Sehr geehrter Herr Bundesminister Seehofer,

am 4. März sind Sie und Ihre EU-Ministerkolleg*innen in Brüssel zu einem Dringlichkeitstreffen zusammengekommen, um die Situation an der griechisch-türkischen Grenze zu besprechen. In dem gemeinsamen Statement haben Sie erklärt, dass die Situation uns alle beträfe, weil die Außengrenze Griechenlands auch die Außengrenze der EU sei. Sie haben Ihre Solidarität mit den europäischen Staaten, die von der Situation betroffen sind oder es noch werden könnten, zum Ausdruck gebracht und Sie haben sich dazu bekannt, die Grenzen gemeinsam zu schützen.

In Ihrer Erklärung gibt es zwei klaffende Lücken:

Mit keinem Wort äußern Sie Solidarität mit den Menschen, die an den EU-Grenzen festsitzen. Diese Menschen, die zum großen Teil aus kriegszerrütteten Ländern oder vor Menschenrechtsverletzungen ihrer eigenen Regierungen geflohen sind, stecken seit Tagen und Wochen unter elenden und entwürdigenden Bedingungen fest. Sie sind Gewalt, Angriffen und Zurückweisungen durch Sicherheitskräfte ausgesetzt und riskieren ihr Leben, um in Sicherheit zu gelangen.

Auch haben Sie kein einziges Wort verloren, um die zunehmenden rassistischen Angriffe auf Geflüchtete in Europa und auf freiwillige und professionelle Helfer*innen, die ihnen zur Seite stehen, zu verurteilen. Das Fehlen jeglicher Lösungen und Verantwortungsteilung innerhalb der EU-Staaten hat Fremdenfeindlichkeit und Extremismus in die Hände gespielt. Dies gipfelte in Attacken und Angriffen auf Geflüchtete und Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen. Auf der winzigen Insel Lesbos mit ihren 85.000 Einwohner*innen, sind derzeit 20.000 Asylsuchende in einem EU-„Hotspot“-Camp zusammengepfercht. Fast die Hälfte von ihnen sind Kinder. Gleichzeitig mussten andere Zentren schließen, die sichere Unterkunft für weibliche Geflüchtete und rechtliche Beratung für geflüchtete Menschen boten. Dies wird die ohnehin schon schreckliche Lage vieler Geflüchteter weiter verschlechtern, die gezwungen sind, im Freien zu übernachten, oder in dünnen Zelten ohne Heizung, ohne funktionierende Toiletten oder Duschen und ohne Zugang zu angemessener medizinischer Betreuung campieren.

Aber nicht nur das Fehlen von Solidarität in Ihrem Statement ist eklatant.

Als Griechenland am 1. März bekannt gab, dass es die Möglichkeit, auf seinem Territorium Asyl zu beantragen, außer Kraft setzen wird, hätten Sie und die andere EU-Innenminister*innen diesen Bruch des europäischen und internationalen Rechts verurteilen müssen. Stattdessen haben Sie die kriegerische Wortwahl der EU-Kommissionsvorsitzenden Ursula von der Leyen übernommen, die Griechenland den „Schutzschild“ Europas nannte.

Aber es ist noch nicht zu spät. Noch kann sich Deutschland mit anderen europäischen Mitgliedsstaaten zu einer gemeinsamen Verantwortung für die Kinder, Frauen und Männer bekennen, die Schutz vor bewaffneten Konflikten, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen suchen. Die Bundesregierung muss die Unterstützung für Geflüchtete und die Gemeinschaften, die sie aufnehmen, erhöhen. Die EU kann Teil einer politischen Lösung sein, die darauf abzielt, den Konflikt in Syrien zu überwinden, und sie muss weiterhin diejenigen in Not mit humanitärer Hilfe unterstützen. Gleichzeitig müssen wir denjenigen, die bereits in EU-Mitgliedsländern nach Schutz und Sicherheit suchen, menschlich gegenübertreten.

Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ausdrücklich die klaren Worte der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Bärbel Kofler, sowie die Vorstöße und Solidaritätsbekundungen von Städten und Gemeinden, der Zivilgesellschaft und der Kirchen.

Diesen Worten müssen Taten der Bundesregierung folgen. Die angekündigte Beteiligung an einer europäischen Initiative zur Aufnahme von besonders schutzbedürftigen minderjährigen Geflüchteten kann nur ein erster Schritt sein.

Wir fordern Sie auf, die sich verschärfende humanitäre Krise an den EU-Außengrenzen zu beenden und gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten eine klare Botschaft an die europäischen Bürger*innen zu senden, dass die Verteidigung europäischer Werte nur die Verteidigung der Menschenrechte bedeuten kann.

Hochachtungsvoll

Marion Lieser
Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende
Oxfam Deutschland e.V.

23 Kommentare

Den afrikanischen Kontinent ausbeuten, mit Interessen- Kriegen überziehen, an den Rüstungsprodukten verdienen; aber die Menschen würdelos behandeln, ihre Flucht und Solidrität mit den Fliehenden verhindern bw. gar kriminalisieren ist die beschämende europäische Antwort masgeblicher politischer Entscheidungsträger. Es ist einfach unerträglich und mit den Menschenrechten unvereinbar!

Danke für die Klarstellung und Solidarität mit den Flüchtlingen. Es schmerzt, dass wir in der Flüchtlingsbetreuung seit 1980 immer wieder erleben, dass Flüchtlinge bekämpft werden und nicht ernsthaft Fluchtursachen, ja m.E. werden Fluchtursachen
geschaffen durch unser Wirtschaften und durch Natopartner ... USA verschwinden auf einmal aus Syrien, besonders Nordsyrien und machen den Weg frei für Krieg in diesen Gebieten, selbst, wo es einigermaßen friedlich war und Natopartner Türkei mordet und vertreibt... Der jetzige Waffenstillstand ist nicht durchgreifend...

Zu den Menschenrechten gehören auch die Menschenpflichten. Wer einem Hilfesuchenden nicht nur die Hilfe verweigert, sondern sogar dessen Leben in Gefahr bringt, verliert in meinen Augen jede Menschenwürde. Ob er sich möglicherweise der Beihilfe zum Mord strafbar macht, mag jeder selbst überlegen: "Der Begriff Beihilfe bezeichnet im deutschen Strafrecht eine Form der Beteiligung an einer Straftat. Sie ist im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs (StGB) in § 27 StGB geregelt. Eine Beihilfe liegt vor, wenn jemand vorsätzlich einen Täter bei der Begehung einer Straftat unterstützt." Vermutlich gibt es aber keinen Tatbestand, der das Schießen auf Flüchtlingsboote vorsieht. Eine solche Inhumanität war bis vor kurzem noch undenkbar.

Kommentieren

Wir freuen uns über anregende Diskussionen, sachliche Kritik und eine freundliche Interaktion.

Bitte achten Sie auf einen respektvollen Umgangston. Auch wenn Sie unter einem Pseudonym schreiben sollten, äußern Sie bitte dennoch keine Dinge, hinter denen Sie nicht auch mit Ihrem Namen stehen könnten. In den Kommentaren soll jede*r frei seine Meinung äußern dürfen. Doch es gibt Grenzen, deren Überschreitung wir nicht dulden. Dazu gehören alle rassistischen, rechtsradikalen oder sexistischen Bemerkungen. Auch die Diffamierung von Minderheiten und Randgruppen akzeptieren wir nicht. Zudem darf kein*e Artikelautor*in oder andere*r Kommentator*in persönlich beleidigt oder bloßgestellt werden.

Bitte bedenken Sie, dass Beleidigungen und Tatsachenbehauptungen auch justiziabel sein können. Spam-Meldungen und werbliche Einträge werden entfernt.

Die Verantwortung für die eingestellten Kommentare sowie mögliche Konsequenzen tragen die Kommentator*innen selbst.