Ob bei Fleisch, Milch oder Bananen: Die Erzeugerpreise decken vielfach nicht die Produktionskosten. Sie sind auch nicht an die Verbraucherpreisentwicklung gekoppelt. Bäuer*innen wehren sich gegen die anhaltende Ausbeutung der Landwirtschaft durch die großen Handelsketten und Lebensmittelkon­zerne. Aktuell gibt es Proteste vor dem Zentrallager von Edeka in Wiefelstede.

Niedrige Erzeuger­preise gehen zulasten von Höfen, Natur, Klima und Tierwohl. Die globalen Agrarrohstoff­preise sind – mit Ausnahme von zyklischen Preisspitzen – stetig gefallen, während zeitgleich die Verbraucherpreise stiegen. Dies zeigt, dass die Produktion von billiger Massenware vor allem den marktmächtigen Konzernen in der Lebensmittelkette zugutegekommen ist. Weil die landwirtschaftliche Produktion global auf komparative Kostenvorteile und Spezialisierung ausgerichtet wurde, ist sie insgesamt krisen-, schädlings- und krankheitsanfällig. Zudem setzen niedrige Lebensmittelpreise Anreize für eine ungesunde Ernährung. Kalorienreiche Lebensmittel werden stärker konsumiert als nährstoffreiche Lebensmittel.

Welche Ansätze werden im Rechtsgutachten vorgeschlagen?

Im Diskurs über eine sozial-ökologische Neuorientierung der Landwirtschaft werden selten die Marktmechanismen und Machtverhältnisse im Lebensmittelhandel berücksichtigt. Es spielt aber eine wichtige Rolle, wer die Macht hat, die Preise festzusetzen. Der Rechtsanwalt Dr. Kim Manuel Künstner stellt in seinem 144-seitigen Rechtsgutachten überzeugend dar, wie Preisfairness konkretisiert und faire Erzeuger­preise erreicht werden können.

Er analysiert im Wesentlichen drei mögliche Ansätze:

  1. ein allgemeines Verbot des Einkaufs unter Produktionskosten
  2. ein Verbot der Preiswerbung für Fleisch
  3. eine Umsetzung der EU-Richtlinie zu unfairen Handelspraktiken, wie wir sie uns gewünscht hätten

In seinem Ausblick geht Herr Künstner noch auf die Bildung eines Gegengewichts auf Erzeugerseite sowie auf kartellrechtliche Ansätze – zum Beispiel Fusionskontrolle, Entflechtung, vertikale Preisbindung – ein. Als Beispiel wird der Warenbereich Frischfleisch und Fleischwaren herangezogen. Da der Bundestag das deutsche Gesetz gegen unfaire Handelspraktiken Anfang Mai 2021 verabschiedet hat und eine Evaluierung erst in zwei Jahren ansteht, möchte ich mich an dieser Stelle auf die Ausführungen zu den ersten zwei Ansätzen aus dem Gutachten konzentrieren.

Ein allgemeines Verbot des Einkaufs unter Produktionskosten

Viele Cent-Münzen liegen nebeneinander auf einem weißen Untergrund verteilt.

Die Preisstrategien der Supermarktketten spielen eine große Rolle für die Wertschöpfungsoptionen in der Lebensmittelkette, so auch bei Fleisch. Weil die Preise im Laden so niedrig sind, ist der zu verteilende Kuchen klein. Je kleiner der Kuchen, desto größer sind die Verteilungskämpfe. Risiken werden entlang der Lieferkette auf jene abgewälzt, deren Verhandlungsposition schwach ist.

Edeka, Aldi & Co. wollen mit Billigpreisen für Fleisch Verbraucher*innen in ihre Filialen locken, um insgesamt ihre Umsätze zu steigern. Diese Mischkalkulation rechnet sich für die Supermarktketten, aber nicht für die anderen Marktteilnehmer*innen. Folglich halten sich Erzeuger*innen mit Investitionen in mehr Umwelt-, Tier- und Gesundheitsschutz zurück. Für die Schlachtunternehmen sind die Einkaufspreise maßgeblich. Die Transparenz der Schlachtpreise ermöglicht ihren Abnehmer*innen eine „gläserne Kalkulation“ und schwächt ihre Verhandlungsposition. Ein Verbot des Einkaufs unter Produktions­kosten entlang der Wertschöpfungskette könnte eine faire Verteilung der Wertschöpfung sowie unter bestimmten Voraussetzungen einen größer werdenden Kuchen ermöglichen.

Für die Umsetzung eines allgemeinen Verbots des Einkaufs unter Produktionskosten kämen gemäß Gutachten drei Optionen in Frage:

  1. ein Verbot, das nur die Erzeugerkosten umfasst
  2. ein Verbot entlang der ganzen Wertschöpfungskette wie in Spanien – das heißt, das Verbot gälte auch beim Erwerb von Lebensmitteln von verarbeitenden Herstellern
  3. eine (zivilrechtliche) Verantwortung des Lebensmitteleinzelhandels für zumindest kostendeckende Erzeugerpreise

Letzteres wäre auch komplementär zu den ersten beiden Optionen denkbar. Die Verantwortlichkeit des Lebensmitteleinzelhandels könnte daher auch im deutschen Recht derart angelegt werden, dass er von seinen Lieferanten Nachweise über die Zahlung erzeugerkostendeckender Einkaufspreise für Agrarprodukte verlangt. Eine Erweiterung des kartellrechtlichen Verbots des Verkaufs unter Einstandspreis gemäß § 20 Abs. 3 GWB wird nicht empfohlen. Als Gründe werden die schwierige Durchführung und der zweifelhafte Beitrag zur Preisfairness angeführt. Ebenso wird die französische Regelung, die eine 10-prozentige Mindestmarge für den Handel vorsieht, als nicht zweckmäßig eingestuft. Auch wenn sie zu einem Absatzrückgang bei Gänsestopfleber geführt hat, läuft sie Gefahr, die Lebensmittelpreise etwas anzuheben, ohne wesentliche Änderungen bei der aggressiven Preispolitik auf der Einkaufsseite herbeizuführen. Aus unions- und verfassungsrechtlicher Sicht ergeben sich für keine der drei erstgenannten Optionen durchgreifende Bedenken.

Keine durchgreifenden Bedenken aus unions- und verfassungsrechtlicher Sicht

Die EU-Richtlinie zu unfairen Handelspraktiken erlaubt der Bundesregierung, im deutschen Gesetz auch eine Preisregelung im Sinne eines Verbots des Einkaufs unter Produktionskosten aufzunehmen. Würde diese nur für Marktteilnehmer*innen in Deutschland gelten, wäre dies unionsrechtlich kein Problem. Wenn die Preisregelung mögliche Produktionskostenvorteile von Erzeuger*innen aus anderen Mitgliedsstaaten berücksichtigte und es den Einkäufer*innen praktisch möglich wäre, die Produktionskosten bzw. die Mindestpreise zu bestimmen, spräche auch dann nichts dagegen. Sollte eine solche Regelung den freien Warenverkehr (Art. 34 AEUV) beeinträchtigen, könnte diese dennoch unionskonform sein, wenn eine Ausnahme als zwingend erforderlich für das Allgemeinwohl (Art. 36 AEUV) gelten kann. Eine solche Rechtsauslegung wird jedoch von Dr. Künstner als wenig wahrscheinlich angesehen. Die Einführung eines solchen Verbots stände jedoch den Zielen der EU-Agrarpolitik (Art. 39 AEUV) nicht entgegen.

Fazit: Die Ausgestaltung müsste derart erfolgen, dass kein Marktzugangshindernis entsteht. Das Grundgesetz ist nicht auf eine bestimmte Wirtschaftsordnung festgelegt. Staatliche Eingriffe in die Preissetzung sind aus verfassungsrechtlicher Perspektive grundsätzlich zulässig. Der Wettbewerb kann nicht nur über Preise, sondern auch über verschiedene Qualitäten erfolgen. Dem Gesetzgeber steht es laut Verfassungsgericht frei, zum Schutz bestimmter Markteilnehmer*innen regelnd in das freie Wirtschaftsleben einzugreifen, insbesondere in die freie Preisgestaltung. Die freie Berufsaus­übung (Art. 12 GG), die Eigentumsfreiheit (Art. 14 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 GG) würden nicht unzumutbar eingeschränkt. Die Gesetzgebungskompetenz für die Verbesserung der Einkommen der landwirtschaftlichen Bevölkerung liegt beim Bund. Das heißt: Die Bundesre­gierung könnte in der nächsten Legislaturperiode ein Verbot des Einkaufs unter Produktionskosten einführen. Das bestehende Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz (AgrarOLkG) böte bereits den notwendigen rechtlichen Rahmen.

Ein Preiswerbeverbot für Fleisch

Rohe Fleischstücke, dekoriert mit einem Rosmarinzweig

Frischfleisch spielt gerade in der Handzettelwerbung des Lebensmitteleinzelhandels eine wichtige Rolle, um mit Niedrig­preisen Verbraucher*innen in seine Märkte zu holen. Wenn jene weitere Produkte einkaufen, kann der Lebensmitteleinzelhandel so über eine Mischkalkulation seine Handelsmarge erhöhen. Bei einem Verbot der Preiswerbung für Fleisch geht Rechtsanwalt Künstner davon aus, dass bei Verbraucher*innen die Bedeutung des Preises von Fleisch für die Auswahl des Lebensmitteleinzelhandels schwinden und sich auf andere Produkte verteilen wird.

Ein Preis­werbeverbot ist dem Gesetzgeber nicht gänzlich fremd. Werbeverbote mit Preisbezug gibt es bereits bei Arzneimitteln und Säuglingsanfangsnahrung. Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft hier jedoch nicht weiter. Es umfasst lediglich Preiswerbung, die eine falsche Wahrnehmung bei eine*r durchschnittlichen Verbraucher*in hervorruft, also irreführend ist. Das UWG umfasst nicht günstige Angebote oder Discountpreiswerbung im Allgemeinen. Allein die Tatsache, dass der beworbene Preis nicht eine erstrebenswerte oder angemessene Höhe ist, rechtfertigt im UWG kein Werbeverbot. Werbung genießt in Deutschland und in der EU einen verfassungsgemäßen Schutz, auch wenn ihr kein besonders hoher Schutz innerhalb der Meinungsfreiheit zukommt.

Um einen Eingriff in die Meinungsfreiheit zu begründen, muss dieser einen legitimen Zweck verfolgen sowie geeignet und angemessen sein. Mit einem Preiswerbeverbot soll den Einzelhändler*innen der Anreiz genommen werden, Fleisch und Fleischwaren besonders günstig zu verkaufen. Das heißt: Der Zweck ist die Verbesserung der Einnahmenseite, damit diese Einnahmen entlang der Kette zur Verbesserung der Tierhaltung und des Umweltschutzes, des Gesundheitsschutzes (Art. 168 AEUV) und der Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung beitragen. Diese stellen im Grundgesetz und im Primärrecht der EU hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange dar.

Geeignet ist eine Maßnahme bereits dann, wenn die Zweckerreichung möglich ist bzw. es wahrscheinlicher wird, dass der angestrebte Erfolg zumindest teilweise eintritt. Erforderlich ist ein Preiswerbeverbot dann, wenn kein milderes, gleichwirksames Mittel vorliegt, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Als Beispiel wird unter anderem eine zusätzliche Fleisch- und Verbrauchssteuer genannt, die nicht milder als ein Preiswerbeverbot sei. Da eine Gefährdung eines leistungsorientierten Wettbewerbs nicht zu befürchten ist, wird diese Maßnahme auch als angemessen betrachtet.

Meine Überlegungen zum Schluss

Die Politik fängt an, bei Preisen umzudenken, wie auch bei der Bundesratsinitiative aus der 1000. Plenarsitzung deutlich wurde. Das ist gut so, denn bisherige Ansätze haben nicht zu fairen Erzeugerpreisen geführt. Auch Ökonomen sollten sich stärker mit Preisfairness und ungleichen Machtverhältnissen in Lieferketten auseinandersetzen. Das Verbot des Einkaufs unter Produktions­kosten bleibt auf der politischen Agenda. Im Koalitionsvertrag steht: „Wir gehen gegen unfaire Handelspraktiken vor und prüfen, ob der Verkauf von Lebensmitteln unter Produktionskosten unterbunden werden kann.“ Ein solches Verbot würde einen Paradigmenwechsel einläuten. Preise könnten zukünftig von unten nach oben festgelegt werden.

Das Lebensmittelgesetz in Spanien, das im Gutachten als Referenz herangezogen wird, verpflichtet den Erstkäufer in der Kette, dem landwirtschaftlichen Betrieb einen Preis zu zahlen, der dessen effektive Produktionskosten deckt. Hierbei müssten die Vollkosten angesetzt werden. Mit der Einbettung dieses Instruments in das deutsche Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz wären auch Importe mit einbezogen. Preisfairness würde somit in einheimischen, europäischen und globalen Lieferketten gefördert werden können. Voraussetzung ist, dass den Einkäufern entsprechende Informationen zu kostendeckenden Preisen vorliegen. Die im Mai 2021 vom Bundestag beschlossene Ombuds- und Preisbeobachtungs­stelle müsste die notwendigen Daten erheben und öffentlich zugänglich machen.

Wenn ein Verbot des Einkaufs unter Produktionskosten eingeführt wird, müssen einige Vorkehrungen getroffen werden:

  • Es kann Situationen geben, in denen es zeitlich begrenzt sinnvoll sein kann, Lebensmittel zu Preisen zu verkaufen, die nicht die Produktionskosten decken. Beispielsweise dann, wenn Obst oder Gemüse zu verrotten drohen.
  • Es müssen ebenso Lösungen für Märkte identifiziert werden, in denen strukturelle Überschüsse bestehen, wie bei Milch und Fleisch. Eine Erhöhung der Nachfrage reicht nicht, um ein Marktgleichgewicht zu erzielen. Sie ist aus Ernährungs- und Klimaperspektive auch nicht sinnvoll. Auch eine Verlagerung auf den Export ist keine Lösung. Weder für kleinbäuerliche Produzent*innen in Ländern mit einem geringen Pro-Kopf-Einkommen, noch für bäuerliche Betriebe hierzulande.
  • Sollten die Lebensmittelpreise steigen, sind Vorkehrungen für Haushalte mit geringen Einkommen über eine Anpassung der ohnehin niedrigen Grundsicherung zu treffen.
  • Berücksichtigt werden muss ebenso eine mögliche Umgehung über Einkaufsallianzen, wie die Diskussion über unfaire Handelspraktiken zeigt.

Ein Preiswerbeverbot könnte nicht nur für Fleisch sinnvoll sein, sondern auch für andere Produkte, die aus menschenrechtlicher Perspektive Hochrisikoprodukte darstellen. Zu solchen Hochrisikoprodukten gehören Bananen. Als Lidl im Herbst 2018 angekündigt hatte, komplett auf fair gehandelte Bananen umzustellen, reagierte die Konkurrenz (Aldi, Edeka und dessen Discounter Netto) anscheinend mit gezielten Dumpingangeboten und lockte Verbraucher*innen in ihre Läden. Die Folge: Lidl machte einen Rückzug und nahm Billig-Bananen mit fragwürdigen Zertifikaten wieder in das Sortiment.

Der Effekt eines solchen „first mover disadvantage“ könnte durch ein Preiswerbeverbot deutlich abgemildert werden. Denkbar wäre auch, dass der Supermarkt über eine Mischkalkulation die eventuellen Umsatzrückgänge kompensiert. Im besten Fall ziehen andere Supermärkte nach. Wenn sie dies nicht tun, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sie kooperieren wollen, um faire Preise beispielsweise für Bananen auszuhandeln. Insofern scheint mir aktuell die Diskussion über kartellrechtliche Ausnahmen zur Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen nicht zielführend. Dies umso mehr, als es Tür und Tor für kartellrechtswidrige Verhaltensweisen unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit öffnet. Bereits heute ist es möglich, Kartellbehörden um eine Einzelfallprüfung zu bitten.

In der nächsten Legislaturperiode wird gemäß Koalitionsvertrag das Gesetz gegen Wettbewerbsbe­schränkungen (GWB) evaluiert und weiterentwickelt. Dabei sollen unter anderem Aspekte der Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit integriert werden. Spannend finde ich, was dies für die Missbrauchs- und Fusionskontrolle bedeutet. Fragen der sozialen Ungleichheit sollten hierbei eine wichtige Rolle spielen. Auch Kartellbehörden sollten die steigende soziale Ungleichheit als großes Problem anerkennen.

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