Nichts bewegt die Landwirtschaft derzeit so sehr wie die Digitalisierung. Verheißungsvoll wird erklärt, welch ein Segen die digitale Landwirtschaft sein wird. „Mensch und Natur arbeiten dank vernetzter IT enger zusammen denn je – Precision Farming macht es möglich“, heißt es. Das vielfach genannte, ultimative Ziel: 2050 neun Milliarden Menschen auf diesem Planeten zu ernähren. Dass die Digitalisierung die Landwirtschaft von Grund auf ändern wird, davon gehen Experten heutzutage aus. Die entscheidende Frage ist: Welche Auswirkungen haben die digitalen Technologien für die (klein-)bäuerliche Landwirtschaft und für die Umwelt? Können digitale Technologien eine soziale und ökologische Transformation unterstützen oder behindern sie diese vielmehr? Ein Blick auf die jetzige Entwicklung gibt wichtige Hinweise.

Farm Tech: Folge dem Geld!

Ein Gradmesser für Entwicklungstrends ist, wie viel und wohin Venture-Capital fließt. Innerhalb eines Jahres hat sich die Anzahl der Investoren in die AgriFood-Tech-Branche verdoppelt, von 670 auf 1.487 im Jahr 2017. Interessant ist, in welche Bereiche am meisten investiert wird:

  • Von den weltweit 10 Milliarden US-Dollar in AgriFood Tech 2017 investierten Geldern entfielen 2,6 Milliarden auf FarmTech. An der Spitze standen dabei Investitionen in Biotechnologie, gefolgt von Novel Farming, Agribusiness-Plattformen, Farmmanagement-Systemen und Automatisierung inkl. Roboter und Drohnen. Mit 243 Prozent erfolgte der höchste Anstieg im Vergleich zum Vorjahr bei Novel Farming, dazu zählen vertikale Farmen, Algen, Insekten und Aquakultur.
  • E-Commerce ist nicht nur im Agrarhandel groß im Kommen (+77 %), der Online-Lebensmittelhandel ist mit 2,4 Milliarden US-Dollar das attraktivste Einzel-Aktionsfeld der AgriFood-Tech-Branche weltweit. In Europa entfielen 2017 fast die Hälfte der Investitionen (0,8 Milliarden Euro) auf die Top 5 Lieferdienste, darunter Deliveroo und Takeaway. In China waren sogar 1,8 Milliarden US-Dollar bzw. 94 Prozent (2017) der Investitionen auf verbraucherorientierte Geschäftsmodelle im Online-Lebensmittelhandel konzentriert.

Farm Tech: Wer sind die Investoren?

Während anfänglich vor allem Anleger von Risikokapital an AgriFood Tech interessiert waren, stiegen in den letzten Jahren auch Investmentfonds und Konzerne verstärkt ein. In China gehörten die drei Internetkonzerne Baidu, Alibaba und Tencent zu den Hauptinvestoren im Jahr 2017. Konzernseitig zählen Syngenta VC zu den aktivsten Playern, gefolgt von Monsanto Growth Ventures, Maumee Ventures, BASF Venture Capital, Taylor Farms Ventures und Cargill. Auch Private-Equity-Firmen wie ADM Capital und globale Investmentunternehmen wie Alliance Bernstein sind im Geschäft. Wenn es um AgriFood Tech geht, sind auch Google, Amazon und Facebook mit dabei. So hat Google Ventures 2017 in das Farmers Business Network (US) investiert und Jeff Bezos’ Expedition Fund in Plenty (US-Indoor Farming). Den größten Fuß in der Tür aber haben die Landtechnik-Konzerne wie John Deere, AGCO und Claas, aber auch die Saatgut- und Agrarchemiekonzerne sind sehr aktiv.

Farm Tech: In welche Start-ups wird investiert?

Die Vielzahl von Start-ups macht einen Komplettüberblick unmöglich. Forbes hat eine Liste von Top 25 AgTech zusammengestellt. Bei AgFunders sind die Top 10 FarmTech und die afrikanischen Top 10 AgTech zu finden. In Lateinamerika sind Start-Ups wie Agrofy, Strider und Indigo vorne weg. Im April 2018 haben Bayer, die Weltbanktochter IFC, Netafim und Swiss Re die globale Allianz „Better Life Farming“ gegründet, die kleinbäuerlichen Produzenten „innovative“ Lösungen anbieten will, d.h. Saatgut, Pestizide, Bewässerungstechnik, Kredite und Versicherungen.

Anbei einige Beispiele von AgTech-Start-ups:

  • Agrofy: E-Commerce wächst schnell in Lateinamerika. Auch das argentinische Unternehmen bietet einen Online-Marktplatz an. Gelistet sind mehr als 65.000 Produkte von 5.000 Unternehmen, darunter Landtechnik, Land, Logistik, Versicherung und Finanzdienstleistungen. Auch Bayer, BASF und Claas sind dabei. Agrofy wird von Syngenta und Bunge finanziell unterstützt.
  • Indigo: Das US-amerikanische Unternehmen ist auch in Argentinien, Brasilien und Indien tätig. Es setzt auf Synthethische Biologie, gerät aber durch Bayer-Monsanto unter Druck. Nun expandiert es in den Online-Getreidehandel.
  • Luftbildaufnahme von Äckern in verschiedenen Falschfarbendarstellungen
    Über Fernerkundungs-Sensoren und Satellitenbilder lassen sich viele landwirtschaftliche Daten gewinnen.
    Strider ist eine Farmmanagement-Software-Plattform, die mittels Big Data, Satellitenbildern und Sensoren Schädlinge, Unkräuter und Maschinen auf mehr als 3.000 Farmen weltweit überwacht. Von Argentinien, Bolivien, Brasilien, Mexiko bis hin zu Mosambik. In Brasilien steht das Unternehmen in Kopf-an-Kopf-Konkurrenz zur Climate Corporation von Bayer-Monsanto. Ihre Kunden haben dort meistens mehr als 5.000 Hektar.
  • Pula ist ein Versicherungsvermittler, der in Afrika und Südasien aktiv ist. 2017 zählten 611.040 kleinbäuerliche Produzenten zu ihren Kunden, davon 85 Prozent Männer. Sie arbeiten zusammen mit Partnern wie Monsanto, WFP und staatlichen Stellen. Die kleinbäuerlichen Produzenten erhalten die Versicherungspolice gratis, wenn sie Betriebsmittel wie Saatgut oder Düngemittel kaufen und ihre Daten geben. Die Prämien bezahlen die Inputunternehmen. Die Kompensation bei Ertragsverlusten wird auf der Grundlage von Satellitendaten und Ertragsdaten automatisch berechnet. Pula versendet ebenso Präzisions-Anbauempfehlungen via SMS.
  • Farmcrowdy ist die erste digitale Agrar-Plattform in Nigeria. Individualpersonen sponsern einen von ihnen ausgewählten Betrieb. Am Ende des Anbauzyklus erhalten sie ihr Startkapital plus 40 Prozent des Profits. Der Bauer erhält ebenso 40 Prozent des Profits und 20 Prozent bleiben bei Farmcrowdy. Farmcrowdy stellt sicher, dass der Betrieb „moderne“ Anbautechniken anwendet sowie verbessertes Saatgut und moderne Landtechnik einsetzt. Farmcrowdy kooperiert mit Syngenta, Notore Seeds und ASTC (Agricultural Services Training Centre).
  • Das Start-up Wakati verkauft für 100 US ein solarbetriebenes Kühlzelt, in dem 150 kg frisches Obst und Gemüse für bis zu 10 Tage frisch gehalten werden kann. Futurepump bietet solarbetriebene Bewässerungstechnik für kleinbäuerliche Produzenten in Afrika und Asien an. Werden 3 Solarpaneele eingesetzt, können pro Stunde 3.600 Liter Wasser gepumpt werden. Kosten: 650 US-Dollar.

Mehr Fusionen und Übernahmen mit Digitalisierung

Die Digitalisierung geht einher mit einer Welle von Fusionen und Übernahmen. KPMG erwartet, dass sowohl Agrarkonzerne diesbezüglich aktiv sein werden als auch Techkonzerne wie Google und Amazon und staatseigene Unternehmen. Im Jahr 2017 fanden die meisten AgriFood-Tech-Übernahmen im Bereich Farmmanagement statt, gefolgt von Lebensmittelhandel, Robotern und Biotechnologie. Heute sind die Übernahmen der Landmaschinenhersteller nicht mehr Eisen-basiert, sondern Tech-basiert, erklärt Robert Saik von Agri-Data Solutions. Mit der Übernahme von Blue River Technology im Jahr 2017 spielt John Deere vorneweg in der High-Tech-Welt der Landwirtschaft mit. Im selben Jahr hat AGCO Precision Planting von Climate Corporation gekauft und Datenabkommen mit ihr angekündigt. Deere und AGCO arbeiten mit BASF, Bayer-Monsanto und DowDupont an der Digitalisierung der Landwirtschaft. Nach der Fusion ist Bayer im Besitz von Monsantos Sahnestück, der digitalen Plattform der Climate Corporation. Syngenta hat bereits mehrere AgTech-Unternehmen aufgekauft und plant die Übernahme von Strider. Der Kampf um die Daten- und Informations­führerschaft als auch die Marktführerschaft bei Farmmanagement-Systemen treibt das Fusions­karrussel an. Es ist davon auszugehen, dass es zukünftig nur 2-3 Farmmanagement-Systeme geben wird, die sich durchsetzen.

Ein Roboterfahrzeug auf einem Acker
Ein AGCO-Feldroboter bei der satellitengestützten Mais-Aussaat. Die Steuerung läuft über die Cloud des Konzerns – und dorthin fließen alle Daten.

Digitale Landwirtschaft: Welche Chancen und Risiken gibt es?

Angesichts der enormen Marktmacht der Agrarkonzerne ist nicht zu erwarten, dass die Digitalisierung die Machtverhältnisse in der Lieferkette zugunsten von (klein-)bäuerlichen Betrieben ändern wird. Ein Potenzial bieten vielleicht Vermarktungs- und Getreidehandel-Plattformen oder digitale Technologien, die an kleinbäuerliche Produzenten angepasst sind. Zudem können digitale Instrumente wichtige Informationen über Marktentwicklungen bereitstellen und die Vernetzung verbessern, auch mit Konsument*innen. Im Visier der FarmTech-Start-ups und der Agrarkonzerne sind in erster Linie marktorientierte Betriebe, die in Wertschöpfungsketten integriert sind und eine input-fokussierte Landwirtschaft betreiben, die also viel Dünger und Pestizide einsetzen. Marginalisierte kleinbäuerliche Produzenten, die unter Armut und Hunger leiden, drohen weiterhin vernachlässigt zu werden. Wenn sich der gegenwärtige Trend fortsetzt, wird die digitale Landwirtschaft nichts an der Hungersituation und den Verletzungen des Rechts auf Nahrung ändern.

Die Agrarkonzerne und Dienstleister können mittels der erhobenen Daten kontrollieren, was Erzeuger*innen tatsächlich auf ihren Flächen und in ihren Ställen tun. Ob es um Futtermittel für Schweine, die Milchleistung von Kühen, die Nutzerdaten zum Einsatz von Pestiziden, Mineraldünger, Saatgut und Traktorenöl oder Daten über Erträge, Böden und Pflanzen geht. Rechtliche Fragen zu Daten in der Landwirtschaft sind hierzulande noch nicht abschließend geklärt, eine entsprechende Diskussion in Entwicklungsländern ist mir nicht bekannt. Ob der freiwillige EU-Verhaltenskodex zwischen Bauernverbänden und dem Agribusiness die Bauern und Bäuerinnen vor der Datengier der marktmächtigen Agrarkonzerne schützt, ist fraglich. Ex-ante sozial-ökologische Technikfolgen­abschätzungen von digitalen Technologien liegen nicht vor, ein TAB-Bericht ist in der Bearbeitung.

Die Digitalisierung befördert die Monopolbildung. Netzwerk-, Verbund- und Skaleneffekte kommen neben Fusionen und Übernahmen auch bei der digitalen Landwirtschaft zum Tragen. Die Abhängigkeit von Agrarkonzernen steigt, wenn die Auswahlmöglichkeiten bei Saatgut weiter reduziert und ein Wechsel der Farmmanagement-Systeme erschwert wird. Eine PwC-Umfrage hat ergeben, dass zudem die hohen Anschaffungskosten von Betrieben in Deutschland kritisch gesehen werden, zumal unsicher ist, ob und in welchen Bereichen sich die Investition überhaupt lohnt. Dies umso mehr, als die Erzeugerpreise vielfach zu niedrig sind. Für kapitalschwache bäuerliche Betriebe, erst recht im Globalen Süden, sind die mit digitalen Instrumenten ausgestatteten Maschinen zu teuer. Aus „Wachse oder Weiche“ wird „Digitalisiere oder Weiche“.

Es gibt aktuell keine Anzeichen dafür, dass die Digitalisierung zu einer Abkehr von der industriellen Landwirtschaft führt. Es geht vielmehr um eine Optimierung des bestehenden industriellen Agrarmodells. Umweltprobleme wie die Bodendegradation und der Verlust der Biodiversität bleiben ungelöst. Die biologischen Interaktionen in Ökosystemen lassen sich im Gegensatz zu linearen Input-Output-Ansätzen nur schwer in messbare und somit optimierbare Prozesse übersetzen. Die Agrarökologie lebt vom bäuerlichen Wissen über natürliche Kreisläufe, standortangepasstes Saatgut, lebendige Böden und mehrgliedrige Fruchtfolgen. Dieses Wissen droht durch die Digitalisierung mehr und mehr verloren zu gehen.

Biodiversität und Mischanbau fallen (bislang) nicht in das Repertoire der digitalen Angebote. In der Agrarökologie geht es nicht darum, wie viel NPK – Natrium, Phosphor, Kalium – die Pflanzen brauchen, sondern was die Böden brauchen, um das Bodenleben und damit den Humusaufbau zu fördern. Die Frage, welche Hilfspflanzen nützliche Insekten anlocken, stellt sich bei den digitalen Plattformen, die Mineraldünger und Pestizide anbieten, nicht. Die Digitalisierung verengt den Blick auf die Landwirtschaft und lässt ökosystemische Ansätze außen vor. Die notwendige soziale und ökologische Transformation der Landwirtschaft droht aus dem Blick zu geraten.

5 Kommentare

Ich fondes gurt

Ich finde es als Entwicklungshelfer wichtig, was in der Landwirtschaft passiert. Die Menschen wissen das gar nicht; anstatt jeden Abend einen Tatort zu sehen.
Es gibt viele Rentner/innen, welche auf Ihre Enkel aufpassen und wenn beide Eltern arbeiten gehen schauen die Kinder auch fern.
Man müsste Ihnen dieses auch zeigen.
Die Menschen hier leben, um zu überleben: was man in Afrika schon lange vorher hatte, aber nicht gestreßt wie hier.
Im 1./2.Programm des Fernsehens müssten genau diese Dinge angesprochen werden.
Evtl. in der Sendung um 20:15h von Anne Will:" Klimaerwärmung stoppen durch Ökologische Landwirtschaft."
Ein Appell an die Politik:
So würde der ökologische Anbau an Schulen interessant und direkt angesprochen, wenn die Lehrer auch Ökoprojekte umsetzen würden: Wir müssen auch an die Folgegeneration denken.

Ich habe genug Geld um Deutschland zu kaufen und alle Menschen zu versklaven!!!!!!!!!!

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