Die EU darf sich nicht mitschuldig machen am Verlust von Menschenleben auf See und an den Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen Europas

Erneut sind Dutzende von Menschen an der europäischen Außengrenze ums Leben gekommen, weil die EU es nicht geschafft hat, schutzsuchende Menschen sicher nach Europa zu bringen.

Nach der jüngsten Tragödie nahe der griechischen Küste werden noch Hunderte von Menschen vermisst und gelten als tot. Berichten zufolge befinden sich unter den Toten viele Frauen und Kinder, die auf einem unteren Deck des überfüllten Fischkutters festgehalten wurden. Die Behörden mehrerer Mitgliedstaaten wurden einige Stunden vor dem Kentern über das in Seenot geratene Schiff informiert.[1] Ein Frontex-Flugzeug war ebenfalls in der Nähe des Unfallorts.[2]

Diese Tragödien spielen sich tagtäglich an den europäischen Land- und Seegrenzen ab. Die ersten drei Monate dieses Jahres waren das tödlichste Quartal im zentralen Mittelmeerraum seit sechs Jahren.[3]

Menschenrechtsorganisationen[4], zivilgesellschaftliche Organisationen, die Vereinten Nationen[5] sowie zahlreiche investigative Journalist*innen und große Medien[6]  haben diese Menschenrechtsverletzungen, Pushbacks[7] und systematische Versäumnisse bei Seenotrettungsaktionen dokumentiert, die inzwischen zur de-facto-Politik der EU im Umgang mit Migrationsmanagement geworden sind. Hunderte von Berichten und Beweismitteln wurden veröffentlicht, darunter auch solche, die direkt auf Aussagen von Zeugen und Überlebenden basieren. Viele Organisationen haben sich unermüdlich bei der Europäischen Kommission, den Mitgliedstaaten und europäischen Entscheidungsträgern für Maßnahmen eingesetzt, um den Menschenrechtsverletzungen und dem sinnlosen Sterben an den EU-Außengrenzen ein Ende zu setzen.

Stattdessen haben einige EU-Staaten die Such- und Rettungskapazitäten (SAR) auf See drastisch reduziert und gleichzeitig die zivile Seenotrettung eingeschränkt.[8] Das bedeutet, dass Menschen in Not keine schnelle und wirksame Hilfe geleistet werden kann, was eine eklatante Missachtung der internationalen Pflicht zur Seenotrettung darstellt.

Anreize für noch mehr Pushbacks und Todesfälle

Außerdem haben sich die Mitgliedstaaten letzte Woche auf eine Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystem geeinigt, die auf Abschreckung und systematischer Inhaftierung an den Außengrenzen beruht und die höchstwahrscheinlich zusätzliche Anreize für noch mehr Pushbacks und somit Todesfälle auf hoher See schaffen wird, während die bisherigen Mechanismen für ein Menschenrechtsmonitoring an den Grenzen weder unabhängig noch bislang wirksam sind.[9] Dies wird dazu führen, dass Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, auf noch gefährlichere Routen ausweichen, was wiederum noch mehr unnötige Todesfälle zur Folge haben wird. Unterdessen setzen die EU-Mitgliedstaaten weiterhin auf undurchsichtige und milliardenschwere Abkommen mit Drittländern, um sich von ihrer Verantwortung für Asylsuchende, die in Europa Schutz suchen, zu befreien.

Wir fordern eine umfassende Untersuchung dieser Todesfälle, insbesondere der Rolle der beteiligten EU-Mitgliedstaaten sowie von Frontex. Wir fordern die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, auf, endlich eine klare Position zu den offenen Friedhöfen an Europas Land- und Seegrenzen zu beziehen und die Mitgliedstaaten in die Pflicht zu nehmen. Wir fordern ein europäisches Asylsystem, das den Menschen das Recht garantiert, unter voller Wahrung ihrer Rechte Schutz zu suchen. Die EU sollte das Narrativ aufgeben, Schmuggler*innen die alleinige Schuld an Schiffsunglücken zu geben, und aufhören, sich bei Lösungen ausschließlich auf die Zerschlagung krimineller Netzwerke zu fixieren. Wir fordern die EU und die Mitgliedstaaten eindringlich auf, eine proaktive, staatlich organisierte Such- und Rettungsoperationen im Mittelmeer einzurichten.

Zu lange haben wir leere Worte von der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedstaaten gehört. ­Mitgliedstaaten, die sich „besorgt“, „traurig“ und „bestürzt“ über den Verlust von Menschenleben äußern, ohne zu handeln. Diesmal muss das anders sein. Es ist an der Zeit, endlich das Leben und die Rechte der Menschen zu schützen, die in Europa Sicherheit suchen.

Unterzeichnende Organisationen

  • Amnesty International
  • Danish Refugee Council
  • HIAS Europe
  • Human Rights Watch
  • International Rescue Committee
  • Médecins sans Frontières / Doctors Without Borders Missing Children Europe
  • Oxfam
  • Save the Children
  • SOS Children’s Villages International

Quellen