaten bereits im Dezember verständigt haben, wird nun in Deutschland wieder von Wirtschaftsverbänden, aber vor allem von einer der Regierungsparteien, der FDP, in Frage gestellt. Bei vielen, die sich in den vergangenen Monaten in der Politik, in der Unternehmenswelt und in der Zivilgesellschaft mit diesem Thema befasst haben, stößt diese plötzliche Kehrtwende zu Recht auf Unverständnis. Denn wenn Deutschland sich im Rat nun tatsächlich enthalten oder gar gegen die Richtlinie stellen sollte, wäre dies ein fatales Signal – nicht nur wären nun (erneut) Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit der deutschen Außen- und Europapolitik geweckt; vor allem würde ein langjähriger Prozess, der entscheidende Impulse zur Verbesserung des globalen Menschenrechtsschutzes setzen könnte, ausgerechnet auf Initiative der deutschen Bundesregierung jäh unterbrochen.

Der Einwand, der immer wieder gegen die Lieferkettengesetzgebung, auch jetzt gegen die neue Richtlinie, vorgebracht wird, ist die angeblich zu hohe bürokratische Belastung der Wirtschaft. Dass Unternehmer*innen diese Sorge umtreibt, ist natürlich verständlich, schließlich haben die Corona-Pandemie und die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise gerade in letzter Zeit die Wirtschaft vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Insofern ist es richtig, dass die Unternehmensverbände anmahnen, neue Bürokratielasten auf das notwendige Minimum zu begrenzen. Richtig ist allerdings auch, dass der Richtlinienentwurf genau auf diese Lastenminimierung abzielt: Der darin verankerte risikobasierte Ansatz wird ja gerade dafür sorgen, dass unnötiger Bürokratieaufwand vermieden werden kann. Die Unternehmen sollen keineswegs sämtliche Zulieferbetriebe und Geschäftspartner*innen überwachen, sondern sich zielgenau auf diejenigen Bereiche in der Lieferkette konzentrieren, in denen besonders dringende Probleme offensichtlich sind.

Man kann darüber streiten, ob trotz dieser Einschränkung der Bürokratielasten der Aufwand immer noch hoch ist. Es gibt durchaus Wirtschaftsvertreterinnen, die dies anders sehen. Eine repräsentative Umfrage des Handelsblatt Research Institute (HRI) bei 2000 Unternehmen in Deutschland hat zudem gezeigt, dass nur sieben Prozent der Betriebe einer Verpflichtung, auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Lieferketten zu achten, ablehnend gegenüberstehen. Entscheidend ist jedoch, dass die Argumente, die für die neue Richtlinie sprechen, in der Gesamtabwägung ganz deutlich überwiegen. Ein zentrales Ziel der Richtlinie ist es, den zum Teil gravierenden Menschenrechtsverstößen in den globalen Lieferketten zu begegnen. Dabei geht es nicht nur um so massive Rechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit, sondern auch um mangelnden Arbeitsschutz, Hungerlöhne und untragbare Diskriminierungen am Arbeitsplatz, die leider immer noch Massenphänomene darstellen und im klaren Widerspruch zu menschenrechtlichen Kernanliegen stehen. Staaten haben eine Schutzpflicht, dafür zu sorgen, dass sich Unternehmen in ihren Lieferketten nicht an solchen Menschenrechtsverletzungen beteiligen bzw. davon wirtschaftlich profitieren. Die Mitglieder der EU würden mit der Lieferkettenrichtlinie nun diese Schutzpflicht umsetzen und damit eine wichtige Vorbildfunktion für andere Staaten übernehmen, die ebenfalls Standorte global vernetzter Unternehmen sind.

Natürlich lassen sich mit der Richtlinie nicht alle Lieferkettenprobleme sofort und umfassend aus der Welt schaffen. Auch die Regierungen der Länder, in denen derart untragbare Produktionsbedingungen herrschen, wird man an ihre Verantwortung für den Menschenrechts- und Umweltschutz erinnern müssen. Doch man macht es sich zu leicht, wenn man darauf verweist, dass zunächst einmal von den staatlichen Akteuren vor Ort die Probleme angegangen werden müssen. Im globalisierten Handel tragen wir – unsere Regierungen, unsere Unternehmen und auch die Verbraucher*innen – eine ebenso große Verantwortung für das, was in den Produktionsländern geschieht. Damit die Be­trof­fe­nen vor Ort sich gegen die oft unzumutbaren Zustände in ihrer Arbeitswelt zur Wehr setzen können, sind sie auf unsere Unterstützung angewiesen. Dafür muss ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, der mit dem Richtlinienvorschlag nun endlich vorliegt.    

Insgesamt spricht also viel dafür, dass die Bundesregierung sich nun auf EU-Ebene auch weiterhin konsequent für die Lieferkettenrichtlinie einsetzen sollte. Menschenrechtsschutz und das Eintreten für Unternehmensinteressen schließen sich keineswegs aus – im Gegenteil: Studien haben ergeben, dass die Richtlinie einen „deutlich positiven wirtschaftlichen Wohlfahrtseffekt für den Globalen Süden und positive Nettoeffekte für die europäische Wirtschaft haben wird“. Und gerade denjenigen Unternehmen, denen ja bereits das deutsche Recht die Beachtung von Sorgfaltspflichten auch über die Landesgrenzen hinaus auferlegt, würde die geplante EU-Rechtsetzung entgegenkommen, denn auf diese Weise ließen sich innerhalb der EU nun gleiche Wettbewerbsbedingungen herstellen.

Ich kann daher nur mit großem Nachdruck an die Verantwortlichen in der Bundesregierung appellieren: Verhindern Sie eine Schwächung (etwa durch Haftungserleichterungen nach dem Safe-Harbour-Konzept) oder gar eine Blockade des im Dezember im EU-Trilog erzielten Verhandlungserfolgs! Die Lieferkettenrichtlinie wird einen effektiven Beitrag dazu leisten können, dass in einer Welt, die immer noch von so viel Leid und Ungerechtigkeiten geprägt ist, der Menschenrechtsschutz zumindest in der globalen Produktion deutlich gestärkt werden kann. Ein Scheitern der Richtlinie muss unter allen Umständen verhindert werden! Das sind wir den vielen Millionen Menschen, die in den Fabriken, in den Minen und auf den Plantagen des Südens letztlich auch für uns Konsument*innen im Norden arbeiten, einfach schuldig.

Serap Altinisik

Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende

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