Einmal mehr müssen unschuldige Menschen im besetzten palästinensischen Gebiet und in Israel den Preis für das Versagen ihrer politischen Führungen bezahlen. Diese treiben den Kreislauf von Tod und Zerstörung immer weiter an, anstatt den Ursachen der Krise zu begegnen und gemeinsam an einer Perspektive für einen gerechten und dauerhaften Frieden zwischen Palästinenser und Israelis zu arbeiten.

„Palästinensische Frauen, Männer und Kinder in Gaza mussten allein in den letzten zehn Jahren drei aufeinanderfolgende Kriege ertragen", sagt Laila Barhoum, Oxfams Sprecherin im Gazastreifen. „Wir sind müde. Tag für Tag erleben wir, wie Bomben auf Häuser fallen, in denen unsere Freunde und Familien leben, und auf Gebäude, in denen unsere Kolleginnen und Kollegen arbeiten. Und jedes Mal fragen wir uns, ob wir die Nächsten sein werden. Tag für Tag warten wir vergeblich darauf, dass die internationale Gemeinschaft die von allen Seiten begangene Gewalt unmissverständlich verurteilt. Irgendwann wird ein Waffenstillstand ausgerufen. Dann werden wir einmal mehr die Trümmer zur Seite räumen und mit dem Wiederaufbau beginnen – jedoch nur, um bald einem erneuten Zyklus von Gewalt und Zerstörung entgegenzusehen.“

Oxfam fordert ein sofortiges Ende aller Gewalt in Israel und im besetzten palästinensischen Gebiet. Alle Konfliktparteien müssen ihre Verpflichtungen erfüllen, die sich aus dem humanitären Völkerrecht ergeben. Dazu gehören insbesondere die Gebote, genau zwischen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden und bei Gewaltanwendung stets größtmögliche Zurückhaltung und Verhältnismäßigkeit zu wahren. Die internationale Gemeinschaft muss sich unmissverständlich dafür einsetzen, dass sowohl die derzeitige Eskalation der Feindseligkeiten als auch die zugrunde liegenden Völkerrechtsbrüche, Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen in der Region beendet werden.

Schon bevor die Gewalt ausbrach, waren die meisten Familien in Gaza mit dem bloßen Überleben beschäftigt – sogar, während sie den heiligen Monat Ramadan feierten. Neben der bereits 14 Jahre andauernden Blockade durch Israel macht den Menschen besonders die aktuelle Covid-19-Pandemie schwer zu schaffen. Das traditionelle Zuckerfest zum Ende des Fastenmonats musste im Schatten anhaltender Luftangriffe stattfinden, bei denen bisher 119 Palästinenser*innen – darunter 31 Kinder – getötet und 830 verletzt worden sind.

Auf der anderen Seite sind in Israel durch Raketenbeschuss aus Gaza bislang acht Menschen, darunter ein Soldat und zwei Kinder – getötet und 104 verletzt worden. Bewaffnete palästinensische Gruppen haben mindestens 1.750 Raketen und Mörsergranaten auf Israel abgeschossen. Viele Gemeinschaften in Israel leben in Angst und Schrecken vor wahllosen Raketenangriffen, und an vielen Orten im Land eskaliert die wechselseitige Gewalt zwischen jüdischen und palästinensischen Bürger*innen.

Sollte die extreme Gewalt anhalten, drohen viele weitere unschuldige Zivilist*innen im Gazastreifen, dem übrigen palästinensischen Gebiet und auch in Israel ihr Leben zu verlieren. Darüber hinaus werden besonders im Gazastreifen Tausende durch den Stillstand der Wirtschaft und die Unterbrechung der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wie z.B. Treibstoff gefährdet sein.

Die Raketenangriffe auf Israel sind durch nichts zu rechtfertigen. Doch diese Feststellung darf nicht den Blick auf die Hintergründe des Konflikts verstellen. Vorausgegangen waren wochenlange Brutalität und exzessive Gewalt durch israelische Siedler*innen und Polizist*innen gegen palästinensische Gläubige, medizinisches Personal und Demonstrant*innen im besetzten Ost-Jerusalem. Palästinensische Bewohner*innen im Stadtteil Sheikh Jarrah drohte die gewaltsame Vertreibung aus ihren Häusern. Weitgehende Straflosigkeit in Israel und fehlender internationaler Druck, derartige Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsbrüche zu beenden, haben der jetzigen Entwicklung Vorschub geleistet. Auf der anderen Seite versagen die palästinensischen Verantwortlichen im Westjordanland und im Gazastreifen seit Jahren dabei, der eigenen Bevölkerung eine politische und wirtschaftliche Perspektive zu schaffen, was die Frustration der Menschen dort massiv gesteigert und den Konflikt weiter angefacht hat.

„Wir versuchen, in Gaza, Sicherheit zu finden – auch, wenn wir inzwischen nicht mehr wissen, was dies genau bedeutet. Die meisten Menschen hier haben keinen Ort, zu dem sie fliehen können, weil sie auf drei Seiten von Sperrmauern und auf der vierten Seite vom Mittelmeer umgeben sind. Das ist unsere Realität", sagt Laila Barhoum.

„Heute werden wir Zeuge des langjährigen Versagens der internationalen Gemeinschaft, die Sicherheit, Würde und Menschenrechte der Menschen in der Region zu schützen", sagt Gabriela Bucher, Geschäftsführerin von Oxfam International. „Den Kreislauf von Hass und Krieg zu durchbrechen, ist mehr als überfällig. Zusagen für immer neue humanitäre Hilfe geraten zum Feigenblatt, wenn nicht zugleich die tieferen Ursachen von Ungerechtigkeit und Gewalt angegangen werden."