„Die Geber, die heute in Genf zusammenkommen, um dem Jemen Unterstützung zuzusagen, müssen sicherstellen, dass genügend Mittel zur Verfügung gestellt werden. Es bedarf lebenswichtiger Nahrungsmittel, Wasser und Medikamente, um die Grundbedürfnisse der Menschen zu decken“, sagt Oxfams Landesdirektor im Jemen, Muhsin Siddiquey. Denn  die Lage ist weiterhin dramatisch: Fast zehn Millionen Menschen sind nur einen Schritt von einer Hungersnot entfernt. Seit der Eskalation des Konflikts im Jahr 2015 sind die Lebensmittelpreise in die Höhe geschnellt, während die Haushaltseinkommen gesunken sind. In dieser höchst angespannten Situation sind Grundnahrungsmittel für viele unerreichbar.

Kindesheiraten, um den Hunger zu bekämpfen

Oxfam sprach mit geflüchteten Familien im nördlich gelegenen Gouvernement Amran, die so stark Hunger litten, dass sie sich gezwungen sahen, ihre jungen Töchter – in einem Fall erst drei Jahre alt – zu verheiraten. Die Eltern des Mädchens gaben an, sich nur mit dem dafür erhaltenen Geld Nahrung und eine Unterkunft für den Rest ihrer Familie leisten zu können. Obwohl frühes Heiraten im Jemen schon lange üblich ist, ist es schockierend, dass Mädchen in so jungen Jahren verheiratet werden, weil ihre verzweifelten Angehören keine andere Möglichkeit sehen, um sich Lebensmittel kaufen zu können. Jüngeren Mädchen bleibt es in der Regel erspart, die Ehe zu vollziehen, bis sie elf Jahre alt sind. Vorher sind sie jedoch dazu bestimmt, Hausarbeit in der Wohnung ihres Mannes zu erledigen.

Muhsin Siddiquey erklärt: „Im Laufe dieses Krieges sind die Menschen immer verzweifelter geworden. Sie sehen sich gezwungen, Schritte zu unternehmen, die das Leben ihrer Kinder jetzt und in den kommenden Jahrzehnten zerstören. Dies ist eine direkte Folge einer menschengemachten humanitären Katastrophe, die durch den Krieg verursacht wurde.“

Menschen verschulden sich, um Nahrung und Medikamente zu kaufen

Die Kämpfe haben viele Familien gezwungen, in abgelegene Gebiete zu fliehen, in denen es an grundlegender Infrastruktur mangelt: ohne Schulen, Wasserversorgungsnetze, angemessene Abwasserbeseitigungsanlagen oder Gesundheitszentren. Ende vergangenen Jahres führte Oxfam Umfragen unter Menschen in dem im südlichen Jemen gelegenen Taiz durch: 99 Prozent gaben an, dass die Erwachsenen in ihren Familie zugunsten ihrer Kinder selbst weniger essen würden; 98 Prozent hatten die Zahl der Mahlzeiten, die sie jeden Tag aßen, reduziert. Mehr als die Hälfte sagte, sie hätten sich Essen von Freunden oder Verwandten geliehen. Fast zwei Drittel der Menschen gaben an, sich verschuldet zu haben. In fast allen Fällen ging es darum, Lebensmittel, Medikamente oder Wasser zu kaufen.

Oxfam fordert Waffenstillstand und einen dauerhaften Frieden

„Nur ein Ende des Konflikts kann die Abwärtsspirale stoppen, die die Menschen zwingt, verzweifelte Maßnahmen zu ergreifen. Alle Kriegsparteien und ihre Unterstützer müssen sich zu einem kompletten und landesweiten Waffenstillstand verpflichten und konkrete Schritte zu einem dauerhaften Frieden unternehmen“, sagt Muhsin Siddiquey.

 

Redaktionelle Hinweise:

  • Ein Beispiel für aktuelle Kindesheiraten im Jemen ist die neunjährige Hanan (Name geändert), die früher zur Schule ging, dies seit ihrer Heirat aber nicht mehr darf: „Meine Schwiegermutter schlägt mich immer wieder, und wenn ich zurück zum Haus meines Vaters laufe, schlägt mich auch mein Vater immer wieder, weil ich weggelaufen bin. Ich will nicht verheiratet sein. Ich will nur wieder zur Schule gehen“, sagte Hanan. Ihre Eltern, die auch ihre dreijährige Schwester verheiratet haben, gaben an zu wissen, dass es falsch sei, ihre Töchter in einem so jungen Alter zu verheiraten. Sie hätten aber keine Wahl gehabt, weil die dafür erhaltene Mitgift die einzige Möglichkeit sei, den Rest der Familie am Leben zu erhalten.