Seit dem vergangenen Jahr entfaltet sich im Nahen Osten eine beispiellose Tragödie. Der militärische Angriff Israels auf den Gazastreifen, der auf die schrecklichen Angriffe der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Gruppen in Israel folgte, hat den Gazastreifen in ein weitgehend unbewohnbares Trümmerfeld verwandelt. Von den mehr als 42.000 Menschen, die Berichten zufolge getötet wurden, waren etwa 6.300 Frauen und mehr als 11.300 Kinder.

Israel erlebte vor einem Jahr den tödlichsten Tag seiner Geschichte, als fast 1.200 Israelis und Ausländer brutal getötet wurden – hauptsächlich Zivilisten. Mehr als 250 Menschen, darunter 38 Kinder, wurden als Geiseln genommen, von denen 96 Berichten zufolge immer noch gefangen gehalten werden.

Obwohl der Krieg im Gazastreifen einer der tödlichsten und grausamsten Konflikte für die Zivilbevölkerung in unserer Zeit und damit eine der schlimmsten humanitären Krisen der Welt ist, scheint es, als sei diese Katastrophe ein wenig aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Das mag daran liegen, dass die Gewaltspirale inzwischen weiter eskaliert ist und die gesamte Region am Rande eines Flächenbrandes steht, ohne dass ein Ende in Sicht ist.

Wie in so vielen Kriegen ist es nicht nur die Zahl der Menschen, die direkt durch Bomben, Raketen und andere Waffen getötet werden, die das Ausmaß einer Krise bestimmt. Weitaus mehr Menschen werden verwundet, verschwinden, werden vertrieben und leiden an Krankheiten und Unterernährung als Folge der wahllosen Angriffe. Diese Angriffe, die einen eklatanten Verstoß gegen die Genfer Konventionen darstellen, haben massive Schäden an lebenswichtigen zivilen Infrastrukturen wie Solar-, Wasser-, Strom- und Abwasseranlagen, UN-Gebäuden, Krankenhäusern, Straßen, Hilfskonvois und Lagerhäusern verursacht.

Am 19. Oktober 2024 wurden vier Mitarbeiter*innen einer lokalen Oxfam-Partnerorganisation durch einen Bombenangriff getötet, als sie auf dem Weg waren, um lebenswichtige Wassereinrichtungen instand zu setzen. Ebenso wie bei anderen humanitären Einrichtungen und Aktionen wurden die Koordinaten des besonders gekennzeichneten Fahrzeugs an das israelische Militär weitergegeben, um humanitäres Personal vor Angriffen zu schützen. Dass der Beschuss dennoch stattfand, ist ein Skandal. Oxfam fordert eine unabhängige Untersuchung dieses Vorfalls sowie ein sofortiges Ende derartiger Angriffe.

Wasser als Instrument des Krieges

Bereits lange vor dem 7. Oktober 2023 hat Israel eine drückende Blockade gegen den Gazastreifen verhängt. Im aktuellen Krieg wird die Einschränkung zentraler Versorgungs- und Hilfsgüter jedoch regelrecht als taktisches Mittel eingesetzt. Vielerorts herrscht Hunger, da viel zu wenige Hilfsgüter das eingeschlossene Gebiet erreichen und durch die Abwesenheit von öffentlicher Ordnung eine bedarfsgerechte Verteilung praktisch unmöglich ist.

Der Oxfam-Bericht „Water War Crimes“ beschreibt detailliert, wie die israelische Regierung die Einschränkung der Wasserversorgung in Gaza und im übrigen Palästina für militärische Zwecke missbraucht (die unabhängige Untersuchungskommission der Vereinten Nationen spricht in ihrem Bericht vom Juni 2024 ebenfalls von einem Einsatz von Wasser als Kriegswaffe). Durch die Drosselung der externen Wasserversorgung ist beispielsweise die verfügbare Wassermenge in Gaza im Durchschnitt um 94 Prozent auf 4,74 Liter pro Person und Tag gesunken – knapp ein Drittel des aus humanitärer Sicht erforderlichen Minimums und weniger als die Menge für eine einzige Toilettenspülung. Hier steht der Verdacht im Raum, dass die Zivilbevölkerung in völkerrechtswidriger Weise einer Kollektivbestrafung unterzogen wird.

Auch Oxfams Projekte im Bereich Wasserversorgung und Hygienemaßnahmen sind massiv betroffen; die Einfuhr entsprechender Anlagen, Bau- und Ersatzteile wird von israelischen Behörden immer wieder willkürlich verzögert, behindert oder ganz verweigert. Zahlreiche Krankheits- und Todesfälle in der Zivilbevölkerung sind die Folge.

Völkerrecht als Königsweg?

Obwohl alle Akteure zu dieser Situation beigetragen haben, trägt Israel als Besatzungsmacht die Hauptverantwortung für die desolate humanitäre Lage und nimmt ganz offensichtlich keine Rücksicht auf das Wohlergehen der Zivilbevölkerung. Das humanitäre Völkerrecht gilt ausnahmslos für alle Kriegsparteien – ob aus Israel, Palästina oder anderswo.

Inzwischen haben die zuständigen Institutionen des internationalen Rechtswesens begonnen, mögliche Verstöße zu untersuchen.

  • So legte die unabhängige Untersuchungskommission der Vereinten Nationen im Juni 2024 ihren ersten Bericht über mutmaßliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, die seit dem 7. Oktober 2023 begangen wurden.
  • Im Januar 2024 erließ der Internationale Gerichtshof (IGH) einen Beschluss in dem von der Republik Südafrika gegen Israel angestrengten Verfahren und äußerte Bedenken hinsichtlich der Gefahr eines Völkermords im Gazastreifen.
  • Im September 2024 veröffentlichte der IGH ein Gutachten, in dem die Unrechtmäßigkeit der israelischen Besetzung des palästinensischen Gebiets festgestellt wurde.

All diese Verfahren sind für die Aufrechterhaltung des Völkerrechts unerlässlich, und Drittstaaten sind verpflichtet, die internationale Gerichtsbarkeit zu respektieren und sicherzustellen, dass sie selbst nicht an Rechtsverletzungen beteiligt sind.

Petitionen und Verträge

Die Mühlen der Justiz mahlen bekanntermaßen langsam. Sie werden das aktuelle Leid nicht einfach stoppen, den notwendigen und von den allermeisten Menschen im Gazastreifen ersehnten Frieden nicht bald herbeiführen können. Dies ist Sache der Politik. Nicht nur von Regierungen weltweit, sondern auch von der Zivilgesellschaft in Palästina, Israel und anderswo, die sich hier einmischen muss.

Deshalb setzt sich Oxfam Deutschland gemeinsam mit vielen anderen Organisationen in einer Petition dafür ein, dass die Bundesregierung mehr Druck auf Israel ausübt, um ungehinderte humanitäre Hilfe zu ermöglichen und alle Parteien zu einem sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand zu bewegen.

Dies kann nur ein erster Schritt sein, denn der Krieg gegen den Gazastreifen hat nicht erst vor einem Jahr begonnen – er ist das Ergebnis jahrzehntelanger internationaler Mitschuld und eines fehlenden politischen Willens, die brutale und lang andauernde israelische Militärbesetzung palästinensischer Gebiete zu beenden. Das internationale Recht, das sich über Jahrzehnte entwickelt hat, hat das Potenzial, auch diesen Konflikt zu lösen. Doch nicht nur im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt erleben wir derzeit, dass immer mehr Regierungen kurzsichtige nationale Interessen über das langfristige Gemeinwohl und die universalen Menschenrechte stellen.

Leider ist Deutschland hier keine Ausnahme, aber als selbsterklärter Verfechter internationaler Rechtsstaatlichkeit sollte es sein derzeitiges Schweigen und seine Verstrickung in Bezug auf Verletzungen des humanitären Völkerrechts in Gaza beenden und entsprechende Untersuchungen und Verfahren aktiv fördern.

  • Als Unterzeichnerstaat des UN-Waffenhandelsabkommens (UN Arms Trade Treaty) muss es Waffenlieferungen an Israel einstellen, wenn die ernste Gefahr besteht, dass diese für Verletzungen des humanitären Völkerrechts eingesetzt werden. Bei den aktuell diskutierten Exporten von Munition oder Ersatzteilen für Panzer oder Kampfhubschrauber wäre dies zum Beispiel der Fall.
  • Als Befürworter einer gerechten Friedenslösung sollte es seine Duldung der illegalen, andauernden israelischen Besatzung und seiner Siedlungspolitik im Westjordanland und in Ostjerusalem beenden.
  • Und als wichtiger Akteur in der Europäischen Union sollte es alle Initiativen der EU aktiv unterstützen, die darauf abzielen, die Rechtsverletzungen in den besetzten palästinensischen Gebieten zu beenden und einen gerechten Frieden für die Menschen dort und in Israel zu erreichen.

Überleben sichern

Die Menschen in Gaza und im Libanon benötigen dringend humanitäre Hilfe. Oxfam ist vor Ort, um lebensrettende Nothilfe zu leisten.

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