Neuen Kommentar hinzufügen

Bananenbündel, die an einer Stange vor einer gekachelten Wand hängen
Erster Schritt in die richtige Richtung oder halbherziges Versprechen? Das Pilotprojekt im ecuadorianischen Bananensektor wird zeigen, wie ernst es den beteiligten Supermärkten wirklich mit existenzsichernden Löhnen und Einkommen ist.

Im Schneckentempo zu existenzsichernden Löhnen in globalen Lieferketten?

Supermärkte und Menschenrechte
28. April 2021

Anfang 2020 haben sechs große deutsche Einzelhändler eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Realisierung existenzsichernder Einkommen und Löhne unterzeichnet. Gemeinsam, so verlautete die Erklärung, wolle man sich dafür einsetzten, "Bauern- und Arbeiterfamilien in globalen Lieferketten einen menschenwürdigen Lebensstandard zu ermöglichen". Die vereinbarten Ziele sollen in einer gemeinsamen Initiative umgesetzt werden.

Zu den unterzeichnenden Unternehmen zählen unter anderem die Supermarktriesen Aldi, Lidl und Rewe. Das ist auch für Oxfam ein Erfolg, da wir mit unserem Supermarkt-Check seit Jahren auf eine verbesserte Menschenrechtspolitik dieser großen Lebensmittelhändler drängen.

Doch ausgerechnet Edeka – Schlusslicht in unserem Supermarkt-Check – hat als größter Supermarkt Deutschlands die Selbstverpflichtungserklärung nicht unterschrieben. Obwohl der Konzern sich nach außen gern mit einem besonders grünen Image schmückt, gibt er beim Schutz von Menschenrechten weiterhin kein gutes Bild ab. Dies zeigt einmal mehr, dass freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft nicht ausreichen: Wir brauchen endlich ein starkes Lieferkettengesetz, das alle Unternehmen zur Einhaltung menschenrechtlicher Standards in ihren Lieferketten verpflichtet.

Erstes Pilotprojekt in Ecuador geplant

Anfang dieses Jahres stellte die Initiative zu existenzsichernden Einkommen und Löhnen in einem Fortschrittsbericht erste Pläne für ein gemeinsames Pilotprojekt vor, das im Bananensektor in Ecuador durchgeführt werden soll. Berichten zufolge streben die Supermärkte damit an, die Lücke zwischen Mindestlöhnen und existenzsichernden Löhnen zu schließen. Zudem sollen „effektive und praxisorientierte Ansätze“ zu verantwortungsvollen Beschaffungspraktiken erarbeitet werden.

Ohne Edeka droht das Pilotprojekt zu scheitern

Im Fortschrittsbericht fällt zudem auf, dass Edeka als größtes Unternehmen des deutschen Lebensmitteleinzelhandels bei dem geplanten Pilotprojekt nicht dabei ist. Dies steht im Widerspruch zu eigenen Angaben des Unternehmens: Noch im letzten Jahr versicherte uns Edeka, auch ohne offizielle Unterzeichnung der Selbstverpflichtung in der daraus entstanden Initiative mitzuarbeiten.

Nun haben wir erneut nachgefragt: Edeka hat uns gegenüber bestätigt, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine Beteiligung an dem Pilotprojekt in Ecuador geplant ist. Edeka möchte lieber ein eigenes Projekt mit dem WWF vorantreiben. Informationen zu konkreten Lohnsteigerungen in Verbindung mit diesem Vorhaben gibt es bisher jedoch nicht. Das ist problematisch, da der Erfolg des Pilotprojekts in Ecuador auch maßgeblich vom Einkaufsvolumen der beteiligten Unternehmen abhängt. Insider befürchten, das Pilotprojekt könne ohne die Mitarbeit von Edeka scheitern, noch bevor es begonnen hat.

Anhaltender Preiskampf statt angemessener Löhne

Bei Bananen tobt seit Jahren ein erbitterter Preiskampf im gesamten Lebensmitteleinzelhandel. Damit einher geht ein eindeutiger Trend zu immer weiter sinkenden Einkaufspreisen. Auch bei den Mitgliedern der Selbstverpflichtungserklärung ist ein massiver Widerspruch zwischen vollmundigen Ankündigungen und tatsächlichen Einkaufspraktiken zu beobachten. So kündigte beispielsweise Aldi im Herbst 2020 an, seine ohnehin extrem niedrigen Einkaufspreise für Bananen um weitere 9 Prozent zu senken. Laut Aldi sei dies durch gesunkene Transportkosten und günstigere Wechselkurse möglich gewesen. Die dadurch frei gewordenen Margen hätte das Unternehmen jedoch auch dafür nutzen können, die Einkaufspreise stärker an den Produktionskosten auszurichten, die für existenzsichernde Löhne und umweltverträglichen Plantagenanbau notwendig wären. So ist hingegen eine weitere Chance verstrichen, das Versprechen existenzsichernder Löhne endlich umzusetzen.

Zusammen mit zahlreichen anderen Organisationen hat Oxfam daher einen offenen Brief an die fünf größten Supermärkte geschickt. In dem Brief haben wir die Unternehmen dazu aufgefordert, den fortwährenden Preiskampf zu durchbrechen, um dem Ziel existenzsichernder Löhne und Einkommen ein Stück näher zu kommen.

Alle kontaktierten Unternehmen reagierten mit einem Verweis auf den hohen Anteil zertifizierter Bananen in ihrem Sortiment. Doch leider haben zahlreiche Studien zum Beispiel von Oxfam oder der Rosa Luxemburgstiftung festgestellt, dass Zertifizierungen in den meisten Fällen nicht zu Lohnsteigerungen führen – ein zentraler Grund, warum die Selbstverpflichtung für existenzsichernde Löhne und Einkommen überhaupt ins Leben gerufen wurde.

Realistische Zielsetzungen oder fehlender Ehrgeiz?

Eine weitere Frage ist zudem, warum mit einem Pilotprojekt in Ecuador begonnen wurde. Einer Studie der Global Living Wage Coalition zufolge liegt die Lücke zwischen dem gesetzlichen Mindestlohn und einem existenzsichernden Lohn im ecuadorianischen Bananensektor bei 8 Prozent. Die Methodik dieser Studie muss zwar kritisch hinterfragt werden, dennoch verdeutlicht sie, dass die Lohnlücke in anderen Sektoren und Ländern deutlich größer ist. In vielen Ländern der Textilindustrie müssten sich Einkommen zum Beispiel verdreifachen, um existenzsichernd zu sein.

Einerseits kann argumentiert werden, dass ein Pilotprojekt in einem Land und mit einem Produkt beginnen sollte, bei dem Fortschritte und Erfolge einfach möglich sind. Andererseits erscheint das niedrig gesteckte Ziel auch exemplarisch für den geringen Ehrgeiz bei der Umsetzung. Bereits im letzten Jahr haben wir kritisiert, dass die Zielsetzungen der Initiative – zwei Pilotprojekte bis 2025 – für Unternehmen mit Milliardenumsätzen wenig ambitioniert sind. Die Eigentümerfamilien von Aldi und Lidl zählen seit Jahren zu den reichsten Milliardären in Deutschland. Zudem haben die großen Supermarktketten von der gestiegenen Nachfrage während der Corona-Pandemie profitiert.

Gewerkschaften sollen gestärkt werden

Positiv fällt im Fortschrittsbericht auf, dass er Vereinigungsfreiheit und die Stärkung von Arbeitnehmer*innenvertretungen als wichtige Bausteine benennt. Denn gerade in Ecuadors Bananensektor gibt es regelmäßig Berichte über massive Behinderung gewerkschaftlicher Arbeit, was unter anderem von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) mehrfach kritisiert wurde

Eine wichtige Weichenstellung wird die zukünftige Zusammenarbeit mit unabhängigen Gewerkschaften sein, wie zum Beispiel mit dem langjährigen Oxfam-Partner ASTAC, einer ecuadorianischen Gewerkschaft von Plantagenarbeiter*innen. Dies ist insbesondere dann entscheidend, wenn solche Gewerkschaften von den produzierenden und exportierenden Unternehmen vor Ort nicht akzeptiert werden. Hier werden wir die weitere Entwicklung verfolgen.

Schleppende Umsetzung und wenig Transparenz

Laut Fortschrittsbericht sollten zeitnah mehr Informationen zur Umsetzung des Projekts in Ecuador veröffentlicht werden. Monate später ist hiervon leider nichts zu sehen. Mehr Transparenz, unter anderem über die teilnehmenden Plantagen, Unternehmen und Gewerkschaften, wäre jedoch notwendig, um eine detailliertere Einschätzung zu ermöglichen.

Der bisherige Eindruck ist jedoch nicht vielversprechend. Der großen Ankündigung von Anfang 2020 sind bisher nur vage Versprechen gefolgt. Die weiterhin fehlende Beachtung von existenzsichernden Löhnen und Einkommen bei der eigenen Preispolitik verstärkt diesen Eindruck. Daher bleibt das Bild unverändert: Die Aktivitäten der Initiative werden der dramatischen Einkommenssituation vieler Arbeiter*innen in globalen Lebensmittellieferketten nicht gerecht.

Worten müssen endlich Taten folgen

Wenn die Initiative in diesem Tempo weiterarbeitet, kann es noch ewig dauern, bis die groß angekündigten Versprechen Wirklichkeit werden.

Es ist daher an der Zeit, dass Aldi, Lidl und Co endlich mit der konkreten Umsetzung beginnen und eine unabhängige Überprüfung ermöglichen. Nicht zuletzt muss sich auch Edeka als größter deutscher Supermarkt endlich dem Vorhaben anschließen, um den gemeinschaftlichen Ansatz nicht zu torpedieren. Denn je mehr Supermärkte sich mit ihrem Einkaufsvolumen beteiligen, desto eher gelingt ein erfolgreicher Start des Pilotprojekts im ecuadorianischen Bananensektor.

Wir bleiben dran!

Wir freuen uns über anregende Diskussionen, sachliche Kritik und eine freundliche Interaktion.

Bitte achten Sie auf einen respektvollen Umgangston. Auch wenn Sie unter einem Pseudonym schreiben sollten, äußern Sie bitte dennoch keine Dinge, hinter denen Sie nicht auch mit Ihrem Namen stehen könnten. In den Kommentaren soll jede*r frei seine Meinung äußern dürfen. Doch es gibt Grenzen, deren Überschreitung wir nicht dulden. Dazu gehören alle rassistischen, rechtsradikalen oder sexistischen Bemerkungen. Auch die Diffamierung von Minderheiten und Randgruppen akzeptieren wir nicht. Zudem darf kein*e Artikelautor*in oder andere*r Kommentator*in persönlich beleidigt oder bloßgestellt werden.

Bitte bedenken Sie, dass Beleidigungen und Tatsachenbehauptungen auch justiziabel sein können. Spam-Meldungen und werbliche Einträge werden entfernt.

Die Verantwortung für die eingestellten Kommentare sowie mögliche Konsequenzen tragen die Kommentator*innen selbst.