Die Analyse beruht auf einer gestern veröffentlichten Studie des Imperial College London, die belegt, dass es 599.300 Menschen das Leben gerettet hätte, wenn 40 Prozent der Bevölkerung in allen Ländern doppelt geimpft worden wären. Hätten die G7 die versprochenen Impfstoffspenden früher geliefert, wäre dieses Ziel erreichbar gewesen. Fast alle vermeidbaren Todesfälle traten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf.
Laut der PVA hat das Vereinigte Königreich seine Zusagen am deutlichsten verfehlt, nur 39 Prozent der versprochenen 100 Millionen Dosen sind tatsächlich angekommen. Das so genannte Team Europe hat nur 56 Prozent der zugesagten Dosen geliefert. Kanada hat bisher nur 30 Prozent der bis Ende 2022 versprochenen 50,7 Millionen Dosen geliefert, die USA nur 46 Prozent der bis Anfang 2023 zugesagten 1,2 Milliarden Dosen.
Außerdem deckt die Analyse von Oxfam und der PVA auf, dass die wohlhabenden Länder bereits damit begonnen haben, die nächste Generation von COVID-19-Impfstoffen zu horten. Daten von Airfinity zu Lieferverträgen mit Moderna und Pfizer/Biontech legen nahe, dass schon über die Hälfte (55 Prozent) der für 2022 veranschlagten Produktion von Ländern mit hohem Einkommen aufgekauft wurde. Wirtschaftlich benachteiligte Länder dagegen werden vermutlich – wie bereits vergangenes Jahr – kaum Impfstoffe abbekommen.
Mittlerweile haben die wohlhabenden Länder, angeführt von der EU und Großbritannien, den 2020 von Südafrika und Indien bei der WTO eingebrachten Antrag auf Freigabe der geistigen Eigentumsrechte für COVID-19-Technologien blockiert. Stattdessen wurde ein Alternativantrag durchgesetzt, der Medikamente, Tests und Technologien außen vorlässt und der es wirtschaftlich benachteiligten Ländern weiter unmöglich macht, eine lokale Produktion aufzubauen. Oxfam und die PVA halten es für einen systemischen Fehler, wenn einkommensschwache Länder auf Spenden angewiesen sind, um ihre Bevölkerung zu impfen. Dieses Modell führt zu Vertrauensverlust und Frustration.
Max Lawson, Leiter Soziale Ungleichheit bei Oxfam International und Co-Vorsitzender der PVA, erklärt: „Die wohlhabenden Länder haben den Globalen Süden in Sachen COVID-19-Impfstoffe vollständig hintergangen. Zuerst haben sie den kompletten Bestand aufgekauft, dann haben sie versprochen zu spenden, was sie nicht mehr brauchen, und schließlich haben sie nicht einmal diese Zusagen eingehalten.“
„Jetzt sind die wohlhabenden Staaten schon wieder dabei, auch die Omikron-spezifischen Impfstoffe zu horten, während die Menschen in einkommensschwachen Ländern neuen Varianten mit den alten, weniger effektiven Impfstoffen begegnen müssen. Der einzige Weg, das zu verändern, besteht darin, die Länder zu berechtigen, ihre eigene Produktion aufzubauen und ihnen die dafür nötigen Technologien bereitzustellen.“
Julia Kosgei, Gesundheitsreferentin der PVA, erklärt: „Hundertausende Menschen in Afrika wurden durch die Impfstoffe gerettet, aber es hätten noch viel mehr Todesfälle verhindert werden können. Viele Länder haben ein Jahr auf die ersten Dosen gewartet, dann alle auf einmal bekommen, oft kurz vor dem Verfallsdatum. So lässt sich keine sinnvolle Impfkampagne durchführen, zumal in Ländern mit Gesundheitssystemen, die ohnehin schon jenseits der Belastungsgrenze arbeiten.“
Oxfam ist Teil der People’s Vaccine Alliance, einem Bündnis von fast 100 Organisationen, das sich für die Aussetzung der Patentrechte auf COVID‑19-Impfstoffe einsetzt.