Kampagnen klären auf, mobilisieren und machen Druck auf Entscheidungsträger. Um viele Unterstützer finden zu können, muss die Botschaft der Kampagne leicht verständlich und die Kommunikation mitreißend sein. Doch wie weit darf man komplexe Zusammenhänge vereinfachen, um sie verständlich zu machen? Wie viel Leid und Unglück darf man zeigen, um für Emotionen zu sorgen? Diese Sammlung von Fragen soll Campaigner/innen dabei helfen, sich moralisch nicht die Finger zu verbrennen.

Integrität – die Vertrauensfrage

Vertrauen ist das Kapital der Nichtregierungsorganisationen (engl. NGO). Indem Unterstützer im Rahmen einer Kampagne aktiv werden, zeigen sie ihr Vertrauen in die NGO. Bei den Auseinandersetzungen mit Politik und Wirtschaft bildet das Vertrauen in die NGO dann das Gewicht der Forderung. Damit eine NGO langfristige Unterstützer für ihre Kampagnen finden kann, muss man ihr vertrauen können. Für NGOs steht und fällt also alles mit der Integrität.

In der eigenen Kampagnenarbeit sollte man sich also folgende Fragen stellen:

  • Werden die in der Kampagne geforderten Werte auch im Alltag der NGO gelebt?
  • Sind die eigenen Werte, Maßstäbe und Überzeugungen bekannt und lässt sich die NGO daran messen?
  • Sind Verfahren entwickelt, welche die NGOs vor Verlockungen und Drohungen, der Korrumpierbarkeit der eigenen Werte schützt?
  • Wurde sichergestellt, dass die Kampagne das Vertrauen der Unterstützer nicht missbraucht?

Würde – eine Frage des Respekts

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Von Unglück und Leid betroffene Menschen befinden sich jedoch oft in Situationen, in denen ihre Menschenwürde verletzt wird. NGOs müssen auf dem schmalen Grad kommunizieren, einerseits das Unglück und Leid aufzuzeigen, andererseits das Unglück und Leid nicht zu instrumentalisieren. Die Achtung der Menschenwürde in der Kommunikation, in den Texten und Bildern, aber auch in der Kampagnen-Botschaft und der Art und Weise der Kommunikation ist hierbei das Gebot, dass den Unterschied zwischen Aufzeigen und Instrumentalisieren macht.

  • Wird ausgewogen über die Situation berichtet, also neben Unglück und Leid auch z.B. Engagement, Hoffnung und Zusammenhalt gezeigt?
  • Wurde der Eindruck vermieden, dass Menschen hilflos wären?
  • Wird darauf geachtet, dass in der Kampagne Diskriminierung weder angeregt noch stillschweigend geduldet wird?
  • Wurde die Kommunikation und die Kampagnen-Botschaft darauf hin überprüft, ob sie diskriminierende Äußerungen über Religion, Abstammung, Aussehen, Geschlecht, Alter, Behinderung oder sexuelle Orientierung beinhalten?
  • Wurde der Eindruck vermieden, dass bestimmte Personen minderwertig seien?
  • Wird angemessen kommuniziert? Wird auf eine Dämonisierung des politischen Gegners verzichtet?
  • Wird überprüft, dass die Kampagne keinen unangemessenen Druck auf den Gegner ausübt oder bei Unterstützern Ängste schürt?
  • Wird die Privatsphäre und der Datenschutz der Unterstützer und der politischen Gegner beachtet?

Ehrlichkeit – eine Frage der Genauigkeit

„Die Wahrheit ist selten rein und niemals einfach“ ist ein bekanntes Zitat aus Oscar Wildes Theaterstück 'Bunbury'. Genau wegen der Komplexität der Realität stützt sich jede gute Kampagne auf umfangreiche Forschung und Recherche. Problematisch wird es aber, wenn man mit einer Aufmerksamkeitsspanne von 2 bis 8 Sekunden bei der Zielgruppe rechnen muss, was normale Werte im Bereich der Ansprachen-Kommunikation sind. Dann wird die Situation zusammengekürzt auf simple Aussagen und überspitzte Bilder. Und selbst wenn man die Aufmerksamkeit hat, wird es immer bei einer Zusammenfassung der Realität bleiben.

  • Wird sichergestellt, dass die Kampagne nicht die mangelnde Erfahrung oder das fehlende Wissen der Zielgruppe ausnutzt?
  • Werden Statistiken und Informationen in angemessenen Relationen gezeigt?
  • Wurde die Zielgruppe für die Komplexität der Situation sensibilisiert?
  • Wurden potentielle kulturelle Unterschiede anerkannt und eine eurozentristische Einschätzung vermieden?
  • Wird ein Opfer/Täter-Dualismus vermieden?

Transparenz – eine Frage der Offenheit

Transparenz lässt es zu, dass Unterstützer die Hintergründe einer Kampagne und die Effektivität der Kampagnenarbeit überprüfen können. Dabei macht nicht nur der Umfang der Informationen, sondern auch die Auffindbarkeit, Verständlichkeit und Nutzbarkeit der Informationen den tatsächlichen Grad der Offenheit und Transparenz aus. Dass Transparenz eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme ist, bestreitet heute niemand mehr. Nur ist es schwierig Unterstützern zu vermitteln, dass die Bereitstellung von Transparenz sich auf die Verwaltungskosten von Spenden niederschlagen, weswegen viele NGOs doch lieber sparsam mit ihren Investitionen in Transparenz umgehen. Die Frage ist also, welches Mindestmaß an Transparenz immer gelten sollte.

  • Werden Hintergrund-Informationen angeboten, die es ermöglichen die Kampagnen-Aussagen zu überprüfen?
  • Findet eine Kommunikation der Ergebnisse statt, auch wenn die Ergebnisse hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind? Wird erklärt, wie die Ergebnisse zustande kamen?
  • Werden bestehende Interessenskonflikte und Befangenheiten zugegeben und erklärt?
  • Wird auf die Eigeninteressen der NGO hingewiesen?
  • Werden die Finanzierung einer Kampagne und dessen wirtschaftlichen Kosten und Gewinne transparent, verständlich und auffindbar veröffentlicht?

Partizipation – eine Frage der Legitimation

NGOs repräsentieren die Interessen ihrer Unterstützer und die Interessen der Betroffen. Als NGO versammelt man die Stimmen derer, welche alleine nicht gehört werden. Viel zu oft wird den Unterstützern aber nur die typische Unterschriftensammlung und ein Spendenformular geboten. Und die Betroffenen selber werden bei der Konzeption der Kampagne nur selten gefragt, was sie wirklich brauchen.

  • Wird Betroffenen und Unterstützern die Möglichkeit gegeben, mit eigenen Mitteln und nach eigenen Ideen aktiv werden zu können? Findet ein 'Empowerment' statt?
  • Werden Unterstützern mehrere Wege zur Unterstützung angeboten, in denen sie ihre unterschiedliche Fähigkeiten und Engagement einbringen können?
  • Wurden Kampagnenziele mit Betroffenen diskutiert? Unterstützen die Betroffenen die Kampagne und ihre Ziele?

Wirkung – eine Frage der Fehlerkultur

Kampagnen darf man an ihrer Wirkung messen. Dabei reicht die Skala von Erfolg, der noch Gutes in anderen Bereichen bewirkt, bis zu eindeutig negativen Effekten und Kollateralschäden. Meistens muss man sich aber mit Kompromissen und kleinen Fortschritten zufrieden geben. Hier ist es dann sinnvoll nach der Effizienz der Kampagne zu fragen und damit auch nach dem internen Umgang mit Fehlern. Ineffizienz ist dann festzustellen, wenn in der Kampagnenarbeit vermeidbare Fehler gemacht wurden und man zudem aus den Fehlern nichts lernt.

  • Werden Kampagnen auf ihre Wirkung hin gemessen?
  • Wurde die Möglichkeit von Kollateralschäden der Kampagne evaluiert? Gab es eine Risikoanalyse?
  • Wird die Kampagnenarbeit evaluiert und aus Fehlern für weitere Kampagnen gelernt?
  • Nutzt man als Campaigner Weiterbildungen und steht im Austausch mit anderen Campaignern?

 

Diese erste Sammlung von moralischen Fragen für die Kampagnenarbeit ist bestimmt noch nicht vollständig. Wenn du liebe Leserin oder lieber Leser eigene Punkte einbringen willst, dann freue ich mich sehr über ein Kommentar von Dir.

Die Idee für diesen Blog-Beitrag kam mir übrigens bei einer Debatte des eCampaigning Forums in Oxford, bei der es um die Evaluation der Kony2012 Kampagne ging. Sechs Wochen später habe ich dann noch eine Barcamp-Session auf der re:campaign in Berlin vorgeschlagen, deren Ergebnisse hier ebenfalls verarbeitet wurden. Vielen Dank an die Teilnehmer der beiden Veranstaltungen, deren Meinungen und Fragen sich hier vielfach wiederfinden.

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