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Eine Frau in Nepal mit einer Spitzhacke
Wiederaufbau in Nepal: Bimala Balami repariert das Bewässerungssystem ihres Dorfes, das durch das Erdbeben zerstört wurde. Sie erhält eine Vergütung für ihre Arbeit im Rahmen von sogenannten Cash-for-work-Projekten von Oxfam. "Ich mag meine Arbeit, da sie dem gesamten Dorf zugutekommt", sagt Bimala Balami.

„Die Menschen handeln selbst in ausweglosen Situationen klug und strategisch“

Interview mit Ulrich Wagner, 29.07.2016 in Berlin
24. August 2016

Ulrich, Du koordinierst die humanitäre Arbeit für Oxfam in der Region Zentral- und Ostafrika. Was machst Du da konkret?  

Meine Aufgabe ist es, für größere Krisen und Konflikte in der Region die Unterstützung zu koordinieren. Das geht vom Spendenwerben für Hilfseinsätze über die Entsendung von Nothilfe-Spezialisten zu Beginn einer Krise bis hin zur logistischen und personellen Unterstützung von langfristigen humanitären Einsätzen. In der Region, um die ich mich kümmere, gibt es sehr viele dieser komplizierten, langandauernden Krisen. Wir haben es dort mit fragilen Staaten zu tun, in der die Krise Dauerzustand ist. Hinzu kommen Naturkatastrophen oder Klimaeffekte, wie zum Beispiel El Nino, was man derzeit im Südsudan sieht.

Kannst Du das genauer erklären?

El Nino ist in erster Linie ein Klimaeffekt, der dazu führt, dass es sehr viel Niederschläge und Überschwemmungen gibt oder sehr große Trockenheit mit der Folge, dass Ernten ausbleiben oder Weideland vernichtet wird. Im Südsudan fliehen gleichzeitig Menschen vor kriegerischen Auseinandersetzungen in diese Gegenden. Es gibt dort dann mehr Menschen, aber weniger Ressourcen, um sie zu ernähren. So verstärkt El Nino die Auswirkungen von Flucht und Vertreibung.

Südsudan: Das Klimaphänomen El Niño führt im Südsudan zu extremer Trockenheit. In Armut lebende Menschen sind besonders betroffen und leiden unter Wasserknappheit, Hunger und Krankheiten.

Und wie sieht die Arbeit von Oxfam in der Region aus?

Unsere Programmarbeit gliedert sich in drei Bereiche. Da ist zum einen die Versorgung mit Trinkwasser, Sanitär- und Hygieneeinrichtungen, wie etwa Toiletten. Das ist ganz wichtig in einer Krise, denn so lassen sich viele Epidemien und Krankheiten vermeiden, die unter schlechten hygienischen Bedingungen auftreten, wie zum Beispiel Cholera. Dabei verfolgen wir einen integrierten Ansatz. Wir sorgen für die Infrastruktur, das heißt Wassertanks und Aufbereitungsanlagen, wir verteilen Hygieneartikel wie Seife und Wasserkanister, wir vermitteln aber auch spielerisch Wissen, wie man sich vor Krankheiten schützt, zum Beispiel über Theaterstücke.

Nepal: Oxfam arbeitet seit mehr als 20 Jahren in Nepal und leistet Soforthilfe. Unmittelbar nach dem Erdbeben haben wir den Menschen u.a. sauberes Wasser, Latrinen und Gutscheine für Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt.

Der zweite Bereich, in dem wir tätig sind, ist die Ernährungssicherung. Das bedeutet nicht unbedingt, Lebensmittel zu verteilen, wobei wir in Notfällen auch dies tun. Sehr viel häufiger geben wir Bargeld aus, damit die Menschen sich selbst das besorgen können, was sie brauchen. Alternativ verteilen wir auch Gutscheine, die bei den Händlern eingelöst werden können. Voraussetzung ist natürlich, dass die lokalen Märkte noch funktionieren und ausreichen Lebensmittel angeboten werden.

Der dritte Bereich beinhaltet besondere Schutzmaßnahmen für einzelne Gruppen. Um ein Beispiel zu nennen: Im Südsudan sind Menschen in ein Sumpfgebiet geflohen. Viele Kinder kamen dort ums Leben, weil die Mütter sie im Sumpf nicht tragen konnten und sie zu klein waren, um ihre Köpfe über der Oberfläche zu halten. Wir haben an die Menschen dann Gutscheine für Bootsüberfahrten verteilt, damit sie nicht mehr täglich durch den Sumpf waten mussten. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in der DR Kongo, helfen wir Dorfgemeinschaften dabei, gemeinsam mit den lokalen Autoritäten Wege zu finden, um Missbrauch und Ausbeutung durch das Militär und lokale Milizen zu vermeiden.

DR Kongo: Teilnehmerin an einem Oxfam-Workshop zu Schutzmaßnahmen in Krisenregionen.

Du sagtest, ihr verteilt auch Bargeld. Wie verhindert ihr, dass damit Missbrauch betrieben wird?

Ganz wichtig ist, die Menschen vorzubereiten, dass sie sich Gedanken machen, was sie brauchen und wie sie das Geld investieren möchten. Wir diskutieren das vorher mit den Familien und Gemeindegruppen. Es kommt sehr selten vor, dass sich Familienangehörige Sachen von dem Geld kaufen, die der Familie nicht helfen, wie Alkohol oder Zigaretten. Wir überprüfen das regelmäßig, indem wir Befragungen unter Familien und Händlern durchführen. Unsere Erfahrung zeigt: Die Menschen handeln selbst in ausweglosen Situationen sehr klug und strategisch, Missbrauch kommt kaum vor.

 

Was sind typische Herausforderungen, mit denen man als humanitärer Helfer zu tun hat, wenn man in solchen Krisen unterwegs ist?

In unserer Region haben wir es viel mit Krisen zu tun, die keinen festen Ausgangspunkt und auch kein absehbares Ende haben, und bei denen häufig natürliche und menschengemachte Ursachen ineinandergreifen. Solche Krisen schaffen es wenig in die Medien, was ein Problem ist, weil man dann keine Spenden und weniger institutionelle Förderung erhält. Außerdem gibt es erhebliche Sicherheitsrisiken.

...es gab auch immer wieder unglaublich schöne Szenen von Hoffnung, Mut und Freude.

Die Arbeitsbelastung ist eine weitere Herausforderung. Wenn man als motivierter internationaler Helfer in eine Krisenregion kommt, arbeitet man in einer Welt, die komplett aus Arbeit besteht, mit 12,14 oder 16 Stunden pro Tag, ohne viel Privatleben und Ausgleich nach Feierabend. Die Gefahr eines Burnouts ist groß.

Hinzu kommt das objektive Machtgefälle zwischen internationalen Mitarbeitern und lokaler Bevölkerung. Der internationale Mitarbeiter kommt mit westlichem Pass, Geld, Statussymbolen, lebt in abgeschirmten Wohngegenden. Das ist wie eine Glaswand, die zwischen einem selbst und der Umgebung steht, selbst wenn man versucht, engen Kontakt zur lokalen Bevölkerung zu haben.

Wie geht man damit um?

Das ist sicherlich von Person zu Person verschieden. Manche lesen Bücher oder suchen den sozialen Austausch mit anderen. Für mich selbst war eine wichtige Kraftquelle meine Freundin, mit der ich während meiner Zeit in der DR Kongo zusammengelebt habe. Auch wenn es sonst kein Privatleben gab, hatten wir doch immer unsere Beziehung, was sehr wichtig war.

Wenn in Europa über Afrika berichtet wird, dann geht es häufig um Armut, Chaos, Gewalt. Welche Erfahrungen hast Du gemacht?

Vieles von dem, was hier über Afrika berichtet wird, ist verkürzt. Ich persönlich habe vor Ort Armut, Gewalt und Ungerechtigkeit gesehen, was schockiert, egal wie gut man sich vorbereitet. Aber es gab auch immer wieder unglaublich schöne Szenen von Hoffnung, Mut und Freude. Das sieht man in den Medien leider selten, weil das Sensationelle eher der Krieg und die Gewalt ist.

Gibt es eine konkrete Erfahrung oder ein Erlebnis, das Dich besonders geprägt hat?

Ja, es gibt eine sehr schöne Erfahrung aus meinem ersten Jahr in der DR Kongo, wo ich für eine andere NGO tätig war. Da war ich Büroleiter in einem schwierigen Arbeitsumfeld. Das Büro war vorher nicht gut geführt worden, es gab Korruption und eine öffentliche Untersuchung, es mussten Leute entlassen werden usw. Ich habe versucht, aus den Mitarbeitern wieder ein Team zu machen und die Programme erneut ins Laufen zu bringen. Nach einem Jahr haben alle Angestellten ein Fest veranstaltet und dort ein Theaterstück aufgeführt, in dem sie sich über mich und meine Verhaltensweisen lustig gemacht haben, wie ich laufe, wie ich rede, wie ich Meetings koordiniere. Wir haben alle so gelacht. Dass die Leute das Vertrauen hatten so etwas aufzuführen, fand ich großartig.

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