Stellen Sie sich vor, Sie möchten abends vor dem Schlafengehen noch einmal auf die Toilette. Ihr Weg dorthin führt Sie durch ein Labyrinth von Zelten, aus denen Geräusche und fremde Stimmen schallen. Nicht alle klingen freundlich. Mit Hilfe Ihrer Taschenlampe finden Sie den Weg zu den Konstruktionen aus Holzgerüst und Plastikfolie, die Ihre Gemeinschaftstoiletten sind. Hier steht eine Gruppe Männer, die interessiert beobachtet, wer die Folienkonstruktion betritt und wer herauskommt. Auch Sie betreten eine der Latrinen. Drinnen ist es eng, es gibt keine Beleuchtung. Es gibt auch keinen Riegel, mit dem Sie die Tür sicher verschließen können. Aber Löcher in der Folie gibt es. Kann die Menschengruppe Ihren Schatten im Schein Ihrer Taschenlampe beobachten? Lachen die Männer über Sie? Was haben sie vor?

Warum nutzen Frauen die Latrinen nicht?

Situationen und Zustände wie oben beschriebene sind der Grund, wieso laut einer von Oxfam durchgeführten Studie etwa 40 Prozent der Frauen in Camps für Geflüchtete die angebotenen Notfall-Latrinen nicht einmal bei Tageslicht benutzen. 92 Prozent der Frauen und Mädchen gaben an, dass sie nach Einbruch der Dunkelheit keine Latrinen benutzen. Die wichtigsten Gründe: Mangelnde Privatsphäre und die Angst vor sexuellen Übergriffen und Belästigung.

Latrine in einem Geflüchtetencamp in Cox’s Bazar, Bangladesch.
Latrine in einem Geflüchtetencamp in Cox’s Bazar, Bangladesch.

Sanitäre Einrichtungen: Gefährliche Orte für Frauen

Wenn Latrinen und der Weg dorthin nicht ausreichend beleuchtet sind, wenn sich die Tür einer Latrine nicht verriegeln lässt und wenn die Toilettenkonstruktion nicht ausreichend vor neugierigen Blicken schützt, werden sanitäre Einrichtungen zu gefährlichen Orten, besonders für Frauen und Mädchen. Hier können sie von Männern beobachtet und im schlimmsten Fall sexuell belästigt oder angegriffen werden.

Noch gefährlicher: Fäkalien im Freien

Die Notdurft im Freien ist allerdings noch kritischer. Auch hier werden Mädchen und Frauen von Männern angegriffen. Zusätzlich ergeben sich aus herumliegenden Fäkalien enorme Gesundheitsrisiken, weil die darin enthaltenen Keime Krankheiten wie Cholera auslösen können, die sich schnell verbreiten. Vor allem wenn Fäkalien ins Wasser gelangen, wird es gefährlich: Hier können die Keime besonders lange überleben und oft nutzen Menschen das verunreinigte Wasser an anderer Stelle für den Hausgebrauch oder zum Waschen.

Der Sani-Tweaks-Ansatz

Wo auch immer wir auf die Toilette gehen – in Berlin, Nairobi oder in einem Geflüchtetencamp in Äthiopien – wir alle wollen Sicherheit, Privatsphäre und Würde. Wie wir uns eine sichere Toilette in einer Krisensituation vorstellen, kann aber ganz unterschiedlich aussehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns auch in schnellen Nothilfeeinsätzen bei der Gestaltung von Sanitäranlagen an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, für die sie gebaut werden – sonst verschwenden wir Zeit und Geld und die Gesundheitsrisiken bleiben bestehen.

Papp-Modell einer sanitären Einrichtung mit Sichtschutz vor dem Eingang.
Gemeinsam mit der Architektin Nuha Anoor Pabony haben wir im Oktober 2018 in Cox's Bazar Workshops mit Frauen und Mädchen der Rohingya-Bevölkerungsgruppe gemacht, um sie an der Gestaltung der sanitären Einrichtungen zu beteiligen. Dabei entstand dieses Modell einer sanitären Einrichtung mit Sichtschutz vor dem Eingang.

Gespräche mit zukünftigen Nutzer*innen

Vor diesem Hintergrund hat Oxfam den Sani-Tweaks-Ansatz („Tweak“ ist Englisch für eine kleine Verbesserung.) entwickelt. Um alle Bedürfnisse zu hören, konsultieren wir die Menschen in geschützten Runden, nach Alter und Geschlecht getrennt. Dabei besprechen wir beispielsweise folgende Fragen:

  • Welche kulturellen und religiösen Gebräuche gibt es rund um die Nutzung sanitärer Einrichtungen?
  • Welche Bedenken gibt es bezüglich öffentlicher Latrinen (Ort, Intimsphäre, Belästigungen, Beleuchtung, Türschlösser, Gemeinschaftsnutzung)
  • Welche Bedürfnisse haben menstruierende Personen bezüglich ihrer Monatshygiene?
  • Welche Anforderungen haben Menschen mit Behinderung, ältere Menschen und Kinder an die sanitären Einrichtungen?
  • Wer wird die sanitären Einrichtungen reparieren und sauber halten?

Verbesserungen und regelmäßiges Feedback

Nach diesen Gesprächsrunden passen wir die geplanten Latrinen bestmöglich so an, dass sie den Vorstellungen der Menschen vor Ort entsprechen. Wenn die sanitären Einrichtungen dann gebaut sind und die Menschen sie benutzen, holen wir regelmäßig Feedback ein und nehmen Verbesserungen vor, wenn dies notwendig ist. Schon kleine „Tweaks“, wie zum Beispiel das Vermeiden von Schlitzen am unteren Rand der Kabine, können darüber entscheiden, ob Frauen die Latrinen nutzen oder nicht.

Wissen rund um Sani Tweaks teilen

Um unsere Checklisten und all das Wissen rund um Sani Tweaks zu teilen, führen wir weltweit Workshops mit anderen Organisationen durch, die im Bereich WASH (Trinkwasser, Sanitärversorgung und Hygiene) arbeiten. Damit mehr und mehr sanitäre Einrichtungen gemeinsam mit den potenziellen Nutzer*innen entworfen und optimiert werden. Und damit immer mehr Menschen weltweit die Chance haben, in Sicherheit und Würde auf die Toilette zu gehen.

Hintergrundinformationen, Checklisten und mehr sind auf der englischsprachigen Seite zu Sani Tweaks frei zugänglich.

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