Vor zehn Jahren, im November 2004, verabschiedete die Welternährungsorganisation (FAO) die Freiwilligen Leitlinien, um die Realisierung des Rechts auf Nahrung im Kontext der nationalen Ernährungssicherung zu unterstützen. Im Welternährungsausschuss diese Woche in Rom wurde auf einer Veranstaltung der Zivilgesellschaft mit einem ein-minütigen Klatschen all jener Menschen gedacht, die den Einsatz für die Verwirklichung dieses Menschenrechts mit ihrem Leben bezahlt haben. Ein sehr bewegender Moment. Jeder Mensch auf dieser Welt, der trotz Einschüchterung, Drangsalierung und Gewalt die Menschenrechte verteidigt, verdient unser aller Hochachtung und Unterstützung. 

Die Verabschiedung dieser Leitlinien steht für die zunehmende Einsicht, dass Hunger nicht einfach ein Problem von Angebot und Nachfrage ist. Menschen hungern, weil sie trotz ihrer verbrieften Rechte keinen Zugang zu Nahrung haben. Die Ursachen sind wohlbekannt: Mangelnder Zugang zu produktiven Ressourcen wie Land und Wasser für kleinbäuerliche Produzenten und Frauen, begrenzte einkommensschaffende Möglichkeiten für arme Menschen, das Versagen, existenzsichernde Löhne für Arbeiter/innen zu garantieren und Lücken in  sozialen Sicherungssystemen. 

Es gibt kein “wäre schön zu haben” bei Rechten

Es ist eines der Lichtblicke in der internationalen Standardsetzung, dass die Freiwillige Leitlinien einstimmig von den Mitgliedern der FAO angenommen wurden. Damit haben die Regierungen die Verantwortung übernommen, das Recht auf Nahrung zu respektieren, zu schützen und zu gewährleisten. Nicht zu handeln, ist unentschuldbar.

Der reformierte Welternährungsausschuss (CFS) bestätigte die Freiwilligen Leitlinien als einen besonders wichtigen, übergreifenden Rahmen, um eine ausgewogene Ernährung zu sichern. Das heißt, dass Maßnahmen zur Sicherung der Ernährung auf allen Ebenen auf der Basis von fundamentalen Menschenrechtsprinzipien – Partizipation, Rechenschaftspflicht, Nicht-Diskriminierung, Transparenz, Menschenwürde, Empowerment und Rechtstaatlichkeit – ausgestaltet werden sollten. Menschen müssen darin bestärkt werden, dass sie Rechte haben. Dies gilt insbesondere für kleinbäuerliche Produzenten und Frauen.  Es gibt kein „wäre schön zu haben“ bei Rechten.

Die Rechte von jedem neunten Menschen – Kindern, Frauen und Männer – werden jedoch chronisch verletzt. Der Welternährungsausschuss hat die Pflicht, Politiken stärker aufeinander abzustimmen, zu koordinieren und kohärent mit dem Menschenrechtsansatz zu gestalten. Die Zivilgesellschaft wird es Regierungen nicht durchgehen lassen, wenn sie die zentrale Bedeutung der progressiven Realisierung des Rechts auf Nahrung bei der Hungerbekämpfung aus den Augen verlieren.

Einige bemerkenswerte Fortschritte beim Recht auf Nahrung

Seit der Verabschiedung der Freiwilligen Leitlinien wurde die Bedeutung von gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen, die im Recht auf Nahrung verankert sind, zunehmend anerkannt. Es gab eine Reihe von Beispielen für die gesetzliche Umsetzung des Rechts auf Nahrung. 1994 hat Südafrika das Recht auf Nahrung in der Post-Apartheid-Verfassung festgeschrieben. Eine Studie aus dem Jahr 2011 stellte fest, dass das Recht auf Nahrung in 24 Ländern explizit anerkannt wurde.

Lateinamerika war wegweisend bei der Verabschiedung von Rahmengesetzgebungen, um die Realisierung des Rechts auf Nahrung zu unterstützen. Fortschritte wurde hier auch in Ländern wie Tansania, Malawi, Mosambik, Uganda, Indonesien und Thailand gemacht. Senegal und Mali haben Rahmengesetze mit dem Schwerpunkt auf Agrarpolitiken erlassen, die es Bauernorganisationen erlauben, solche Politiken mitzugestalten.

Der bemerkenswerte Fortschritt von Brasilien, die Mangelernährung bei Kindern in den letzten fünfzehn Jahren zu reduzieren, bezeugt die Stärke von Strategien wie “Null-Hunger”. Die indische Regierung hat ein Gesetz für die nationale Ernährungssicherung verabschiedet, dass einen gesetzlichen Rahmen etabliert mit dem Ziel den Zugang zu Nahrung für Zweidrittel der Bevölkerung sicherzustellen.

Die besondere Stärke des Menschenrechtsansatzes liegt darin, dass sie eine Fokussierung auf die am meisten marginalisierten und ärmsten Menschen beinhaltet. Er fordert Regierungen, besonders jene zu erreichen, die sonst zu den Verlierern gehören.

Lücken, Herausforderungen und große Risiken bleiben

Trotz der Fortschritte ist der Weg für Regierungen und alle Stakeholder, ihrer Verpflichtung zur Realisierung des Rechts auf Nahrung nachzukommen, noch viel zu lang. Sei es die mangelnde Rechenschaftspflicht oder Politikkohärenz oder die weitverbreitete Straflosigkeit von Verletzungen des Rechts auf Nahrung und die Gefahr der zunehmenden Kriminalisierung von Menschen, die die Menschenrechte verteidigen.

Reiche Länder müssen ihre Politiken korrigieren, die negative Auswirkungen auf das Recht auf Nahrung in Entwicklungsländern haben. Zu oft räumen diese Regierungen den wirtschaftlichen Eigeninteressen Vorrang vor ihren Menschenrechtsverpflichtungen ein, wie der Unwillen, den Klimawandel, unfaire Handelsregeln und Investitionspolitiken anzugehen und die Unterstützung der Produktion und des Verbrauchs von Agrarsprit zeigt.

Es besteht das große Risiko, dass die erreichten Erfolge und die Bemühungen, dass Welternährungssystem grundlegend an einem Menschenrechtsansatz auszurichten, rückgängig gemacht werden. Das zunehmende Problem des Zugriffs von Konzernen („corporate capture“) und der Involvierung des Privatsektors in der Entwicklung von Politiken bedroht weitere Fortschritte.  Es ist wichtig, wirksame Instrumente zur Kontrolle der Mächtigen zu entwickeln. Die Demokratisierung des Ernährungssystems ist eine notwendige Voraussetzung, um einen Wandel herbeizuführen. Wirksame Monitorung-Mechanismen sind ebenso von zentraler Bedeutung. Es wäre ein großer Schritt, wenn die FAO nicht mehr die Ernährungsunsicherheit bewertet, sondern die progressive Realisierung des Rechts auf Nahrung auf der Grundlage der Freiwilligen Leitlinien.

Am Ende ist der Kampf für die Realisierung des Rechts auf Nahrung erst dann gewonnen, wenn alle Menschen in die Lage versetzt werden, ihre Rechte einzufordern und die politisch Verantwortlichen Politiken korrigieren, die die volle Realisierung des Rechts auf Nahrung verhindern.

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