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Foto: Nadelaustausch in einem Harm Reduction Programm des Globalen Fonds
Nadelaustauschrogramme in Rumänien

Hallo Genf, wir haben ein Problem: Über die lebensbedrohlichen Nebenwirkungen der Global Fund Reform

23. Oktober 2013

Das Neue Vergabeverfahren des Globalen Fonds (New Funding Model/ NFM) wird ab Januar 2014 voll umgesetzt. Dazu wird der Verwaltungsrat des Fonds bei seiner anstehenden Sitzung im November 2013 einige letzte Feinjustierungen vornehmen. Das ist gut so. Denn: Genf, wir haben in Problem!

Das neue Vergabeverfahren: Eine bittere Pille für Einige

Die wohl größte Veränderungen durch das NFM sind die neu entwickelten Kriterien nach denen Länder ihre Finanzierung beantragen können. Damit will der Globale Fonds einer gewissen historischen und als falsch wahrgenommenen Unwucht im Fluss seiner Ressourcen entgegenwirken. Kern des NFM ist daher eine Berechnung, die festlegt, in welcher Höhe den Ländern Finanzmittel zustehen. Diese Rechnung umfasst epidemiologische Daten zu HIV/AIDS, Tuberkulose (TB) und Malaria sowie eine Schätzung, wie viel ein Land selbst zur Bekämpfung der Krankheiten beitragen könnte. Diese basiert auf den durch die Weltbank vergebenen Klassifizierungen nach dem Durchschnittseinkommen der Bevölkerung. In der Tat kann diese Arithmetik den ärmsten Ländern Afrikas und Asiens helfen, mehr Ressourcen zur Bekämpfung ihrer teilweise massiven Probleme zu bekommen. Allerdings gibt es Kritik am Modell: So sei eine Entscheidung, die vor allem auf nationalen Krankheitsdaten und Einkommen basiert wenig geeignet, abzubilden wo genau die größten Probleme wirklich lägen.

Ein großes Problem entsteht dadurch beispielsweise für Menschen in Russland oder anderen so genannten Ländern Mittleren und Höheren Einkommens in der Region, die in Expertenkreisen als EECA bezeichnet wird: Osteuropa und Zentralasien.[1] Die Region ist bekannt für ihre massiven Probleme mit resistenten Tuberkulosestämmen und darüber hinaus der einzige Ort der Erde, wo die Ansteckungsrate von HIV weiterhin ansteigt. Viele Länder stehen so genannten „konzentrierten Epidemien“ gegenüber: HIV und TB verbreiten sich vor allem – noch – in so genannten Hochrisikogruppen. Im Zentrum der Epidemien stehen oftmals Drogengebraucher/innen, Sexarbeite/innen oder andere – aus sozialen, geografischen oder anderen Gründen marginalisierte – Gruppen. Trotz eventuell vorhandener Finanzmittel im Land gibt es zumeist wenig bis gar keine Gesundheitsdienstleistungen für diese Menschen. Der politische Wille fehlt. So kommt es, dass nur 23% der bereits an HIV/AIDS-Erkrankten Zugang zu Therapie haben. Im südlichen Afrika liegt der Anteil der Behandelten doppelt so hoch. Ein Grund: die Regierungen der Staaten ignorieren bei manchen Randgruppen das Menschenrecht auf Zugang zur Gesundheitsfürsorge. Dies – und nicht der Mangel an staatlichen Ressourcen – hindert die Menschen am Zugang zu Prävention, Behandlung und Pflege.

Foto: Nadelaustausch in einem Harm Reduction Programm des Globalen Fonds
Nadelaustauschrogramme in Rumänien

Der Globale Fonds: Hoffnung für marginalisierte Gruppen

Von Beginn an hat der Globale Fonds eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung der HIV- Epidemie unter Drogengebrauchern gespielt. Sogenannte Harm Reduction Programme gehören zu den erfolgreichsten Methoden, die Gesundheit der Betroffenen zu schützen und Ansteckungen zu vermeiden. Zentrales Element ist das Angebot von sterilen Einspritzbestecken an Drogengebraucher. Alleine zwischen 2002 und 2009 hat der Globale Fonds fast eine Viertelmilliarde Euro für solche Programme in 22 Ländern der EECA-Region zur Verfügung gestellt.[2] Damit war er der wichtigste Geldgeber und hat den Ausbau von Harm Reduction Programmen ermöglicht. In einer Region in der Drogengebraucher bisher kriminalisiert und ausgeschlossen waren, förderte der Fonds die Menschenrechte und volle Beteiligung der Betroffenen.

Nach der Logik des Neuen Vergabeverfahrens wird sich das jedoch bald ändern: Da Länder Mittleren und Höheren Einkommens zumeist eine im Vergleich zu anderen Regionen relativ geringe Gesamtkrankheitslast, aber eine gemäß Weltbankkriterien hohes nationales Einkommen haben, wird ihre Finanzierung durch den GFATM drastisch gekürzt werden. Experten aus der Region EECA befürchten Einschnitte von bis zu 50%. Auch die existierende Regelung, dass sich in Ausnahmefällen auch Nichtregierungsorganisationen direkt mit Finanzierungsanfragen an den Globalen Fonds wenden können, steht bei der anstehenden Sitzung des Verwaltungsrats zur Disposition.

Somit könnten überall dort, wo der politische Wille zum Schutz der eigenen Bevölkerung fehlt, die Nebenwirkungen des Neuen Vergabeverfahrens tödlich sein.

Deutschland kann helfen

Deutschland verfügt über Erfahrungen im Bereich Harm Reduction zu Hause und gute Kontakte in einigen der betroffenen Länder. Außerdem ist die Bundesregierung einer der größten Geber des Globalen Fonds. Es ist wichtig die negativen Konsequenzen des NFM für Hochrisikogruppen in scheinbar wohlhabenden Ländern intensiv zu analysieren. Die Betroffenen – egal ob in EECA, oder sonst wo – müssen unterstützt werden. Diese Verpflichtung ergibt sich aus den Menschenrechten, aus Abwägungen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und ist schlussendlich auch eine strategische Frage für Deutschland: Osteuropa und Zentralasien sind gar nicht so weit weg von Berlin.

Tobias Luppe arbeitet bei Oxfam und vertritt Nichtregierungsorganisationen in der deutschen Regierungsdelegation zum Verwaltungsrat des Globalen Fonds. Die hier vertretenen Positionen sind nicht automatisch auch die Positionen der deutschen Regierungsdelegation zum Verwaltungsrat des GFATM.

Ivan Varentsov ist Regionalkoordinator des Civil Society Action Team beim Eurasian Harm Reduction Network (EHRN)

[1] EECA hier umfasst Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Estland, Georgien, Kasachstan, Kosovo, Kirgisistan, Lettland, Litauen, Mazedonien, Moldawien, Montenegro, Romania, Russland, Serbien, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine und Usbekistan.

[2] Bridge J, Hunter BM, Atun R, Lazarus A. Global Fund investments in harm reduction from 2002 to 2009. Int J Drug Policy 2012;.

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