Hunderttausende Syrer wie ich sind seit 2011 auf der Suche nach Sicherheit nach Jordanien geflohen. Meine Familie gehört zu den 80.000 Menschen, die jetzt im Flüchtlingscamp Zaatari leben.

Vor dem Konflikt in Syrien wohnten wir in Al Ghuta, in der Nähe von Damaskus. Wir hatten ein Haus, ein Auto und genug Geld, um angenehm zu leben. Ich war 40 Jahre alt, hatte eine Familie und ein erfolgreiches Abfallwirtschafts-Unternehmen, das ich über 15 Jahre in harter Arbeit aufgebaut hatte. Ich betrieb vier Deponien, die Müll und wiederverwertbares Material verarbeiteten, und beschäftigte über 400 Arbeiter/innen.

Irgendwann verschlechterte sich die Situation in Syrien so weit, dass wir mit unseren Kindern fliehen mussten. Nach einer gefährlichen Reise bei Nacht durch die Wüste kam meine Familie im September 2013 im Flüchtlingscamp Zaatari an. Ich folgte kurze Zeit später.

Nach und nach füllte ich die innere Leere, die ich gespürt hatte, als ich nach Zaatari kam.

Es fiel uns am Anfang extrem schwer, uns an das Leben als Flüchtlinge zu gewöhnen. Ich habe 14 Kinder, von denen sechs Behinderungen haben. Wir waren das Leben im Zelt nicht gewöhnt, die gnadenlose Umgebung, die eisige Kälte im Winter und die glühende Hitze im Sommer. In dieser Zeit gab es überall Müll – inklusive der Insekten und anderer Schädlinge, die dazugehören. Im Zaatari-Camp gab es zwar Müllcontainer, aber sie waren so überfüllt, dass man seinen Müll nur noch auf den Boden werfen konnte. Es war nicht leicht.

Ein paar Monate nach meiner Ankunft in Zaatari begann ich, im „Cash-for-Work“-Programm für Oxfam zu arbeiten, bei dem syrische Flüchtlinge ein Grundeinkommen im Austausch für ihre Arbeit erhalten. Mein Job war es, die Straßen des Camps sauberzumachen. Es war alles andere als befriedigend, aber so konnte ich ein bisschen Geld verdienen, um meine Familie zu unterstützen, und die Zeit im Camp vertreiben.

Recycling im Flüchtlingscamp

Anfang 2015 erzählte mir ein jordanischer Oxfam-Ingenieur namens Wissam, dass er ein neues „Cash-for-Work“-Pilotprojekt managen würde, um in einem der Bezirke von Zaatari Recycling auszuprobieren. Sie mussten einen Weg finden, wiederverwertbares Material zu sammeln, zu sortieren und zu verkaufen und gleichzeitig syrische Familien mit einem Grundeinkommen zu versorgen. Wissam wusste um meine Erfahrung im Abfallmanagement in Syrien und fing an mich anzurufen, um mir Fragen zu stellen. Mit der Zeit wurden seine Anrufe immer häufiger. Bald klingelte das Telefon zu jeder Tageszeit. Er bat mich um Hilfe, ob bei kleinen Details oder bei großen Ideen. Ich war so begeistert, meine Fähigkeiten wieder einsetzen zu können! Als ich schließlich gebeten wurde, das neue Recycling-Projekt gemeinsam mit Wissam zu leiten, sagte ich natürlich ja.

Nach und nach füllte ich die innere Leere, die ich gespürt hatte, als ich nach Zaatari kam.

Jasem und Wissam
Jasem und Wissam haben gemeinsam dafür gesorgt, dass das Recycling-Projekt im Flüchtlingscamp Zaatari zum Erfolg wurde.

Das Recycling-Projekt wurde unsere Herzensangelegenheit. Am Anfang stießen Wissam und ich auf so viele Probleme. Es schien, als sei in Zaatari alles anders als das, was wir kannten. Es kamen ständig neue Herausforderungen hinzu. Aber wir waren hartnäckig. Wir arbeiteten spät abends, an Feiertagen – es machte uns nichts aus. Es ging uns nicht ums Geld; wir nahmen das Recycling-Projekt persönlich. Das Projekt musste klappen, und es war an uns, dafür zu sorgen.

Um in Nahost zu recyceln, braucht man Käufer. Von meiner Geschäftstätigkeit in Damaskus kannte ich noch Leute in Jordanien, die mit wiederverwertbaren Materialien handeln, aber ich hatte ihre Kontaktdaten auf der Flucht verloren. Gemeinsam konnten Wissam und ich sie ausfindig machen. Preislich lagen ihre Angebote allerdings weit unter dem Marktwert. Ich schaffte es, einen besseren Preis für uns rauszuhandeln. Schließlich hatten wir das Gefühl, dass die ganze Sache langsam Gestalt annahm.

Verbesserungen für Umwelt und Wirtschaft

Schritt für Schritt sahen wir Verbesserungen. Drei Jahre später ist unser kleines Pilotprojekt gewachsen. Durch unser Projekt wird nun Abfall aus allen Bezirken von Zaatari gesammelt. 21 % der in Zaatari entstehenden Abfälle werden von der Mülldeponie weggeleitet – jede Woche 259 Tonnen! Die Müllberge und Plagen, an die ich mich aus der Zeit meiner Ankunft vor drei Jahren erinnere, sind weg.

Eine Frau näht mit einer Maschine.
Fatima arbeitet im Rahmen des „Cash-for-Work“-Programms im Recycling-Projekt in Jordanien.

Wir tun damit aber nicht nur etwas für die Umwelt. In unserem „Cash-for-Work“-Team arbeiten 180 Männer und Frauen – sie sensibilisieren die Gemeinschaft für Recycling, sammeln wiederverwertbares Material aus verschiedenen Haushalten mit Karren und verwandeln Müll in Materialien, die wir an Händler verkaufen können. So wie ich haben auch die anderen Mitglieder des „Cash-for-Work“-Teams ihre Fähigkeiten und Expertise mitgebracht. Diese Fähigkeiten können sie nun auf unterschiedlichste Weise einbringen. Ehemalige Schneider/innen fertigen Teppiche für den Winter aus alter Kleidung, Ingenieur/innen stellen mechanisches Spielzeug für unsere Kinder her, Bäuerinnen und Bauern haben mehrere Gewächshäuser aus recycelten Flaschen gebaut, um frisches Gemüse anzubauen.

Wem seine Arbeit wirklich Spaß macht, wird darin immer erfolgreich sein.

„Cash for Work“ ist keine dauerhafte Lösung

Ein Mann mit Oxfam-Mütze sammelt Abfall in einem Karren.
Mit Tätigkeiten wie der Müllsammlung und -trennung können sich Menschen im Flüchtlingscamp Za’atari über Oxfams „Cash-for-Work“-Programm etwas hinzuverdienen.

Fürs Erste ist „Cash for Work“ eine gute Möglichkeit, einige Menschen aus Syrien in Zaatari mit etwas Geld zu versorgen. Allerdings verdienen wir nur kleine Beträge und sind zur Ergänzung auf Verteilungen von Hilfsgütern angewiesen. Was ich in Syrien an einem einzigen Tag verdiente, bekomme ich hier in vier Monaten. Unsere Möglichkeiten, einen existenzsichernden Lohn zu verdienen, sind sehr begrenzt. Es ist sehr schwierig für Syrer/innen, legal in Jordanien zu arbeiten, vor allem für diejenigen, die im Camp leben.

Letztes Jahr hat die jordanische Regierung versprochen, Arbeitsgenehmigungen an syrische Flüchtlinge zu vergeben. Ich freute mich über die Neuigkeit, allerdings hat sich für mich bisher noch nichts geändert. Arbeitsgenehmigungen gibt es für Syrer/innen nur für Tätigkeiten in bestimmten Branchen, z.B. in der Landwirtschaft,  in der Reinigungs- und in der Baubranche. Es gibt aber viele Leute, die Fähigkeiten und Erfahrung haben, die nicht in diese Bereiche fallen.

Im Augenblick wissen wir nicht, wie unsere Zukunft als syrische Flüchtlinge aussieht. Meine Familie lebt jetzt seit mehr als drei Jahren in Zaatari, in einer provisorischen Unterkunft und ohne langfristige Arbeitsmöglichkeiten. Auch wenn es aktuell nicht möglich ist – ich würde gerne auf dem aufbauen, was ich hier schon erreicht habe, und in einem Recycling-Zentrum in einer der Städte in Jordanien arbeiten, außerhalb der Flüchtlingscamps.

Eines Tages, so hoffe ich, wird es Frieden in Syrien geben, und ich kann mit meiner Familie zurückkehren, um mein Unternehmen und unser schönes Land wieder aufzubauen. Bis dahin sind wir hier.

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