Spätestens seit dem Valetta-Gipfel im November 2015 überlagert das Thema Migration alle anderen Prioritäten in den EU-Afrika-Beziehungen. Vergangene Woche war Bundeskanzlerin Angela Merkel in mehreren afrikanischen Ländern zu Besuch, um dort unter anderem das neue Modell der Migrationspartnerschaften zu promoten.

Die Eckdaten dieses Modells hat die Europäische Kommission bereits im vergangenen Sommer geklärt: Mehr als acht Milliarden Euro bis 2020, ergänzt durch die Mobilisierung privater Investitionen und zusätzliche Aufstockung des Afrika-Treuhandfonds. Es wurden 16 Schwerpunktländer identifiziert, denen Angebote unterbreitet werden sollen: Herkunftsländer von Flüchtlingen und Migranten oder Transitländer auf den afrikanischen Migrationsrouten.

Übergeordnetes Ziel der Migrationspartnerschaften ist ein Prozess zur Eindämmung von Flucht und Migration nach Europa. Dazu sollen die verschiedenen entwicklungs-, außen- und sicherheitspolitische Instrumente der EU miteinander kombiniert werden. Herkunftsländer, die sich an der Kooperation beteiligen und bereit erklären, Rückübernahme abgelehnter Asylbewerber zu akzeptieren, erhalten dafür im Gegenzug mehr oder weniger umfangreiche Unterstützung. Bei Transitländern geht es um strikteres Grenzmanagement und die Rückübernahme von Migranten, die ihr Hoheitsgebiet durchquert haben.

Jedes einzelne Leistungspaket soll länderspezifisch maßgeschneidert werden, wie beim Besuch der Kanzlerin in Mali deutlich wurde, der ersten Station auf der Afrika-Reise. Mali ist ein wichtiges Transitland auf der westafrikanischen Migrationsroute. Auf der Agenda von Merkel stand die Kohärenz von Entwicklung und Sicherheit in Gestalt der UN-Friedensmission MINUSMA, an der sich Deutschland mit 650 Soldaten beteiligt, ebenso wie an den beiden EU-Ausbildungsmissionen für die malische Armee und Polizei. Merkel hob speziell den deutschen Beitrag zur Unterstützung im Bereich Polizeiausbildung hervor, "… die gerade auch der Grenzsicherung dienen soll, um gegen Schmuggel vorzugehen – sei es Drogenschmuggel, sei es aber auch die illegale Migration". Deutschland werde zusammen mit Frankreich und Italien eine Migrationspartnerschaft mit Mali und Niger eingehen.

Auf Nachfrage, inwieweit die Partnerschaft nach dem Vorbild des umstrittenen EU-Türkei-Abkommens gestaltet würde, hob Merkel die Unterschiede der jeweiligen Konstellation hervor: Im Fall der Türkei stehe Deutschland in der Verantwortung, Unterstützung bei der Versorgung der drei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei beizusteuern, "… wenn  wir die illegale Migration über die Ägäis stoppen wollen". Das ist die verquere Logik des EU-Türkei-Abkommens, dass ein syrischer Flüchtling, der sein Land verlässt und unter internationalem Schutz steht, als illegaler Migrant betrachtet wird, wenn er auf die griechischen Inseln übersetzt. Was Merkel in Mali nicht erwähnte, war der Kostenpunkt. Die Verantwortung für die Flüchtlinge in der Türkei lässt sich die Europäische Union drei Milliarden Euro kosten, mit der Option auf weitere drei Milliarden bis 2018. Davon können die Migrationspartner in Afrika bislang nur träumen.

In Mali gehe es anders als in der Türkei nicht um eine große Zahl von Flüchtlingen, so Merkel, sondern um Bekämpfung des Drogenschmuggels und der Schleuserkriminalität sowie um Grenzschutz. Das deutsche Interesse ziele allgemein auf die Stabilisierung des Landes ab: "Eine Migrationspartnerschaft im Allgemeinen bedeutet, dass wir Verantwortung für die jeweils spezifische Situation in einem Land übernehmen." Laut Merkel werde es der bei der Mittelverteilung keine Verschiebungen zwischen Sicherheit und Entwicklung geben. Vielmehr werde die Entwicklungszusammenarbeit mit Mali noch weiter ausgebaut, speziell im Norden des Landes.

Zweite Station der Kanzlerin war Niger in Westafrika, ebenfalls ein wichtiges Transitland, dieses Mal auf der westlichen und zentralen Mittelmeerroute. Hier versprach Merkel, Deutschland werde im nächsten Jahr zehn Millionen Euro einsetzen, um die nigrischen Sicherheitskräfte mit Fahrzeugen und Kommunikationstechnik bei der Bekämpfung illegaler Migration zu unterstützen. Das Schlepperwesen, so Angela Merkel in der nigrischen Hauptstadt Niamey, sei Teil desselben kriminellen Systems, zu dem auch der Drogen- und Waffenschmuggel zählen. 

Letzte Station der Reise war Äthiopien, wo Angela Merkel das neue Tagungsgebäude der Afrikanischen Union eröffnete, das mit Mitteln der Bundesregierung finanziert wurde. Der Besuch war überschattet von Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräfte und Demonstranten, bei denen schätzungsweise hundert Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden. Äthiopien gilt normalerweise als Stabilitätsanker in Ostafrika und ist ein wichtiges und verlässliches Aufnahmeland für Flüchtlinge aus der gesamten Region. Zurzeit leben knapp 780.000 Flüchtlinge in Äthiopien. Ministerpräsident Desalegn stellte die Unterstützung für die Flüchtlinge in Äthiopien direkt in den ganz großen wirtschaftspolitischen Kontext und schlug deutsche Investitionen zur Schaffung von Industrieparks vor, um Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge und für die einheimische Bevölkerung zu schaffen. Dies macht deutlich, dass die Gesprächspartner von Merkel durchaus begriffen haben, dass das Thema Migration und Fluchtursachen das neue Mantra der europäischen Entwicklungspolitik geworden ist. Wer künftig mit den Europäern zu verhandeln hat, tut gut daran, sich vorab darüber Gedanken zu machen, welche Relevanz sein Vorhaben für die Bekämpfung von Fluchtursachen hat.

Zeitgleich mit Merkel war auch Außenminister Steinmeier in Afrika unterwegs, in Nigeria, wo er eine Erhöhung der humanitären Hilfe für den Nordosten des Landes um zwei Millionen Euro zusagte. Ab nächstem Jahr will die Bundesregierung außerdem ein Ausbildungsprogramm für die Polizei starten. Nigeria ist ein wichtiges Herkunftsland von Migranten. Menschen aus Nigeria sind inzwischen die viertgrößte Gruppe von Neuankömmlingen in Europa auf den Mittelmeerrouten. Angela Merkel traf den nigerianischen Präsidenten Buhari ein paar Tage nach ihrer Afrika-Reise in Berlin: Bei der geplanten Migrationspartnerschaft mit Nigeria gehe es um die Bekämpfung der Schlepperkriminalität, um die Schaffung von Zukunftsperspektiven für junge Menschen in Form von Trainings- und Ausbildungsmöglichkeiten in Nigeria und um ein Rückführungsabkommen für abgelehnte Asylbewerber.

Im Rahmen der Migrationspartnerschaften sind schnell sichtbare Fortschritte bei der Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort gefragt. Inwieweit ein solcher an kurzfristigen Ergebnissen orientierter Ansatz (Stichwort: "Cash for Work" in Niger) längerfristig irgendwelche nennenswerten Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Ursachen für Migration haben kann, sei dahingestellt. Wichtiger aus Sicht der EU sind ohnehin andere Kernelemente des Modells: die Rückführung, Rückübernahme und Wiedereingliederung illegal in die EU eingereister Migranten. Als Querschnittsthema kommt der Kampf gegen die Schleuserkriminalität hinzu, der weiter intensiviert werden soll.

In einem Zeitungsinterview vor ihrer Afrika-Reise nach hatte Angela Merkel erklärt: "Ich glaube nicht daran, dass wir dieses Problem durch maximales Ignorieren, durch Distanz und Abschottung wieder verschwinden lassen können." Diese Formulierung ist sehr missverständlich: Denn aus dem Kontext ergibt sich, dass hier keineswegs eine Empfehlung etwa für eine weniger restriktive Migrationspolitik abgegeben wird. Sondern dass im Gegenteil empfohlen wird, sich stärker mit Afrika zu befassen, um die Migration nach Europa zu stoppen. Aus der Perspektive von Menschen in Afrika, die ihre Zukunft in Europa sehen, geht es um nichts anderes als Abschottung. Oder ausgedrückt in der nüchternen Sprache der Europäischen Kommission: um "die Einschränkung der Möglichkeit für die irreguläre Einreise". Ob es in irgendeiner Weise bei den Gesprächen, die Angela Merkel in Afrika geführt hat, auch darum ging, neue Möglichkeiten zu schaffen oder bestehende Möglichkeiten auszuweiten, wie Menschen auf legalem Weg nach Europa gelangen können, ist nicht bekannt.

Kommentieren

Wir freuen uns über anregende Diskussionen, sachliche Kritik und eine freundliche Interaktion.

Bitte achten Sie auf einen respektvollen Umgangston. Auch wenn Sie unter einem Pseudonym schreiben sollten, äußern Sie bitte dennoch keine Dinge, hinter denen Sie nicht auch mit Ihrem Namen stehen könnten. In den Kommentaren soll jede*r frei seine Meinung äußern dürfen. Doch es gibt Grenzen, deren Überschreitung wir nicht dulden. Dazu gehören alle rassistischen, rechtsradikalen oder sexistischen Bemerkungen. Auch die Diffamierung von Minderheiten und Randgruppen akzeptieren wir nicht. Zudem darf kein*e Artikelautor*in oder andere*r Kommentator*in persönlich beleidigt oder bloßgestellt werden.

Bitte bedenken Sie, dass Beleidigungen und Tatsachenbehauptungen auch justiziabel sein können. Spam-Meldungen und werbliche Einträge werden entfernt.

Die Verantwortung für die eingestellten Kommentare sowie mögliche Konsequenzen tragen die Kommentator*innen selbst.