Einhundert Tage ist es nun her, dass über 190 Staaten in Paris ein neues Klima-Abkommen verabschiedet haben. Die UN-Weltklimakonferenz gilt als Erfolg, Politiker haben gejubelt, die Medien gefeiert. Die mittlere globale Erwärmung soll auf deutlich unter 2°C, möglichst sogar auf unter 1,5°C begrenzt und dazu die Weltwirtschaft nach und nach CO2-frei werden. Paris sei die Abkehr von den fossilen Energien, hieß es. Aufbruchstimmung allerorten. Wie ist die Lage hundert Tage später?

Heißester Februar seit Beginn der Wetteraufzeichnungen

Den Klimawandel jedenfalls hat das Abkommen nicht beeindruckt. Der Februar 2016 wird als der wärmste Februar seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in die Geschichte eingehen. Mit Abstand, und zwar so deutlich, dass Wissenschaftler schon damit rechnen, dass auch das ganze Jahr 2016 alle Wärmerekorde brechen und 2015 als das bisher wärmste Jahr ablösen könnte.


Abb.: Nie war ein Februar so warm wie der Februar 2016

Temperaturen Februar 2016 NASA
Heißer Februar 2016: Die Abbildung zeigt die Abweichung der Februartemperaturen gegenüber der mittleren Temperatur der Jahre 1951-1980. Im globalen Mittel war es um 1,35°C wärmer.

Auch die Folgen des Klimawandels verschärfen sich – ein besonders extremes Beispiel ist das alle paar Jahre wiederkehrende, globale Klimaphänomen El Niño, dass zunächst im Pazifik Meeresströmungen und Winde umkehrt, in der Folge aber weltweit zu Wetterkapriolen führt. Dieses Jahr fällt El Niño besonders stark aus. Schwere Überschwemmungen nach sintflutartigen Regenfällen haben in der Grenzregion von Paraguay, Uruguay, Brasilien und Argentinien Hunderttausende aus ihren Häusern vertrieben. In Äthiopien könnten 2016 über 10 Millionen Menschen infolge der schwersten Dürre seit 50 Jahren auf humanitäre Hilfe angewiesen sein, nachdem teilweise die Ernten um 50-90 Prozent geringer ausgefallen sind. Auch im südlichen Afrika sind 28 Millionen Menschen von Nahrungsmittelknappheit bedroht.

Trendwende nach Paris?

Was die Aufbruchstimmung seit Paris angeht, sind die Signale, freundlich formuliert, verhalten. Erst drei Länder haben das Abkommen ratifiziert: Fiji, Palau und die Marshall-Inseln. Alle drei sind wegen des steigenden Meeresspiegels in ihrer Existenz bedroht. Und sonst? Immerhin: seit dem Klimagipfel glauben in den USA wieder mehr Menschen, dass wir den Klimawandel verursachen (damit müssen wir uns in Deutschland zum Glück nicht mehr herumplagen, Klimawandel-Leugner gibt es hierzulande auch, aber sie sind doch recht selten). Der globale Treibhausgasausstoß ist seit 2013 offenbar nicht mehr gestiegen, was die Experten der Internationalen Energieagentur auch auf die erneuerbaren Energien zurückführen, für die weltweit die Investitionen steigen. Selbst in China, dem Land mit dem höchsten Ausstoß von Treibhausgasen, könnten die Emissionen ihren Scheitelpunkt erreicht haben. Sogar Greenpeace bezeugt dem Land wachsenden Ehrgeiz beim Klimaschutz im kommenden Fünf-Jahres-Plan.

Dennoch: ein radikales Umdenken, eine Trendwende und der Beginn der Großen Transformation sind nicht zu erkennen, und ganz besonders nicht in Europa. Dort funktioniert nach wie vor der Emissionshandel nicht (sondern beschert der energieintensiven Industrie Geldgeschenke in Milliardenhöhe, anstatt Anreize für Klimaschutzinvestitionen zu setzen). Auch sind in Europa, entgegen dem weltweiten Trend, die Investitionen in erneuerbare Energien 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent gesunken. Zudem, als sei Paris schon wieder Geschichte, plant die Europäische Union nicht, ihre schwache Klimaschutz-Selbstverpflichtung unter dem Pariser Abkommen nachzubessern. Bisher soll der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent sinken. Dabei ist hinlänglich bekannt, dass auch wegen der schwachen EU-Ziele die Welt auf eine Erwärmung von um die 3°C zusteuert. In Paris hat die EU noch mit viel Pomp in einer Allianz mit den besonders verwundbaren Staaten auf ein ehrgeiziges Abkommen gedrängt, das auch die 1,5°C-Grenze völkerrechtlich verankert. Jetzt, wo der Hype vorbei ist, droht ausgerechnet die EU, das Abkommen und den Geist von Paris durch Unterlassen zu verraten.

Der Bundesregierung muss man hier übrigens zugutehalten, dass sie in Brüssel (wenn auch recht leise) für eine Überarbeitung der EU-Klimaziele eintritt. Gleichzeitig steht Deutschland derzeit nicht gerade als Klimaschützer da: Die Treibhausgasemissionen Deutschlands stagnieren seit 2009 und sind 2015 sogar wieder leicht angestiegen, die Bundesregierung tut alles, um den Ausbau der erneuerbaren Energien auszubremsen, die Investitionen in erneuerbare Energien sind 2015 gegenüber dem Vorjahr um über 40 Prozent gesunken. Kohle-Konzerne bekommen Milliarden für die Stilllegung uralter Kohlekraftwerke, die ohnehin auf der Abschaltliste standen.

Abb.: Treibhausgasemissionen in Deutschland 1990-2015

Treibhausgasemissionen in Deutschland 1990-2015
Kaum Veränderung seit 2009 und leichter Anstieg 2015. So geht Klimaschutz nicht. Gelb = Kohlendioxid, Orange = sonstige Treibhausgase. Angaben in Mio. Tonnen CO2-Äquivalent. (Stand: 11.02.2016)

Klimaschutzplan 2050: Echter Ehrgeiz oder Wortklauberei?

Nicht, dass sich gar nichts täte. Derzeit bastelt die Bundesregierung an ihrem Klimaschutzplan 2050, den sie noch vor der Sommerpause verabschieden möchte. Dann wird sich herausstellen, ob sie mangelnden klimapolitischen Ehrgeiz hinter Wortklauberei versteckt oder sich die Ergebnisse von Paris wirklich auf die Fahnen schreibt. Sie könnte dabei übrigens einen Blick über den Ärmelkanal werfen. Die britische Regierung hat gerade in einem Gesetz das Ziel verankert, den britischen Treibhausgasausstoß unterm Strich auf null abzusenken.

Das wäre auch für Deutschland wünschenswert, um der Politik eine langfristige, gesetzlich festgeschriebene Orientierung zu geben, die mit den Ergebnissen von Paris (und insbesondere dem 1,5°C-Limit) kompatibel ist. Die Maßnahmen, die die Bundesregierung momentan in ihren Klimaschutzplan 2050 schreibt, müssen zu einer Reduzierung der deutschen Treibhausgasemissionen von mindestens 95 Prozent führen. Sie müssen auch den Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohlekraft bis spätestens 2035 sicherstellen, wobei ein Großteil der Kraftwerke schon deutlich früher vom Netz gehen müsste (wie es gerade 26 Umwelt- und Entwicklungsorganisationen in einem Offenen Brief gefordert haben).

Und nun? Vielleicht wird jetzt ja alles besser, und Deutschland mit dem Klimaschutzplan 2050 wieder Klassenbester. Für diese Hoffnung gebe ich der Bundesregierung gerne noch einmal hundert Tage.

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