„Hier sitzt Müller, nicht Niebel“, erklärte Entwicklungsminister Müller Ende Januar 2014 in einem Interview. Das ist deutlich zu spüren. Der neue Minister setzt auf Dialog, wirbt bei Parlamentariern aller Couleur um Unterstützung und sucht den Schulterschluss mit Entwicklungsorganisationen.

Er gibt sich ganz nahbar, setzt sich unkompliziert zu Kindern und greift auch schon mal beherzt zum Mikrofon, um die deutsche Hymne zu singen. Seine Worte lassen aufhorchen. Manch einer traut seinen eigenen Ohren nicht. Da prangert ein Minister die Hungerlöhne von Näherinnen in Bangladesch an, ist entsetzt über die Ölförderung in Nigeria, rügt die Menschenrechtslage in Katar und empfindet es als Schande, hungernden Menschen in Afrika zu begegnen. Auf seinen vielen Reisen kann er sehen, wie groß die Probleme sind. Es gibt viel zu tun! Worten müssen nun Taten folgen, vor allen Dingen Taten, die der Verwirklichung der Menschenrechte dienen.

„Markt braucht Regeln und Macht braucht Grenzen“

Wer so spricht, könnte man meinen, der tritt für die Regulierung von Unternehmen ein, der stärkt nicht die Marktmacht von Agrarkonzernen, der setzt sich aus Entwicklungsgründen für einen Kohleausstieg und eine Agrarwende und in der Handelspolitik gegen die gefährlichen Schiedsgerichte (ISDS) ein. Doch hier fehlt es bislang an klaren Worten und engagiertem politischen Handeln. Im Gegenteil.

Beim Textilbündnis  - das Anliegen ist ehrenwert  und wichtig – setzt er beispielsweise auf die Freiwilligkeit von Unternehmen, obwohl die Erfahrungen mit freiwilligen Unternehmens­verpflichtungen vor allem eines lehren: sie sind wenig wirksam. Immerhin hat Minister Müller angekündigt, dass er entsprechende gesetzliche Regelungen erlassen werde, nach denen Unternehmen für die Nichteinhaltung von sozialen Mindeststandards in der Lieferkette haften, wenn der eingeschlagene Weg nichts bringt.

Bei der EU-Agrarpolitik sieht Entwicklungsminister Müller, wen wundert’s, keinen Handlungsbedarf. Auch bei der Novellierung des Biokraftstoffquotengesetzes im Oktober 2014 war von ihm nichts zu hören, als Landwirtschaftsminister Christian Schmidt der Biospritbranche eine Absatzgarantie für zusätzliche 500.000 Tonnen Biosprit bescherte. So manches Mal würde man sich auch hier einen wortstarken Minister wünschen. Aber wer weiß, was nicht ist, kann ja noch werden…

„Die Bekämpfung von Armut und Hunger im ländlichen Raum gehört zu den zentralen politischen Zielen des BMZ“

Mit der Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ hat Minister Müller begrüßenswerterweise die Hungerbekämpfung zu seinem Kernanliegen gemacht. Dafür soll es auch mehr Geld geben. Aber wie soll der Hunger in Afrika bekämpft werden? Minister Müller erklärt dazu: „Die Ursache ist, dass in Afrika der Boden wie im 19. Jahrhundert mit Pflug und Hacke bestellt wird. Wenn wir moderne Bewässerung, Landtechnik, Pflanzenschutz und Saatgut einsetzen, dann können wir die Produktivität verdoppeln.“ Das BMZ setzt zu sehr auf die Steigerung der Produktivität und der Produktion und zu wenig auf die Verbesserung des Zugangs zu Nahrungsmitteln. Viel entscheidender ist nämlich, dass das BMZ die Einkommenssituation der Menschen verbessert, die unter Hunger leiden (Kleinbauern-und Kleinbäuerinnen, Landlose, Pastoralisten etc.). Und dass das BMZ die betroffenen Menschen in die Entwicklung, Planung und Durchführung von Vorhaben mit einbezieht. Doch dies wird leider nicht gemacht. „Eine Welt ohne Hunger“ wird so nicht erreicht werden.

„Nachhaltigkeit muss das Prinzip aller Entwicklung, ja allen Tuns sein“

Das ist eine echt gute Aussage! Aber bei der Diskussion über die EU-Klimaziele hat sich die Bundesregierung nicht für ehrgeizige Ziele bis 2030 ausgesprochen. Von Minister Müller war nichts zu hören, obwohl ihm das Thema wichtig zu sein scheint. Auch seine Grünen Innovationszentren, sein mit Abstand größtes Einzelvorhaben in dieser Legislaturperiode, werden diesem Prinzip nicht gerecht.  Obwohl viele Zielländer massiv von Bodenerosion und vom Klimawandel betroffen sind, werden diese ökologischen Probleme bei den Grünen Innovationszentren so gut wie gar nicht adressiert. Sehr verwunderlich, angesichts der Tatsache, dass das BMZ speziell die Rehabilitierung von Böden fördern will. Integrierte Ansätze fehlen weitestgehend. Agrar-ökologische Anbauverfahren spielen in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit ein Schattendasein. Sie werden kaum berücksichtigt. Ökologische Nachhaltigkeit sieht anders aus.

Ein Paradigmenwechsel ist bislang nicht zu erkennen

Ein Jahr ist Gerd Müller nun Entwicklungsminister. Er ist jemand, der etwas bewegen will. Das ist gut so! Allerdings bestehen Zweifel, ob er hier durchdacht und strategisch genug vorgeht. Für die Verbesserung der Einkommenssituation von Menschen, die unter Hunger leiden, fehlen die Ansätze.  Ein Paradigmenwechsel in Richtung Nachhaltigkeit ist bislang trotz aller Rhetorik in der Landwirtschaft nicht zu erkennen. Am Ende muss nicht nur die Nachhaltigkeit das Prinzip aller Entwicklung, ja allen Tuns sein, sondern auch die Politikkohärenz. Eine Entwicklungspolitik aus einem Guss braucht einen Minister, der auch klare Wort zur Agrar-, Handels-, Klima-, Energie-, Biosprit- und Finanzpolitik findet.

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