Zur Abwechslung mal große Einigkeit im Deutschen Bundestag: Dort beschließen die Abgeordneten heute die Ratifizierung des Pariser Klimaschutzabkommens, das Ende letzten Jahres in der französischen Hauptstadt mit großem Hallo verabschiedet wurde und das von allen Seiten als sensationeller Meilenstein in der internationalen Klimaschutz-Diplomatie gefeiert wurde (trotz seiner Schwachstellen).

Damit das Abkommen völkerrechtlich in Kraft tritt, muss es von mindestens 55 Ländern ratifiziert werden, die zusammen mindestens 55 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen repräsentieren. Am schnellsten waren die kleinen Inselstaaten. Ihre Motivation dazu ist bitter, denn der wegen der globalen Erwärmung steigende Meeresspiegel ist für diese Länder eine existenzielle Bedrohung. Das Abkommen ist für sie eine Überlebensfrage.

Inzwischen sind 60 Länder dem Abkommen beigetreten, darunter auch die Schwergewichte China und die USA, die sich mit dem Klimaschutz in der Vergangenheit oft schwer taten. Nun also ist die erste Schwelle erreicht. Auch die zweite Schwelle ist in greifbare Nähe gerückt: Diese 60 Länder stehen für fast 48 Prozent der Emissionen. Deutschland fügt dem nun etwa 2,6 Prozent hinzu.

Was Anfang des Jahres noch niemand zu hoffen wagte, ist nun möglich: dass das Abkommen noch in diesem Jahr in Kraft tritt. Das hätte große Symbolkraft und gäbe den Regierungen starken Rückenwind, die Ziele des Abkommens in konkreten Klimaschutz im eigenen Land zu übersetzen. Sollte man denken.

Klimaschutzplan 2050 unterläuft Pariser Abkommen

So ein internationaler Vertrag ist das eine, konkreter Klimaschutz im eigenen Land etwas ganz anderes. Das weiß auch die Bundesregierung. Vielleicht hat das Ratifizierungsgesetz ja deswegen nur zwei bummelige Artikel, an denen es schwerlich was zu kritteln gibt. Der erste Artikel sagt: Deutschland tritt dem Abkommen bei. Der zweite regelt, ab wann das Gesetz gilt. Änderungsanträge: keine. Der Bundestag wird das Gesetz ohne Gegenstimmen verabschieden. Da kann sich die Bundesregierung hinterher als Klimaschützer feiern.

Was sie auch kann: einen Schleier darüber legen, dass sie, gleichwohl (das muss man zugeben) sie sehr viel zum Erfolg der Verhandlungen von Paris beigetragen hat, das Abkommen übel zu unterlaufen droht. Ratifizierung oder nicht: Der derzeitige Entwurf des Klimaschutzplans 2050, in dem die Bundesregierung die Klimapolitik der kommenden Jahrzehnte skizziert, ist bei wichtigen Stellschrauben eine große Klimaschutz-Sabotage.

Dazu muss man wissen, dass die Staatengemeinschaft in Paris die Messlatte für den weltweiten Klimaschutz konkretisiert und auch verschärft hat: Nunmehr gilt das völkerrechtliche Ziel, den Anstieg der Temperaturen im weltweiten Jahresmittel auf deutlich unter 2°C und nach Möglichkeit auf maximal 1,5°C zu begrenzen. Dazu müsste Deutschland seine Treibhausgasemissionen bis zur Jahrhundertmitte auf nahe null reduzieren. So was in der Art hatte auch Umweltministerin Barbara Hendricks in den ersten Entwurf des Klimaschutzplans 2050 hineingeschrieben: Galt bisher für die Treibhausgase ein Zielkorridor von 80 bis 95 Prozent Reduktionen bis 2050, wobei sich die Politik der Energiewende eher an den 80 Prozent orientiert hatte, so müsse man nunmehr das obere Ende anvisieren, also: 95 Prozent Reduktionen.

Die klimaschädlichen Industriezweige, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und eigentlich alle, denen der Schutz der althergebrachten Wirtschaftsparadigmen am Ende des Tages doch irgendwie wichtiger ist als der des Klimas (und damit auch der vom Klimawandel betroffenen Menschen), liefen zum Sturm auf. Mit Erfolg: Eine Anpassung des deutschen Klimaschutzziels an das Pariser Abkommen ist praktisch vom Tisch. Auch sonst drückt sich der aktuelle Entwurf des Klimaschutzplans 2050 um die nötigen Weichenstellungen: Vom Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle ist nur noch indirekt und unverbindlich die Rede; auch nach konkreten Plänen, das erst kürzlich beschlossene Ausbremsen der erneuerbaren Energien in einen beschleunigten Ausbau umzukehren, sucht man vergeblich.

Wenn der Klimaschutzplan 2050 so beschlossen würde, wäre das ein herber Rückschlag nach der Aufbruchsstimmung seit Paris. Dann gewönnen jene, denen es in geradezu fahrlässiger Weise an Vorstellungskraft mangelt: die sich nicht vorstellen können, dass eine Transformation zu einem treibhausgasfreien Wirtschaftssystem weder Wachstumsbremse noch Jobkiller ist, sondern sozial gerecht gestaltet werden kann (wie es auch gerade die Gewerkschaft Ver.di für den Ausstieg aus der Kohle skizziert hat) und dabei eine beispiellose wirtschaftliche Dynamik erzeugt, von der alle profitieren werden. Also, alle mit Ausnahme der Kohlekraftwerksbetreiber, versteht sich.

Noch kann die Bundesregierung das Ruder herumreißen, aber derzeit sieht es eher so aus, als würde sie mit der rechten Hand das Pariser Abkommen unterschreiben und mit der linken Hand den Klimaschutz in Deutschland weiter weichspülen. Ich würde mich damit nicht zur kommenden Weltklimakonferenz nach Marokko trauen.

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