Misso hält ihren kleinen Bruder Zee auf dem Arm. Seit Monaten harren sie in einer Flüchtlingsaufnahme in Griechenland aus. Gemeinsam mit ihrer Mutter und zwei weiteren Geschwistern flohen die Kinder aus ihrer Heimat in Syrien. Ihr Vater, der die gefährliche Flucht vor ihnen angetreten ist, befindet sich bereits in Deutschland. Dort wartet er verzweifelt auf seine Familie. Die Kinder vermissen ihren Vater, die Mutter ihren Ehemann. Doch ein baldiges Wiedersehen ist unwahrscheinlich. Der Grund: die restriktive Asylpolitik der EU/Bundesregierung.

Schicksale wie die von Misso und Zee sind kein Einzelfall. Derzeit warten Tausende geflüchtete Menschen in Deutschland auf ihre Familienangehörigen, die sie in Griechenland, Syrien oder der Türkei zurücklassen mussten. Die Bundesregierung stoppte im März 2016 für zwei Jahre den Nachzug von Familienangehörigen von Geflüchteten, die kein Asyl, sondern nur sogenannten „subsidiären Schutz“ erhalten haben – und das, obwohl das Recht auf Familie fest in der Europäischen Grundrechtecharte verankert ist. Diese unmenschliche Regelung reißt Familien auseinander und muss zurückgenommen werden, denn während ein Familienmitglied bereits in Sicherheit ist, befinden sich die Zurückgebliebenen in Not und Unsicherheit.

1. Wer hat Anspruch auf Familiennachzug?

Anspruch auf Nachzug von Familienangehörigen haben nach deutschem Recht grundsätzlich Bürger/innen eines Drittstaats, die in Deutschland aufenthaltsberechtigt sind. Darunter fallen u.a. anerkannte Asylbewerber/innen und Schutzberechtigte gemäß Genfer Flüchtlingskonvention, also Menschen, die aufgrund ihrer Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung individuell verfolgt werden.

Bis März 2016 gehörten auch „subsidiär Schutzberechtigte“ dazu, Menschen, denen in ihrer Heimat „ernsthafter Schaden“ durch Folter, Todesstrafe oder Kriegshandlungen (wie in Syrien) droht. Dann jedoch setzte die Bundesregierung den Anspruch auf Familiennachzug für Personen, die unter subsidiärem Schutz stehen, für zwei Jahre – also bis März 2018 – aus. Etwa gleichzeitig veränderte die Bundesregierung auch die bisher gültige Asylpraxis, um die Zahl der zum Familiennachzug berechtigten Personen zu reduzieren: Vor allem aus Syrien geflohene Menschen erhalten seit Anfang 2016 mehrheitlich statt Asyl nur noch subsidiären Schutz und besitzen daher in der Regel keinen Anspruch auf Familiennachzug.

2. Wer darf nachkommen beim Familiennachzug?

Die Regelungen zum Familiennachzug in Deutschland und in den meisten anderen Ländern beziehen sich auf einen sehr eng gefassten Familienbegriff. Darunter fallen Ehegatten sowie Eltern und ihre minderjährigen Kinder. Demnach darf ein minderjähriges Kind zu seinem Elternteil nachziehen, ein 18-jähriges Kind oder die Großeltern allerdings nicht. Oxfam fordert, dass grundsätzlich auch andere minderjährige und erwachsene Angehörige einbezogen werden, insbesondere, wenn sie von ihren antragstellenden Angehörigen abhängig sind und sonst nicht angemessen versorgt werden können.

3. Warum ist Familiennachzug wichtig?

Die Aussetzung des Familiennachzugs reißt Familien auseinander, lässt Kinder, Geschwister, Eltern oder Ehepartner in dramatischen Situationen zurück. Viele von ihnen haben extrem belastende Situationen durchlebt, sind durch schlimme Erlebnisse vor und während der Flucht traumatisiert. Enge Familienangehörige bei sich zu haben, kann bei der Bewältigung dieser Probleme enorm helfen. Hinzu kommt: Geflüchtete Menschen, die ihre Familienangehörigen bei sich haben, sind in der Regel sehr viel schneller und besser in der Lage, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und damit unabhängig von staatlicher Unterstützung zu werden. Daher stellt eine Förderung des Familiennachzugs längerfristig sogar eher einen wirtschaftlichen Gewinn als eine Belastung für das Aufnahmeland dar. Letztlich profitieren also alle von einem erleichterten Familiennachzug: die Menschen auf der Flucht, die wartende Familienangehörige und die aufnehmende Gesellschaft.

4. Was muss die Bundesregierung tun, um Familien wieder zu vereinen?

Das Recht auf Familie ist ein grundlegendes Menschenrecht und der Schutz des Familienlebens fest in der Europäischen Grundrechtecharte verankert. Oxfam fordert daher, dass Familien wie die von Misso wieder vereint werden. Mit der neuen Bundesregierung, die nach den Wahlen im Herbst gebildet wird, haben wir die Chance, das Blatt in der Flüchtlingspolitik Deutschlands zu wenden. Wir fordern von der neuen Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass geflüchtete Menschen als Familien zusammenleben können! Die Bundesregierung muss die Einschränkung des Familiennachzugs bei Menschen mit subsidiärem Schutz wieder zurücknehmen und darüber hinaus zulassen, dass auch Angehörige wie beispielsweise Großeltern oder erwachsene Geschwister mit einbezogen werden.

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