„Am Ende des Monats wird das Geld knapp und reicht nur noch für ein wenig Reis“, berichtet Forida*, eine 22-jährige Textilarbeiterin aus Bangladesch. Das südasiatische Land gehört neben Vietnam, China und Indonesien zu den vier größten Bekleidungsexporteuren der Welt. In den vielen Textilfabriken, die es im Land gibt, wird Kleidung für große Konzerne produziert. Darunter auch für internationale Modekonzerne wie Zara oder H&M.

Hungerlöhne reichen nicht für Miete und Essen

Die Oxfam-Kampagne „What She Makes“ beleuchtet die Arbeitsbedingungen von Textilarbeiterinnen in Bangladesch. Eine davon ist Anju. Ursprünglich kommt die 25-Jährige aus einem Dorf auf dem Land. Doch weil es dort nicht genügend Arbeit gab, zog sie mit ihrem Mann nach Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Ihre Kinder mussten sie bei Verwandten lassen. Die Wohnbedingungen in dem Slum, in dem sie jetzt wohnen, sind zu schlecht. „Würde ich einen besseren Lohn bekommen, könnten meine Kinder bei mir wohnen und ich würde mit ihnen ab und zu einen Ausflug machen“, sagt Anju.

Doch ihre Realität sieht anders aus: Regelmäßig muss Anju Schulden bei Lebensmittelhändlern und ihrem Vermieter machen. Die Kosten für Miete und Lebensmittel übersteigen bei Weiten, was sie als Näherin in der Fabrik verdient. Denn in Anjus Fabrik werden die Frauen nicht nach Arbeitsstunden bezahlt, sondern danach, wie viele Kragen sie genäht oder wie viele T-Shirts sie umsäumt haben. Oft arbeitet Anju bis spät in die Nacht, um die vorgegebene Menge zu bewältigen. Schafft sie dennoch nicht ihr Tagesziel, droht ihr der Lohnausfall für den ganzen Tag.

Keine Zeit, um auf die Toilette zu gehen

Die Textilarbeiterin Fatima hält Kleidungsstücke, die sie genäht hat.
Der Druck in der Textilfabrik, in der Fatima arbeitet, sei enorm hoch, berichtet sie.

Auch Fatima (20) arbeitet in einer Fabrik in Bangladesch, in der bestimmte Tagesziele gesetzt werden: „Wenn wir eine bestimmte Menge in fünf Stunden schaffen würden, erwartet die Leitung, wir sollen es in drei Stunden erledigen. Sie übt enormen Druck auf uns aus, wir dürfen dann nicht auf die Toilette gehen oder trinken, damit wir das Tagesziel erreichen.“

Der Lohn, den Anju oder Fatima am Ende erhalten, liegt bei etwa 24 Eurocent pro Stunde und reicht nicht zum Leben. Fatima schickt trotzdem ein bisschen von ihrem Geld an ihre kranke Mutter, für Medikamente und ärztliche Behandlung. Oft bedeutet das, dass Fatima hungrig ins Bett und zur Arbeit geht.

Vier Tage oder ein ganzes Arbeitsleben

Die Arbeits- und Lebensbedingungen von Anju und Fatima stehen im krassen Gegensatz zum Reichtum der Unternehmer in der Modeindustrie. So hat Oxfam errechnet, dass der Vorstandsvorsitzende eines der fünf größten Modekonzerne durchschnittlich in nur vier Tagen so viel verdient wie eine Näherin in Bangladesch in ihrem ganzen Leben.

Die Ausbeutung der Arbeiter/innen in Bangladesch ist kein Einzelfall, und sie beschränkt sich nicht auf den Textilsektor. Die Vermögen der Milliardär/innen aus verschiedensten Branchen wuchsen im letzten Jahrzehnt durchschnittlich um 13 Prozent pro Jahr, die Löhne von Arbeiter/innen und Angestellten dagegen nur um jährlich zwei Prozent. Allein zwischen 2016 und 2017 wuchs die Zahl der Milliardär/innen so stark wie nie zuvor. Ihr Vermögen beträgt inzwischen das Siebenfache dessen, was erforderlich wäre, um alle Menschen aus extremer Armut zu befreien.

Konzerne drücken sich um ihren Beitrag zum Allgemeinwohl

Eine Schnellstraße in Mexiko City.
Eine Schnellstraße trennt Arm und Reich, Hochhäuser und Baracken in Mexiko City, einer Stadt mit großer sozialer Ungleichheit.

Zur Anhäufung der riesigen Vermögen tragen auch aggressive Steuervermeidungstechniken bei. Viele Reiche und auch Konzerne nutzen diese Techniken und drücken sich damit um ihren Beitrag zum Allgemeinwohl. Der Modekonzern Zara zum Beispiel nutzte zwischen 2011 und 2014 Steueroasen wie die Niederlande, Schweiz und Irland, um dort seine Gewinne besonders niedrig zu versteuern. Der Megakonzern enthielt damit mehreren EU-Staaten Steuereinnahmen in Höhe von 585 Millionen Euro vor.

Bangladesch entgehen jährlich Einnahmen in Höhe von 310 Millionen US-Dollar wegen Steuertricks. In einem Land, in dem es durchschnittlich für 75 Kinder im Grundschulalter nur eine Lehrkraft gibt, fehlt dieses Steuergeld dann etwa bei der Finanzierung der Grundbildung. Für Anju, die sich eine bessere Zukunft für ihre Kinder wünscht, würden faire Steuerbeiträge bedeuten, dass ihre Kinder tagsüber in die Schule gehen könnten.

Steuerparadiese schließen, Mindeststeuersätze einführen, Gewinne offenlegen

Angesichts solch desolater Zustände fordert Oxfam ein Wirtschaftssystem, das die Interessen der arbeitenden Menschen in den Vordergrund stellt, statt die von Konzernen. Ein zentraler Schritt in diese Richtung wäre, die Steuervermeidung von Konzernen und Superreichen zu stoppen: Steueroasen müssen durch schwarze Listen und Sanktionen ausgetrocknet und weltweite Mindeststeuersätze eingeführt werden – damit Konzerne ihren fairen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Darüber hinaus würde eine öffentliche länderbezogene Berichterstattung über Gewinne und darauf gezahlte Steuern den Prozess transparent und nachvollziehbar machen.

Vor allem aber brauchen Menschen wie Anju, Fatima oder Forida endlich faire Löhne, von denen sie auch wirklich leben können.

 

*Alle Frauen wollten aus Sicherheitsgründen nur mit ihrem Vornamen genannt werden.

Dieser Text wurde bereits veröffentlicht in: EINS Frühjahr 2018

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