Wer hat die Macht über unser Essen?
Heute bestimmen einige wenige globale Konzerne die großen Trends in der Landwirtschaft und beim Nahrungsmittelkonsum. Viele der heute führenden Konzerne bestehen seit vielen Jahrzehnten: Nestlé, Unilever, Coca-Cola, der Agrarhändler Cargill oder der Maschinenhersteller John Deere. Seit den 1980er Jahren sind verstärkt Fusionen und Übernahmen zu beobachten. Dies führt dazu, dass die Konzerne immer größer werden. Statt die Marktkonzentration zu beschränken, ebnete die Politik den marktmächtigen Konzernen in den letzten Jahrzehnten auch noch den Weg. Freihandelsabkommen, der Abbau staatlicher Regulierung und unzureichende Wettbewerbsregeln ermöglichten ihnen zu expandieren. Die deutsche Politik erhöhte beispielsweise noch im Jahr 2013 den Schwellenwert, bei dem kartellrechtlich eine Marktbeherrschung eines Unternehmens vermutet wird. Er stieg von einem Marktanteil von mindestens einem Drittel auf 40 Prozent.
Der neueste Trend: Mega-Fusionen
Neuerdings kaufen große Konzerne verstärkt andere große Konzerne auf. 12 Mega-Fusionen sind seit 2015 zu verzeichnen, im Durchschnitt also eine alle zwei Monate. Die Marktmacht der fusionierten Konzerne vergrößert sich damit immens und sprunghaft. Fünf der zwölf größten Zusammenschlüsse fanden im Bereich Agrarchemie, Nahrungsmittel, Getränke und Tabak statt. Das Übernahmevolumen betrug 347 Milliarden US$ im Jahr 2015 und war damit fünf Mal so hoch wie für die Branchen Pharma und Öl.
Neu ist auch, dass verstärkt große Finanzinvestoren hinter den Mega-Fusionen stehen. Die Investmentgesellschaft 3G-Capital war im Jahr 2015 an zwei Übernahmen mit einem Transaktionsvolumen von über 100 Milliarden US$ beteiligt: Der Brauereikonzern Anheuser-Busch übernahm seinen Rivalen SABMiller und der Ketchuphersteller Heinz seinen Konkurrenten Kraft. 3G-Capital gehört dem Brasilianer Jorge Lemann und ist bekannt für seine harten Sparmaßnahmen.
Der Einfluss des Finanzkapitals nimmt zu
Finanzkräftige Kapitalanleger beeinflussen immer mehr das globale Ernährungssystem. An der Chicagoer Terminbörse dominieren mittlerweile Banken, Hedgefonds und Investmentfonds den Handel mit Weizen. Der Anteil der reinen Spekulation am Handel stieg von 12 Prozent Mitte der 1990er Jahre auf 70 Prozent heute. Hunderte agrarbasierte Investments verwalten Milliarden Dollar Vermögen und investieren unter anderem in Weizen, Zucker und Kaffee. Investmentfirmen wie BlackRock sind an Konzernen entlang der ganzen Lieferkette beteiligt: von Monsanto über den Maschinenhersteller John Deere zu dem Agrarhändler ADM und die Supermarktkette Wal-Mart. Die größten Händler von Agrarrohstoffen wie Cargill, ADM und Dreyfuss haben sogar eigene Investmentgesellschaften gegründet. Sie verfügen wie niemand sonst über Wissen zu Ernten, Lagerbeständen und Preisentwicklungen, das sie beim Kauf bzw. Verkauf von Agrarrohstoffen sowie an den Terminbörsen gewinnbringend für sich nutzen können. Seit Anfang 2000 gibt es auch spezielle Agrarflächenfonds, die zu einer Welle von Landkäufen beigetragen haben.
Großkonzerne machen Geschäfte untereinander
Die Großkonzerne unterhalten intensive Geschäftsbeziehungen untereinander. Große Agrarhändler liefern billige Rohstoffe – Soja, Zucker, Palmöl - in großen Mengen für Lebensmittelkonzerne: So gehören Unilever, Nestlé, Heinz, Mars, Kellogg‘s und Tchibo zu den Kunden von OLAM aus Singapur. Die Lebensmittelkonzerne gehören zu den Top-Lieferanten der großen Supermarktketten: Unilever erklärt, es habe „eine großartige Partnerschaft mit den Wal-Marts dieser Welt“. Die Großkonzerne kooperieren auch vielfach miteinander: Zum Beispiel Wal-Mart mit Unilever, Unilever mit Cargill, Cargill mit Monsanto, Monsanto mit John Deere.
Digitalisierung der Landwirtschaft
Die Digitalisierung der Landwirtschaft ist ein weiterer neuer Trend, der enge Kooperationen aller vorgelagerten Unternehmen mit sich bringt: vom Saatgut, über Pestizide und Düngemitteln zu Maschinen. Der Mähdrescherhersteller Class arbeitet bereits mit Bayer und dem Saatguthersteller KWS zusammen. Ein Branchenkenner erwartet, dass es zwei mächtige Konsortien geben wird: eines um John Deere und Monsanto und eines rund um Claas. Aus „Wachse oder Weiche“ wird „Digitalisiere oder Weiche“. Die Großkonzerne sind entlang der Lieferkette immer stärker miteinander vernetzt. Der Wettbewerb „Konzern gegen Konzern“ weitet sich zu einem Kampf „Lieferkette gegen Lieferkette“ aus.
Kooperationen finden jedoch auch auf gleicher Stufe statt. In einigen Traktoren von Class finden sich Motoren von John Deere. 2013 haben Bayer CropScience und Monsanto mehrere Lizenzabkommen in der Gentechnik abgeschlossen. BASF kooperiert mit Bayer bei der Entwicklung von Hybrid-Reis und mit Monsanto bei der Entwicklung von gentechnisch veränderten Sorten. Die Agrarrohstoffhändler wie Cargill und ADM integrieren verstärkt nachgelagerte Bereiche – Lebensmittelverarbeitung - in ihren Konzern. Der Handel mit Agrarrohstoffen wird immer mehr zum Beiwerk. Von Cargill wird berichtet, das Unternehmen sei nicht nur Teil der Kette – vom Acker bis zur Ladentheke – sondern es sei die Kette selbst.
Die Supermarktketten als „Türsteher“
An den Supermarktketten kommt kein Lebensmittelunternehmen vorbei. Sie nehmen als „Türsteher“ eine zentrale Rolle in der Lieferkette ein. Die Supermarktketten bestimmen wesentlich, wer wie Lebensmittel produziert und welche Lebensmittel Konsumenten im Regal vorfinden. Je höher der Marktanteil der Supermarktkette, desto größer ihre Macht, Lieferanten die Preise und die Konditionen zu diktieren. In Deutschland ist der Lebensmitteleinzelhandel bereits stark konzentriert. Edeka, Rewe, Schwarz (Lidl und Kaufland) und Aldi teilen sich 85 Prozent des Absatzmarktes. Sie missbrauchen ihre Marktmacht, indem sie unfaire Einkaufspraktiken wie rückwirkendende Konditionenänderungen einsetzen, die Preise drücken und Risiken und Kosten auf die Lieferanten abwälzen. Damit treiben sie die Konsolidierung in der Lebensmittelverarbeitung und Konzentrationsprozesse entlang der ganzen Lieferkette voran.
Die globale Ungleichheit nimmt zu
Bauern und Bäuerinnen sowie Arbeiter und Arbeiterinnen sind die schwächsten Glieder in der Lieferkette. Sie sind am stärksten von der Marktkonzentration im Agrar- und Ernährungssektor betroffen und weitestgehend machtlos und schutzlos der „Marktmacht“ der Konzerne ausgeliefert. Die Schere zwischen ihren Anteilen an den Verkaufserlösen und denen der Konzerne klafft immer weiter auseinander und die globale Ungleichheit nimmt zu. Erhielt ein Kakaobauer oder eine Kakaobäuerin 1980 noch 16 Prozent des Preises einer Tafel Schokolade, so sind es heute kaum mehr sechs Prozent. Der Preisdruck der Supermarktketten und Lebensmittelkonzerne entlang der globalen Lieferkette ist eine der Hauptursachen für schlechte Arbeitsbedingungen, für die Marginalisierung von kleinbäuerlichen Produzenten und für Armut. Die Großkonzerne und finanzkräftigen Kapitaleigner treiben die Industrialisierung entlang der Lieferkette voran. Mit der Expansion der großflächigen, industriellen Landwirtschaft werden kleinbäuerliche Produzenten vom Land vertrieben („Landgrabbing“) und lokale Ernährungssysteme zerstört. Die Umwelt wird geschädigt.
Negative Auswirkungen der Marktkonzentration entlang der Lieferkette
Es ist schwer, die Auswirkungen der Marktkonzentration von anderen negativen Industrialisierungstrends in der Landwirtschaft zu trennen. Gleichwohl sind einige Entwicklungen stark mit der zunehmenden Marktkonzentration verknüpft: Die Wahlfreiheit von Bauern und Bäuerinnen wird eingeschränkt, die Abhängigkeit von einzelnen Anbietern bzw. Abnehmern steigt. Technologische Paketlösungen werden verstärkt oder gar alternativlos angeboten. Die Preise für Betriebsmittel steigen, d.h. Bauern und Bäuerinnen haben höhere Kosten bei gleichzeitig starkem bzw. steigendem Preisdruck. Das Risiko von wettbewerbswidrigem Verhalten und der Marktmissbrauch der Konzerne steigen, Preisabsprachen finden eher statt.
Doch damit nicht genug. Es besteht die reelle Gefahr, dass 2-3 Konzerne das Saatgut, die Lebensgrundlage der Menschheit, kontrollieren und den Einsatz der Gentechnik noch stärker vorantreiben. Die „Digitalisierung der Landwirtschaft“ drängt kapitalschwache Betriebe aus dem Markt und forciert den Strukturwandel. Wertvolles Wissen über Anbauverfahren und biologische Prozesse geht verloren. Agrarhändler, Kapitalanleger und Lebensmittelkonzerne können an Börsen künstlich die Future-Preise von Weizen oder Mais erhöhen bzw. senken (siehe Glencore, Cargill, Kraft und Mondelez). Extreme Preisschwankungen bei Lebensmitteln sind die Folge. Lebensmittelkonzerne kaufen ihre Agrarrohstoffe und Supermarktketten ihre Lebensmittel dort ein, wo sie billig sind.
Eine Gefahr für die Demokratie
Der Lobbyeinfluss der Großkonzerne auf die Politik nimmt zu. Die Marktkonzentration führt zu einer Konzentration von politischer Macht. Das ist ein großes Problem! Politische Entscheidungsträger jeglicher parteilicher Couleur sollte dieser Umstand erschaudern lassen und zum Handeln treiben. Die Marktkonzentration stellt eine Gefahr für die Demokratie dar. Ebenso gefährlich ist, dass die Konzerne ohnehin bzw. zunehmend über die Macht verfügen, Märkte in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ein solcher entfesselter Markt und entfesselter Wettbewerb führen dazu, dass sich die „Stärkeren“ im Wirtschaftsgeschehen erfolgreich durchsetzen. Die Politik hat die Aufgabe, Regeln für Märkte derart zu gestalten, dass diejenigen Unternehmen, die von sich aus nicht verantwortlich handeln, zu einem fairen Umgang mit Produzenten, Lieferanten und Beschäftigten bewegt bzw. gezwungen werden. Dazu ist es erforderlich, dass die Politik Partei nimmt zugunsten der Akteure ohne nennenswerte Verhandlungsmacht - die Bauern und Bäuerinnen, die Arbeiter und Arbeiterinnen - und die Macht der marktmächtigen Konzerne einschränkt. Nur so kann ein fairer Interessensausgleich zwischen den Beteiligten innerhalb der Lieferkette sichergestellt werden.
Das Zauberwort heißt Regulierung
Die Politik muss die Fusions- und Missbrauchskontrolle verschärfen und die Verhandlungsmacht von Bauern und Bäuerinnen stärken. Die Unternehmen müssen gesetzlich verpflichtet werden, soziale und ökologische Mindeststandards umzusetzen und die Menschenrechte einzuhalten. Dafür sind ein Kurswechsel in der Agrar- und Handelspolitik sowie eine stärkere Regulierung von Finanzspekulanten unumgänglich. Alternative Ansätze sind vorhanden und praxistauglich, sie müssen nur noch von der Politik gefördert werden.
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