Jahrelang haben wir dafür gekämpft, nun ist es endlich durch den Bundestag: Das Lieferkettengesetz. Das ist ein Meilenstein für den Schutz von Menschenrechten und Umwelt. Denn erstmals werden deutsche Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, Menschenrechte in ihrer Lieferkette zu achten.

Doch worum geht es genau bei dem Gesetz, welche Schwachstellen hat es und wie geht es jetzt weiter? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

1. Warum brauchen wir ein Lieferkettengesetz in Deutschland?
2. Was regelt das Lieferkettengesetz?
3. Was sind die Stärken des Gesetzes?
4. Was sind die Schwachstellen des Gesetzes?
5. Was muss sich verbessern?
6. Wie geht es jetzt weiter?
7. Gibt es in anderen Ländern schon ein Lieferkettengesetz?
8. Warum richtet sich das Gesetz besonders gegen Menschenrechtsverstöße im Ausland?
9. Welche Folgen hat ein Lieferkettengesetz für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen?
10. Was ist mit den Produktionsländern? Sind sie nicht für die gesetzlichen Regeln verantwortlich?

1. Warum brauchen wir ein Lieferkettengesetz in Deutschland?

Das Gesetz ist die Antwort auf brennende Fabriken, zerstörte Regenwälder und ausbeuterische Kinderarbeit, an denen auch deutsche Unternehmen durch ihre Auslandsgeschäfte in den letzten Jahren direkt oder indirekt beteiligt waren.

Jeder dieser Vorfälle hat aufs Neue verdeutlicht, dass freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft nicht ausreichen. Denn trotz wiederholter Ankündigungen, sich zu bessern, verletzen auch deutsche Unternehmen immer wieder grundlegende Menschenrechte in ihren globalen Lieferketten und schädigen die Umwelt. Dies hat Oxfam in zahlreichen Studien zum Bananenanbau in Ecuador, Ananasanbau in Costa Rica, zu Wein aus Südafrika und Tee aus Indien aufgezeigt.

Das Gesetz bedeutet deswegen einen Paradigmenwechsel: Es bricht mit dem Prinzip der Freiwilligkeit und verpflichtet Unternehmen erstmals zum verbindlichen Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Lieferketten. Damit bleiben skrupellose Geschäftspraktiken nicht länger ohne rechtliche Konsequenzen.

2. Was regelt das Lieferkettengesetz?

Das neue Lieferkettengesetz tritt im Januar 2023 in Kraft und gilt zunächst für Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeiter*innen, ab 2024 dann auch für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter*innen mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland.

Mit dem Gesetz müssen diese Unternehmen erstmals darauf achten, dass entlang ihrer internationalen Lieferketten keine menschenrechtlichen Standards verletzt werden. Allerdings sind Unternehmen zunächst nur für sich selbst und ihre direkten Zulieferer verantwortlich. Mittelbare Zulieferer, zum Beispiel ganz am Anfang der Lieferkette, müssen nur dann kontrolliert werden, wenn konkrete Hinweise für Menschenrechtsverletzungen vorliegen.

Die Einhaltung der im Gesetz verankerten Sorgfaltspflichten wird durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) behördlich kontrolliert. Verstöße sollen mit Bußgeldern geahndet werden. Ab einer Bußgeldhöhe von 175.000 Euro ist zudem ein Ausschluss von öffentlichen Aufträgen vorgesehen.

3. Was sind die Stärken des Gesetzes?

Das Gesetz umfasst eine Reihe von Punkten, die zu einer größeren menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfalt von Unternehmen in ihren Lieferketten beitragen können:

  • Es leitet in Deutschland einen dringend notwendigen Paradigmenwechsel ein: weg von freiwilligen Selbstverpflichtungen hin zu rechtsverbindlichen Vorgaben für Unternehmen. 

  • Es legt Sorgfaltspflichten fest, die sich an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP) orientieren und grundsätzlich die gesamte Lieferkette erfassen.

  • Unternehmen werden auch umweltbezogene Pflichten auferlegt.

  • Die Durchsetzung wird durch eine solide behördliche Kontrolle sichergestellt, die Verstöße sanktioniert.

4. Was sind die Schwachstellen des Gesetzes?

Das Gesetz ist ein politischer Kompromiss und weist als solcher an entscheidenden Stellen Schwächen auf:

  • Die Reichweite der Sorgfaltspflicht, die Beteiligung von Betroffenen an entsprechenden Verfahren sowie deren Recht auf Wiedergutmachung unterläuft zum Teil die Vorgaben der Vereinten Nationen.

  • Umweltaspekte werden nur marginal berücksichtigt. Es fehlt eine eigenständige umweltbezogene Sorgfaltspflicht, die auch Klima und Biodiversität explizit schützt.

  • Es wird keine rechtliche Grundlage geschaffen, mit der Betroffene einfacher Schadensersatz für erlittene Schäden vor deutschen Gerichten einklagen können.

5. Was muss sich verbessern?

Das aktuelle Gesetz ist nur ein Lieferkettengesetz light. Deshalb muss das Gesetz nachgeschärft werden, sodass von Anfang an die gesamte Lieferkette in den Blick genommen wird. Ebenso sollte ein Schadensersatzanspruch mit Klagemöglichkeit für Betroffene explizit aufgenommen werden. Im Falle von konkreten Rechtsverletzungen sollten Unternehmen nicht nur dazu verpflichtet werden, Abhilfe zu schaffen, sondern gegebenenfalls auch Wiedergutmachung leisten müssen.

Ein solches Lieferkettengesetz würde Unternehmen dazu verpflichten, menschenrechtliche Risiken auch am Anfang ihrer Lieferketten zu erfassen. Sie müssten dann auch dort entsprechend vorsorgende Maßnahmen ergreifen, um Rechtsverletzungen zu vermeiden.

In der abgeschwächten Variante der Bundesregierung müssen Unternehmen am Anfang der Lieferkette nur bei konkreten Hinweisen auf Menschenrechtsverletzungen (bei sogenannter “substantiierter Kenntnis”) tätig werden. Also erst dann, wenn Rechte bereits nachweislich verletzt wurden.

Inwieweit das verabschiedete Gesetz einen Beitrag zur Verbesserung vor Ort bringen wird, bleibt abzuwarten.

6. Wie geht es jetzt weiter?

In den kommenden Monaten und Jahren werden wir die Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetzes kritisch begleiten und uns bei der neuen Bundesregierung für Nachbesserungen einsetzen. Zudem wollen wir die neuen geschaffenen Möglichkeiten nutzen, um beispielsweise den Rechtsschutz für Betroffene zu verbessern.

Und auch auf europäische Ebene gibt es viel zu tun. Denn auch in Brüssel wird derzeit über ein Lieferkettengesetz diskutiert. Erste Empfehlungen des Europäischen Parlaments für eine entsprechende Richtlinie gehen dabei weit über das deutsche Gesetz hinaus. Doch Teile der Wirtschaft laufen schon jetzt Sturm, um wirksame Regelungen zu verhindern. Wir werden deshalb auch hier für ein starkes Lieferkettengesetz kämpfen, das die Schwachstellen des deutschen Gesetzes behebt.

7. Gibt es in anderen Ländern schon ein Lieferkettengesetz?

Ein Blick ins Ausland macht deutlich: Auch in anderen Ländern gibt es Gesetze gegen Kinderarbeit, moderne Sklaverei und für die Achtung der Menschenrechte im Auslandsgeschäft:

  • In der EU wird derzeit über ein Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene diskutiert. Noch im Herbst will die EU-Kommission einen Vorschlag für eine europäische Richtlinie vorstellen. Aktuelle Empfehlungen des Europäischen Parlaments sind dabei deutlich ehrgeiziger als das deutsche Gesetz: So sind u. a. eine zivilrechtliche Haftungsregelung und vorbeugende Risikoanalysen für die gesamte Wertschöpfungskette vorgesehen.

  • Die EU hat für den Handel mit Holz und Mineralien aus Konfliktgebieten verbindliche Vorgaben erlassen, die Sorgfaltspflichten für Unternehmen vorschreiben.

  • Die Niederlande haben im Mai 2019 ein Gesetz gegen den Umgang mit Kinderarbeit verabschiedet, das Unternehmen zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf Kinderarbeit verpflichtet und Beschwerdemöglichkeiten und Sanktionen vorsieht.

  • Frankreich hat im Februar 2017 ein Gesetz zu Sorgfaltspflichten französischer Unternehmen verabschiedet. Das Gesetz verlangt von Unternehmen Sorgfaltsmaßnahmen und ermöglicht, die Unternehmen bei Verstößen dagegen zivilrechtlich zu belangen.

  • In Großbritannien verpflichtet ein Gesetz gegen moderne Formen der Sklaverei zur Berichterstattung und Maßnahmen gegen Zwangsarbeit.

  • In Australien gibt es seit 2018 ein Gesetz gegen Moderne Sklaverei.

  • Die USA legen Unternehmen seit 2010 verbindliche Vorgaben im Handel mit Materialien aus Konfliktgebieten auf.

8. Warum richtet sich das Gesetz besonders gegen Menschenrechtsverstöße im Ausland?

Auch hierzulande gibt es menschenrechtliche Missstände in der Wirtschaft, etwa im Baugewerbe, der häuslichen Pflege, der Fleischverarbeitung oder in der Gastronomie. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gelten in Deutschland allerdings verschiedene Gesetze, die Mensch und Umwelt schützen (zum Beispiel Regelungen zu Arbeitszeiten oder das Verbot gefährlicher Chemikalien). Bei Verstößen können Unternehmen belangt werden.

Ganz anders sieht es bei vielen Auslandstätigkeiten von Unternehmen aus. So ist etwa ein Schuhunternehmen bisher nicht verpflichtet zu prüfen, ob die Gerberei, von der es das Leder bezieht, giftige Abwässer ins Grundwasser leitet. In einigen Produktionsländern werden Mensch und Umwelt nicht ausreichend geschützt.

Um diese Lücke beim Schutz von Menschenrechten zu schließen, muss ein Gesetz die ganze Lieferkette umfassen. Das deutsche Lieferkettengesetz weist hier eine Schwachstelle auf, da es nur die direkten Zulieferer deutscher Unternehmen in vollem Umfang berücksichtigt. Diese sitzen aber oftmals selbst in Deutschland und nicht dort, wo es oft schwere Missstände wie Ausbeutung und Kinderarbeit gibt.

9. Welche Folgen hat ein Lieferkettengesetz für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen?

Bisher wurden Unternehmen, die verantwortungsbewusst handeln, wirtschaftlich benachteiligt. Denn gegenüber gewissenlos handelnden Konkurrenten tragen sie höhere Kosten, zum Beispiel weil sie existenzsichernde Löhne zahlen oder Umweltzerstörung vermeiden. Ein gesetzlicher Rahmen verhindert diesen Wettbewerbsnachteil. Mit dem Lieferkettengesetz sind alle Unternehmen einer bestimmten Größe dazu verpflichtet, sich an Menschenrechte und Umweltstandards zu halten.

Einige Studien belegen sogar, dass Unternehmen, die sich aktiv für Menschenrechte und Umweltschutz in ihren Lieferketten einsetzen, wirtschaftliche Vorteile daraus ziehen: Sie können oftmals leichter Investor*innen gewinnen oder qualifizierte Mitarbeiter*innen rekrutieren. Denn Anleger*innen und Arbeitnehmer*innen bevorzugen zunehmend verantwortungsvolle und nachhaltige Unternehmen. Auch sorgt ein solches Engagement für ein größeres Vertrauen bei Verbraucher*innen und verhindert, dass das Ansehen eines Unternehmens durch mögliche Skandale beschädigt wird.

Aus diesem Grund haben sich in den letzten Jahren eine Reihe von Unternehmen aktiv für ein eine gesetzliche Reglung ausgesprochen – dazu gehören zum Beispiel Vaude, Daimler, Tchibo oder BMW.

10. Was ist mit den Produktionsländern? Sind sie nicht für die gesetzlichen Regeln verantwortlich?

Jedes Land muss Gesetze schaffen und durchsetzen, damit Mensch und Umwelt nicht zu Schaden kommen.

Unsere Erfahrungen zeigen, dass der Schutz der Menschenrechte in Produktionsländern oft unzureichend gewährleistet wird – sei es durch die finanzielle Situation mancher Staaten, Machtgefälle im globalen Handelssystem oder Korruption z. B. bei Mitarbeitenden einer Kontrollbehörde.

Internationale Standards wie die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte machen klar, dass deutsche Unternehmen auch in diesen Fällen Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte in ihrer Lieferkette übernehmen müssen.

Ein wichtiger Faktor ist auch der internationale Standortwettbewerb. Denn niedrige Kosten machen ein Land als Standort für die Produktion internationaler Unternehmen attraktiv. Dadurch kann beispielsweise ein besserer gesetzlicher Schutz von Arbeitnehmer*innen negative Konsequenzen für die Wirtschaft eines Produktionslandes nach sich ziehen: Werden die Produktionskosten teurer – zum Beispiel durch die Einführung eines Mindestlohns – könnten transnationale Unternehmen daraufhin ihre Produktion in andere Staaten verlegen oder ihre Rohstoffe aus anderen Ländern beziehen, um Kostensteigerungen zu entgehen.

Verbindliche Regeln für Unternehmen kehren diese Logik um: Starke Umwelt- und Arbeitsgesetze werden zum Standortvorteil für Produktionsländer, nicht allein günstige Produktion.