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Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt vor dem Weißen Haus
Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt am 1. Juni 2020 vor dem Weißen Haus

Ein Teil des Problems

29. Juni 2020

Das Handy-Video vom Tod des Afroamerikaners George Floyd schockiert, macht wütend und fassungslos: 8 Minuten und 46 Sekunden lang presste der weiße Polizist Derek Chauvin sein Knie in den Nacken des am Boden liegenden Mannes. Er ignorierte seine wiederholten, verzweifelten Hilferufe „I can’t breathe“ und ließ auch dann nicht von ihm ab, als Floyd das Bewusstsein verlor. Weltweit gehen seither Menschen auf die Straße, um gegen Rassismus zu protestieren. Auch in Deutschland, wo Schwarze und People of Color ebenfalls regelmäßig rassistisch motivierte Diskriminierung und Gewalt erleben.

Oxfam fühlt sich dieser Bewegung solidarisch verbunden. Wer wie wir für Demokratie und Menschenwürde einsteht, bezieht damit Position gegen Rassismus und Machtmissbrauch, für gleiche Rechte, Teilhabe und ein respektvolles Miteinander. Doch was heißt das eigentlich? Angesichts der Brutalität eines Derek Chauvin oder der 208 Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt in Deutschland, die die Amadeu Antonio Stiftung seit 1990 dokumentiert hat, ist es leicht, sich zu empören. Diese Empörung ist richtig, aber sie vermittelt weißen Menschen wie mir auch das gute Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. So laufe ich Gefahr, der heiklen Frage auszuweichen, was Rassismus mit mir selbst zu tun haben könnte.

Rassismus ist die Norm, nicht die Abweichung

Rassismus ist in unseren Gesellschaften tief verankert und beschädigt unser Zusammenleben auch dort, wo viele es nicht vermuten. Nicht nur, wenn ein weißer Polizist einen Afroamerikaner erstickt, wenn Hetzjagden auf Schwarze und People of Color stattfinden oder das N-Wort fällt. Diese Taten sind nicht kontextlos. Vielmehr steckt Rassismus „in der Art und Weise, wie wir sprechen gelernt haben, in unseren Kinderbüchern, Schulbüchern, in der Werbung. Es gibt eigentlich keine Räume, in denen Rassismus nicht wirkt. Es ist ein bisschen wie Smog, den wir täglich einatmen. Rassismus ist quasi die Norm und nicht die Abweichung“, erklärt die Antirassismus-Trainerin und Autorin Tupoka Ogette in einem Interview mit dem Spiegel. Rassismus legitimiert gewaltsam erzeugte Macht- und Ungleichheitsverhältnisse, von denen weiße Menschen profitieren, auch dann, wenn sie mit Black Lives Matter demonstrieren. Dieser unangenehmen Wahrheit muss ich mich stellen, um mich ehrlich mit Rassismus auseinanderzusetzen.

Das gilt nicht nur für Individuen, sondern auch für eine Entwicklungsorganisation wie Oxfam, gegründet 1942 in Großbritannien, einer ehemaligen Kolonialmacht. Eine Organisation, die weltweit tätig ist, aber doch wesentlich geprägt von Menschen und Geldern aus dem Globalen Norden. Wir vergessen allzu leicht, dass die sogenannte Entwicklungszusammenarbeit einer kolonialen Tradition entstammt, verbunden mit der Vorstellung einer Zivilisierungsmission und dem westlichen Entwicklungsmodell als Norm, wie der Historiker Hubertus Büschel im Gespräch mit dem Deutschlandfunk aufzeigt. Dieser koloniale Blick degradiert Menschen zu Hilfsempfänger*innen und verstärkt rassistische Stereotype.

Natürlich gibt es einen himmelweiten Unterschied zwischen einem rassistisch motivierten Mord und der Verstärkung stereotyper Vorstellungen über Menschen im Globalen Süden. Und dennoch: Wir müssen uns immer wieder fragen, welche Rolle wir innerhalb der nicht zuletzt durch den Kolonialismus hervorgerufenen globalen Ungleichheitsverhältnisse spielen und wie wir uns verändern müssen, um sie irgendwann zu überwinden.

Raus aus der Komfortzone!

Wie können wir beispielsweise unseren Partnerorganisationen im Globalen Süden tatsächlich auf Augenhöhe begegnen? Es ist ein schwer auflösbares Dilemma: Als weiße deutsche Frau besitze ich materielle Werte und Privilegien, die einen gleichberechtigten Austausch mit einer Bäuerin in Burundi, aber auch mit der Direktorin einer Frauenrechtsorganisation in Mali erschweren. Auch im Verhältnis zwischen Globalem Norden und Globalem Süden im Oxfam-Verbund spielen historisch bedingte Abhängigkeitsverhältnisse und Stereotype eine Rolle. Wenn darüber gestritten wird, wer inhaltlich die Richtung vorgibt, welche Stimmen gehört werden und wer letztendlich entscheidet, schwingt stets auch die koloniale Geschichte mit.

Es ist wichtig, diese Widersprüche, in denen wir uns als internationale Entwicklungsorganisation bewegen, zu benennen und offensiv mit ihnen umzugehen. Rassismus in der Welt zu bekämpfen, heißt immer auch, vor der eigenen Haustür zu kehren. Das ist unangenehm und gerade deshalb so wichtig. Denn nur jenseits der Komfortzone findet nachhaltige Veränderung statt.

Und die fordert die Zivilgesellschaft im Globalen Süden inzwischen lautstark ein. Die Organisation NoWhiteSaviors etwa hat es sich zur Aufgabe gemacht, die traditionellen Machtstrukturen zwischen dem Globalen Norden und dem afrikanischen Kontinent anzuprangern. Und über 140 Non-Profit-Organisationen aus dem Globalen Süden forderten im März in einem offenen Brief Oxfam und andere internationale Hilfsorganisationen auf, die lokale Zivilgesellschaft zu unterstützen statt eigene Strukturen in diesen Ländern aufzubauen und in Konkurrenz zu ihnen zu treten.

Unsere Rolle als internationale NGO

Oxfam hat sich diesen Aufgaben im Rahmen unseres Strategie-Prozesses für die Zeit bis 2030 gestellt. Bei der Konferenz „Re-Thinking Oxfam in Africa“ haben wir uns vergangenes Jahr mehrere Tage mit Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen des Globalen Südens getroffen, um ihre Kritik zu hören und gemeinsam zu überlegen, welchen Weg wir als global agierende internationale NGO einschlagen sollten.

Als ein Ergebnis werden wir uns in Zukunft noch stärker darauf konzentrieren, unsere Stimme gegen Ungleichheit zu erheben. Ein weiterer Schritt ist, dass wir uns im Laufe der kommenden zwei Jahre aus vielen Ländern zurückziehen werden, insbesondere aus solchen, in denen die lokale Zivilgesellschaft in der vergangenen Zeit stark geworden ist und zu signifikanten Fortschritten beigetragen hat. Starke lokale Akteure des Globalen Südens können die Interessen der dort lebenden Menschen am besten vertreten und ihre Rechte einfordern. Als internationale Organisation lassen wir ihnen den Vortritt. Gefragt sind wir dort, wo Menschen auf externe Unterstützung angewiesen sind, um in Würde leben zu können.

Dabei haben wir die Aufgabe und Verantwortung, immer wieder aufs Neue Anspruch und Wirklichkeit unserer Arbeit miteinander abzugleichen. Das gilt auch für die Art und Weise, wie wir über diese Arbeit sprechen, schreiben oder sie bebildern. Bei Oxfam bemühen wir uns, die Menschen, mit denen wir im Globalen Süden zusammenarbeiten, würdevoll darzustellen, selbsttätig, mit persönlicher Geschichte, eigener Haltung und individuellen Interessen. Was selbstverständlich sein sollte, ist nicht immer so einfach, wie es klingt. Denn wir berichten nicht selten über Situationen, in denen es wenig Raum für Selbsttätigkeit und Eigenmächtigkeit gibt. Und doch müssen wir uns immer wieder fragen: Würden wir diesen Menschen so abbilden, wenn er*sie weiß wäre?

Es sind diese Alltagsfragen, denen wir uns stellen müssen, wenn Rassismus irgendwann einmal auf dem Müllhaufen der Geschichte landen soll. Es braucht die großen Bekenntnisse, die Appelle, die Demonstrationen, die ganz praktische Solidarität. Aber eben auch die kleinen Schritte und die Ehrlichkeit mit sich selbst, ein Teil des Problems zu sein.

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