Extreme soziale Ungleichheit steht der Überwindung von Armut im Weg. Sie vertieft die Kluft zwischen Arm und Reich, zementiert Ungerechtigkeiten zwischen Frauen und Männern. Sie führt dazu, dass unsere Gesellschaften auseinanderdriften, sozialer Zusammenhalt bröckelt und demokratische Prozesse ausgehöhlt werden.

Dies alles ist Folge falscher politischer Entscheidungen und Prioritäten. Denn soziale Ungleichheit ist vermeidbar und mit den richtigen Investitionen in öffentliche Bildungssysteme lässt sie sich bekämpfen. Der Zugang zu Bildung öffnet nicht nur jedem einzelnen Menschen die Tür zu einem selbstbestimmten, unabhängigen Leben – Bildung kann auch der Schlüssel zu besserer Chancenverteilung innerhalb von Gesellschaften sein.

Siebenmal geringere Bildungschancen für arme Kinder

Wie ungleich momentan die Chancen auf gute Bildung zwischen Arm und Reich sowie zwischen Mädchen und Jungen verteilt sind, legt der aktuelle Bericht „The power of education to fight inequality” offen.

Oxfam hat Daten der UNESCO analysiert, und kommt zu alarmierenden Zahlen: in Entwicklungsländern ist die Chance für ein Kind aus einer armen Familie die Sekundarschule zu beenden siebenmal geringer als für ein Kind aus einer wohlhabenden Familie. Selbst in reichen Industrieländern beenden im Schnitt nur ¾ aller Kinder armer Familien die Sekundarschule, jedoch 90 Prozent aller Kinder wohlhabender Familien. Deutschland bildet da leider keine Ausnahme.

In Entwicklungsländern ist es für ein Kind aus einer reichen Familie sieben Mal wahrscheinlicher die Sekundarschule abzuschließen, als für ein Kind aus einer armen Familie.

Trennlinien entlang Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Behinderung, Sprache und ländlichen Gegenden

Die Chancen auf gute Bildung hängen aber nicht nur vom Geldbeutel ab. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Behinderung, Sprache und das Leben in ländlichen Gegenden werden zu Barrieren, die Menschen von guter Bildung ausschließen. In armen ländlichen Gebieten in Pakistan etwa ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mädchen niemals eine Schule besucht, dreimal höher im Vergleich zu Jungen.

Der Kontrast könnte nicht krasser sein. In den meisten Ländern gehen Kinder reicher Familien in die besten Schulen, erhalten gezielte Förderung, können in gut ausgestatteten Klassenzimmern mit qualifizierten Lehrkräften in kleinem Klassenverband lernen. Sie können ihre angeborenen Privilegien weiter ausbauen.

Ganz anders sieht es für arme Kinder aus. Wenn ihnen der Schulbesuch überhaupt möglich ist, haben schlechte Gesundheitsversorgung und Mangelernährung oft bereits ihre Spuren hinterlassen. Sie sitzen in überfüllten Klassenzimmern, es fehlt an gut ausgebildeten Lehrer*innen, Büchern und Sanitäranlagen. Besonders trifft es Mädchen, die oft früher als ihre Brüder die Schule verlassen müssen. Ihre Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben frei von Armut sinken mit jedem Tag, an dem das Tor zu einer guten Schule geschlossen bleibt.

Weniger soziale Mobilität

Die Folgen für die Gesellschaft sind fatal: steht gute Bildung nur den Reichen zur Verfügung, nimmt soziale Mobilität ab. Wer arm geboren wurde, hat kaum Aufstiegschancen. Die Trennlinien vor den Schulgebäuden zementieren soziale Ungleichheit.

Öffentliche Bildungsausgaben entlasten arme Familien

Universeller Zugang zu guter öffentlicher Bildung hingegen kann der entscheidende Schlüssel für mehr Gerechtigkeit sein, wie der Oxfam-Bericht zeigt. Investieren Regierungen in gute Bildung, die allen gebührenfrei zur Verfügung steht, profitieren besonders arme Familien, deren Haushaltskassen entlastet werden.

Oxfam hat Daten zu öffentlichen Ausgaben im Bildungsbereich von 78 Ländern mit niedrigem, mittlerem und hohem Einkommen analysiert. Das Ergebnis ist eindeutig: Der Gegenwert der öffentlichen Ausgaben für Bildung pro Kind übersteigt das Einkommen armer Familien um ein Vielfaches. In Kolumbien etwa sind die öffentlichen Bildungsausgaben pro Kind bis zu dreimal so hoch wie das durchschnittliche Haushaltseinkommen sozial schwacher Familien. Das erhöht die Chancen der Kinder auf gute Bildung enorm.

Bildung sorgt für mehr Chancengerechtigkeit

Zugang zu Bildung sorgt auf vielen Ebenen für mehr Chancengerechtigkeit. Extreme Armut könnte weltweit halbiert werden, wenn alle Kinder eine Sekundarschule abschließen. Die UNESCO schätzt, dass mit jedem zusätzlichem Schuljahr das Einkommen um rund 10 Prozent steigt – für Frauen sogar um bis zu 20 Prozent.

Bildung ermöglicht auch mehr gesellschaftliche Teilhabe. Menschen mit besserer Bildung engagieren sich stärker politisch und gesellschaftlich. Nicht zuletzt sorgen gute öffentliche Bildungssysteme für mehr soziale Durchmischung – die Trennlinien zwischen Arm und Reich weichen auf.

Bildung fördert Geschlechtergerechtigkeit

Bildung ist zentral für mehr Geschlechtergerechtigkeit: Sie hilft die Einkommenslücke zwischen Frauen und Männern zu schließen, stärkt das Bewusstsein über die eigenen Rechte und ermöglicht politische Teilhabe. In Pakistan beispielwiese verdient eine Frau mit Grundschulbildung etwa 50 Prozent des Gehalts eines Mannes, Frauen mit Sekundarschulabschluss hingegen schon 70 Prozent des Gehalt eines Mannes. Immer noch eine große Ungerechtigkeit, aber die Lücke wird kleiner.

Bildung für alle, öffentlich und gebührenfrei

Ob Bildung diese transformative Kraft zur Überwindung von Ungleichheiten tatsächlich entfalten kann, hängt maßgeblich davon ab, wie sie bereitgestellt wird. Sie muss universell zugänglich und gebührenfrei sein. In Ghana zum Beispiel wurden im September 2017 die Schulgebühren für die obere Sekundarstufe abgeschafft. Mit Erfolg: Im folgenden Schuljahr besuchten 90.000 Schüler*innen mehr die obere Sekundarschule. Öffentliche Systeme müssen gestärkt und finanziert werden.

Oxfam fordert, dass alle Kinder gebührenfrei Zugang zu zwölf Jahren Bildung erhalten – von frühkindlicher Förderung bis zur Sekundarstufe.

In Qualität investieren statt Kommerzialisierung

Die laute und berechtigte Kritik an schwachen Lernerfolgen in öffentlichen Systemen darf nicht dazu führen, die ohnehin knappen Mittel aus den öffentlichen Schulen abzuziehen und stattdessen in kommerzielle private Anbietern zu stecken – ein Trend, den momentan einige Geber wie die Weltbank massiv vorantreiben.

Statt in öffentlich-private Partnerschaften (public-private partnerships, PPPs) zu investieren, sollten die Gelder besser genutzt werden, um öffentliche Systeme auszubauen und zu verbessern. Mittlerweile weisen einige Studien darauf hin, dass kommerzielle Angebote und PPPs weder die Ärmsten und Marginalisierten erreichen, noch bessere Qualität liefern.

Beispiel Pakistan: Dort gehen 24 Millionen Kinder nicht zur Schule. Im Bundesstaat Punjab baut man nun keine öffentlichen Schulen mehr, sondern investiert in ein Projekt mit einem privaten Bildungsanbieter, mit dem über fünf Millionen Kinder erreicht werden sollen, die zuvor keinen Schulzugang hatten. Oxfams Recherchen zeigen aber, dass nur 1,3 Prozent der Kinder in den neuen privaten Schulen vorher nicht eingeschult waren. Die ärmsten Familien können sich die Kosten nicht leisten; die Schulen selber haben nicht genug Mittel, um benachteiligte Kinder zu fördern oder qualifizierte Lehrkräfte einzustellen.

Um die Qualität des Unterrichts in öffentlichen Schulen zu verbessern, muss in die Aus- und Weiterbildung und Bezahlung von Lehrkräften investiert werden – denn sie sind Rückgrat jedes Bildungssystems. Bildung muss inklusiv sein, und auf die besonderen Bedürfnisse von Minderheiten, Marginalisierten und Kindern mit Behinderungen eingehen. Lerninhalte müssen relevant für die lokale Bevölkerung sein und auch in lokaler Sprache vermittelt werden. Zudem müssen Lehrer*innen zu kritischem Denken anregen und traditionelle Geschlechterrollen angehen.

Steuereinnahmen und Entwicklungsgelder in Bildung investieren

Das alles muss finanziert werden. Viele Länder haben das erkannt und ihre Haushalte für öffentliche Bildung erhöht. Äthiopien beispielsweise gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Dennoch gehört Äthiopien zu den fünf Ländern, die gemessen an ihrem Gesamthaushalt am meisten für Bildung ausgeben. So konnten zwischen 2005 und 2015 zusätzlich 15 Millionen Kinder eingeschult werden.

Ein großer Teil der benötigten Mittel für Bildung könnten Länder durch verbesserte Steuersysteme und höhere Steuereinnahmen von Unternehmen und reichen Einzelpersonen aufbringen. Ecuador etwa hat seine Ausgaben für Bildung zwischen 2003 und 2010 verdreifacht, indem es effizientere Steuersysteme geschaffen hat und den Etat für Bildung erhöht hat. Höhere Steuereinnahmen allein aber werden das Problem nicht lösen.

Um „Bildung für alle“, das Ziel der Vereinten Nationen, zu finanzieren, werden zusätzlich 340 Milliarden US-Dollar benötigt. Davon müssen 40 Milliarden US-Dollar aus Entwicklungsgeldern fließen. Hier steht auch der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller in der Pflicht: Er muss endlich seinen Plan umsetzen, 25 Prozent des eigenen Haushalts in Bildung zu investieren, und dabei Grund- und Sekundarbildung priorisieren.

Gute öffentliche Bildung ermöglicht es jedem Kind, seine Potentiale zu entfalten und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie hat das Potential, Gesellschaften zu verändern und Ungleichheit zu überwinden. Jedes Land muss rasch in den Ausbau öffentlicher Systeme investieren. Denn es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: Keine Bildung.

2 Kommentare

Bildung ist nicht Alles,aber ohne Bildung ist alles nichts!!!

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