Edeka und Tengelmann wollen fusionieren. Sigmar Gabriel muss das verhindern – und weitere Schritte gegen die Macht der großen Supermarktketten einleiten. Auf dem Spiel stehen nicht weniger als der Verbraucherschutz, Menschenrechte und Umweltstandards.

Edeka-Chef Markus Mosa ist ein Meister des Marketings. Seine Edeka-Werbespots mit den zugedröhnten Kiffern oder „Supergeil“-Sänger Friedrich Liechtenstein sind inzwischen Youtube-Legenden, er selbst wurde 2013 vom Fachblatt Horizont zum „Marketingmann des Jahres“ gekürt.

Während Mosas Werbestrategien für gewöhnlich auf die breite Masse zielen, hat seine aktuellste Kampagne eine deutlich spezifischere Zielgruppe: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Den will Mosa davon überzeugen, sich über ein Veto von Bundeskartellamt und Monopolkommission hinwegzusetzen und der Fusion von Edeka mit Tengelmann/ Kaiser´s zuzustimmen.

Gabriels Entscheidung wird demnächst erwartet. Auch dank Mosas PR-Offensive konzentriert sich die aktuelle Diskussion auf die Frage, ob die Fusion entscheidend für die Sicherung von Arbeitsplätzen ist und dies drohende Wettbewerbsbehinderungen und Preiserhöhungen aufwiegen würde.

Es geht längst nicht nur um Arbeitsplätze

Diese Diskussion ist für die Ministererlaubnis zentral, lässt aber ein paar wichtige Faktoren außer Acht. Die Situation im Einzelhandel betrifft längst nicht nur Arbeitsplätze. Es geht um die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards, um Verbraucherschutz und elementare Menschenrechte. In Deutschland, aber auch weltweit. Denn die Macht der großen Supermarktketten nimmt inzwischen solch dramatische Ausmaße an, dass diese Rechte und Standards systematisch unterlaufen werden.

Dazu ein paar Fakten: Europaweit kontrolliert eine Handvoll Supermarktketten den Lebensmittelmarkt. In Frankreich, Großbritannien, Holland, Belgien, Österreich oder Schweden beherrschen die fünf größten Konzerne zwischen 60 und mehr als 80 Prozent des Marktes, in Deutschland kommen die vier größten Ketten (Aldi, Edeka, Rewe und Schwarzgruppe) auf 85 Prozent.

Supermarktketten als Türsteher

Sie entscheiden, wo und was wir einkaufen, sind die Türsteher zwischen Millionen Verbrauchern und Zulieferern aus der ganzen Welt. Schon heute diktieren die führenden Supermarktketten die Preise und Vertragsbedingungen, fordern von ihren Lieferanten teilweise missbräuchliche Sonderzahlungen oder drohen damit, ihre Produkte aus den Regalen zu nehmen, wie das Bundeskartellamt etwa bei den Fusionen von Edeka mit Spar (2005) und Plus (2008) festgestellt hat.

Die Eigentümer genießen ihre Dominanz – und verdienen daran prächtig. Beate Heister und Karl Albrecht Junior von Aldi Süd liegen mit einem Vermögen von 19,1 Milliarden Euro auf Platz zwei der reichsten Deutschen, gefolgt von Lidl- und Kaufland-Eigentümer Dieter Schwarz (17,4 Milliarden Euro) und Theo Albrecht Junior von Aldi Nord (17 Milliarden Euro). Den Preis zahlen andere.

So hat es europaweit in den vergangenen Jahren immer wieder massive Bauernproteste gegeben. Aktuell gehen deutsche Landwirte auf die Straße und demonstrieren gegen die Schleuderpreise der Supermarktketten. Edeka wirbt gerne mit dem Slogan „Wir lieben Lebensmittel“. Stattdessen müsse es heißen „Wir verramschen Lebensmittel“, plakatierten aufgebrachte Bauern Mitte August in Unterfranken. Der Bayerische Bauernverbandspräsident Walter Heidl kritisiert, dass Rewe, Edeka, Aldi und Lidl mit ihren Dumpingpreisen den Bauernfamilien „die Luft zum Atmen“ nehmen.

Milliarden für die Eigentümer, Peanuts für die Menschen am Ende der Lieferkette

Noch dramatischer ist die Situation für jene, die weder mächtige Lobbyvertreter haben noch mit ihrem Traktor den örtlichen Discounter blockieren können: die Abertausende von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen und Plantagenarbeiter*innen in den Entwicklungs- und Schwellenländern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beispiel Bananen: Die Deutschen lieben die krumme Frucht, im Schnitt verspeist jeder Bürger jährlich mehr als zehn Kilo. Dennoch ist der Bananenpreis seit 20 Jahren nicht mehr gestiegen. Möglich ist das, weil Grundrechte der Plantagenarbeiter*innen häufig mit Füßen getreten, Arbeiter und Umwelt mit Pestiziden vergiftet und die Arbeiter*innen mit Hungerlöhnen abgespeist werden. In Ecuador erhalten die Menschen, die die Bananen ernten, zum Beispiel gerade mal 6,7 Prozent des Verkaufspreises. Die Supermärkte streichen dagegen satte 34,6 Prozent ein, wie eine Studie des Forschungsinstituts BASIC im Auftrag von Oxfam 2014 festgestellt hat.

Mehrere Oxfam-Recherchen auf lateinamerikanischen Bananen- und Ananasplantagen haben dokumentiert, dass auch deutsche Lebensmitteleinzelhändler für die schlechten Arbeitsbedingungen mit verantwortlich sind. Bei einer Untersuchung in Ecuador im Jahr 2011 stellte Oxfam zum Beispiel fest, dass der Lohn vieler Arbeiter*innen unterhalb des Existenzminimums bleibt und sie zudem mitunter gesundheitsgefährdenden Pestiziden ausgesetzt werden. Viele Plantagenarbeiter*innen wiesen Vergiftungserscheinungen auf, aber auch die Anwohner*innen waren betroffen. Eine dem ecuadorianischen Vizepräsidenten unterstellte Ärztin hat festgestellt, dass Personen mit geistiger Behinderung oft in der Nähe von Bananenplantagen leben. Und eine Untersuchung in einer Bananenbauregion aus 2007 dokumentierte eine hohe Rate an Fehlgeburten, verstärktes Auftreten von Asthma, Leberkrankungen, Krebs und Niereninsuffizienz.

Der Mythos vom informierten Verbraucher

Die Supermarktketten verweisen gerne darauf, dass letztlich die Verbraucher*innen entscheiden und diese sich ja auch aus ihrem (vorhandenen, aber äußerst kleinen) Fair-Trade-Sortiment bedienen könnten.

Das stimmt, ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn der Kunde weiß oft nicht, was er kauft. Auf keiner Banane steht drauf, dass sie mit gefährlichen Pestiziden besprüht oder von Plantagenarbeiter*innen, die sieben Tage die Woche zu Hungerlöhnen schuften, gepflückt wurden. Nicht umsonst geben die großen Lebensmittelkonzerne und Supermarktketten jährlich Abermillionen für Werbung aus. Die dient bekanntlich nicht der Wahrheit, sondern der Verführung.

"Too big to tame"

Während der Finanzkrise musste eine zunächst staunende und später mit Steuermitteln einspringende Öffentlichkeit lernen, dass es einige Banken gibt, die „too big to fail“ sind, also zu groß, um vom Staat fallengelassen zu werden. Im Bereich des Einzelhandels gibt es inzwischen einige Supermarktketten, die als „too big to tame“ bezeichnet werden müssen – zu groß, um gezähmt zu werden.

Politik und Verbraucher sollten sich damit nicht abfinden und die richtigen Schlüsse ziehen: Fair-Trade-Produkte kaufen, Unternehmen verpflichten, die Folgen ihrer Geschäfte für Mensch und Umwelt offenzulegen, die Marktmacht der Ketten eindämmen.

Kommentieren

Wir freuen uns über anregende Diskussionen, sachliche Kritik und eine freundliche Interaktion.

Bitte achten Sie auf einen respektvollen Umgangston. Auch wenn Sie unter einem Pseudonym schreiben sollten, äußern Sie bitte dennoch keine Dinge, hinter denen Sie nicht auch mit Ihrem Namen stehen könnten. In den Kommentaren soll jede*r frei seine Meinung äußern dürfen. Doch es gibt Grenzen, deren Überschreitung wir nicht dulden. Dazu gehören alle rassistischen, rechtsradikalen oder sexistischen Bemerkungen. Auch die Diffamierung von Minderheiten und Randgruppen akzeptieren wir nicht. Zudem darf kein*e Artikelautor*in oder andere*r Kommentator*in persönlich beleidigt oder bloßgestellt werden.

Bitte bedenken Sie, dass Beleidigungen und Tatsachenbehauptungen auch justiziabel sein können. Spam-Meldungen und werbliche Einträge werden entfernt.

Die Verantwortung für die eingestellten Kommentare sowie mögliche Konsequenzen tragen die Kommentator*innen selbst.