Seit mehr als vier Jahren leidet die Bevölkerung der Tschadsee-Region unter Gewalt, Vertreibung und Hunger. Ursprung der Krise: der Konflikt zwischen dem nigerianischen Staat und der bewaffneten Gruppierung Boko Haram. Dieser hat sich in den vergangenen vier Jahren intensiviert und nach Niger, Tschad und Kamerun ausgebreitet. 2,4 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Sie mussten all ihr Hab und Gut hinter sich lassen und stehen nun mit leeren Händen vor einer ungewissen Zukunft. Hinzu kommt ein Mangel an sauberem Wasser und Nahrungsmitteln. Allein in Borno, einem Bundesstaat im Nordosten Nigerias, leiden etwa 50.000 Menschen an Hunger.

Millionen Menschen in der Tschadsee-Region sind am Ende ihrer Kräfte. Viele sind bereits gestorben.

„Ich kämpfte darum, meine Tochter zu retten. Aber ich hatte nichts und sie hatten Waffen.“

Bevor Maryams Familie von bewaffneten Gruppen auseinandergerissen wurde, führte die 40-jährige Frau gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren vier Kindern ein recht gutes Leben. Maryam war Händlerin, ihr Ehemann Farmer. Die Erträge ihrer letzten Ernte: 10 Säcke gefüllt mit Erdnüssen, 40 Säcke voller Hirse und 30 Säcke Mais. Doch die Familie konnte nicht lange davon leben: bewaffnete Gruppen plünderten ihr komplettes Eigentum.

Zudem zwangen sie junge Männer dazu, ihnen beizutreten und entführten Mädchen. Maryams Tochter, die als Minderjährige zwangsverheiratet wurde, wurde von ihrem Ehemann unfreiwillig ins Camp der bewaffneten Gruppen gebracht. Maryam beschreibt die Situation: „Nachdem meine Tochter verheiratet wurde, verließ ihr Ehemann das Dorf, um 5 Monate lang in einem Camp im Busch zu leben. Er kam mit seinem Freund zurück, um seine Ehefrau, mein kleines Mädchen, gewaltsam in ihr Camp zu schleppen. Ich kämpfte darum, meine Tochter zu retten. Aber ich hatte nichts und sie hatten Waffen.“

Maryams Tochter konnte aus dem Camp fliehen. „Ich konnte mir nicht vorstellen, was meine Tochter in dieser Zeit durchmachen musste. Sie log ihren Ehemann an und erzählte ihm, dass ihr Vater krank sei und dass sie zurück musste, um ihn zu sehen. Sie erlaubten ihr, ihren Vater zu besuchen. Meine Tochter kehrte daraufhin nicht wieder ins Camp zurück”, so Maryam. Die Familie floh umgehend aus dem Dorf und reiste von Ort zu Ort, bis sie in einem Camp in Damboa Schutz fand.

Maryam mit ihrer Nähmaschine in einem Camp in Damboa in Nigeria
Maryam mit ihrer Nähmaschine in einem Camp in Damboa in Nigeria

„Im Camp hörte ich, wie Oxfam Frauen über ihre Rechte aufklärte. Ich war sofort interessiert und schloss mich dem örtlichen Gemeindekomittee zum Schutz der Zivilbevölkerung an“, erzählt Maryam. Die 16 Mitglieder informieren nun andere Frauen und Mädchen über ihre Rechte und schaffen sichere Begegnungsstätten, in denen sie ihre Anliegen vorbringen können.

Darüber hinaus ist sie daran beteiligt, andere Menschen für besseres Hygieneverhalten zu sensibilisieren: „Manche Dinge, die ich hier lernte, waren neu für mich. Obwohl wir sauberes Wasser aus drei Bohrlöchern haben und sich ein viertes gerade im Bau befindet – alle von Oxfam – wird uns auch noch beigebracht, wie wir Wasser behandeln können und wie wir Körper und Wasserbehälter sauber halten. In unserem Heimatdorf holten wir Wasser aus einem offenen Brunnen und benutzten es wie wir wollten.“

„Zwei meiner Kinder sind bereits gestorben.”

Andrew war ein tüchtiger Farmer: Vor der Krise in der Tschadsee-Region erntete er im Schnitt 200 Säcke Baumwolle, Bohnen und Hirse, die er im großen Stil verkaufte. Die große Familie – Andrew hat 17 Kinder und vier Ehefrauen – konnte gut davon leben.

Doch Unsicherheit und Gewalt veränderten alles. Sie zwangen nicht nur Andrews Familie, sondern auch viele andere dazu, ihre Heimat zu verlassen und nach Kamerun zu fliehen. In letzter Zeit jedoch kehren immer mehr Familien zurück in ihre Heimat unter der Annahme, dass es dort wieder sicher sei. So auch Andrew und seine Familie. Allerdings sind vor allem ländliche Gegenden noch immer unsicher. Andrew musste das am eigenen Leib erfahren. Auf dem Rückweg nach Pulka geriet er in einen Konflikt. Er wurde gefesselt und festgenommen. Der starke Druck der Fesseln führte dazu, dass seine Arme nicht mehr ausreichend durchblutet wurden. Er verlor beide Hände und den unteren Teil seiner Arme.

Andrew auf seiner Farm in Pulka mit seiner Frau und weiteren Familienmitgliedern
Andrew auf seiner Farm in Pulka mit seiner Frau und weiteren Familienmitgliedern

Nun kann er seiner Farmarbeit nicht mehr nachgehen. Seine 10 Kühe wurden von den bewaffneten Gruppen gestohlen, ebenso 75 Säcke mit Hirse, die die Familie in ihrer Heimat zurückließ. Um zu überleben, muss der einstige Farmer seinen restlichen Besitz verkaufen.

„Im Moment kann ich nichts tun. Ich kann meine Kinder nicht mehr versorgen. Zwei von ihnen sind bereits gestorben“, so Andrew. Doch obwohl die Familie viel durchmachen musste, blieb sie stark, hielt zusammen und lernte, sich den Herausforderungen anzupassen. Andrew wurde ausgewählt, am sogenannten „Unconditional Cash Programme“ teilzunehmen. Das Geld, das er von Oxfam erhält, investiert er in Saatgut, das während der Anbausaison gesät werden kann. Er ist dankbar, dass Oxfam ihn und seine Familie unterstützt. Die ganze Familie packt nun auf dem Feld mit an. Darüber hinaus können seine Kinder weiterhin studieren und das, obwohl viele Bildungseinrichtungen in Pulka zerstört wurden.

„Zwei Tage lang wussten wir nicht, ob mein Bruder tot war.“

Auch Hassana musste mit ihren zwei Kindern aus ihrer Heimat fliehen. Das Dorf, in dem sie lebten, wurde immer wieder von gewalttätigen Gruppen heimgesucht. Sie versuchten, Jungen und Männer für ihre Gruppen zu rekrutieren. Weigerten sich die potentiellen Anhänger, wurden sie oftmals getötet. Hassana berichtet vom tragischen Tod ihres Bruders: „Sie versuchten meinen Bruder für ihre Gruppe zu gewinnen, er aber weigerte sich. Sie schleppten ihn aus dem Dorf und töteten ihn. Zwei Tage lang wussten wir nicht, ob mein Bruder tot war.“

Nachdem das Dorf immer wieder angegriffen wurde, haben sich die Mitglieder der Gemeinde darauf geeinigt, an einen sicheren Ort zu fliehen. „So kamen wir hierher. Hier fühlen wir uns sicher, da wir uns in der Nähe des Militärs befinden. Allerdings trauere ich auch über meine Verluste: Mein Bruder, der ermordet wurde, meine Nichte, die ich vielleicht nie wieder sehen kann, und mein Ehemann, der erblindete“, erklärt Hassana. Sie glaubt, dass er blind wurde, weil er zu viel über das Erlebte nachdachte.

Hassana flechtet die Haare ihrer Tochter in einem Camp in Damboa in Nigeria
Hassana flechtet die Haare ihrer Tochter in einem Camp in Damboa in Nigeria

Trotz allem Elend, dem sie ausgesetzt war, bleibt Hassana stark. Auch sie ist Teil des örtlichen Gemeindekomitees zum Schutz der Zivilbevölkerung, in dem sie andere über ihr Recht auf Sicherheit und Würde als Binnenvertriebene der aufnehmenden Gemeinschaft aufklärt. Hassana erzählt: „Als ich ins Camp kam, war Oxfam die erste Hilfsorganisation, die uns unterstützte.“ Oxfam baute Brunnen und installierte Latrinen und Duschen. „Das motivierte mich, dem Gemeindekomitee beizutreten. So kann ich Menschen unterstützen, denen es wie mir geht. “

Oxfams Arbeit

Obwohl die nigerianischen Regierungstruppen Gebiete von Boko Haram zurückerobert haben, bleibt die Sicherheitslage angespannt. Anhaltende Gewalt in diesen Gebieten behindern Oxfam und andere Hilfsorganisationen dabei, die notleidenden Menschen zu erreichen. Einige Gebiete sind wegen andauernder Kämpfe – oder weil sie von Boko Haram kontrolliert werden – noch immer unzugänglich für humanitäre Organisationen.

Für Flüchtlinge und Binnenvertriebene leistet Oxfam akute Nothilfe. Flüchtlingscamps und aufnehmende Gemeinden werden beispielsweise mit Wasser- und Sanitäranlagen ausgestattet. Dadurch konnte die Lebenssituation vieler Menschen wie die von Andrew, Maryam und Hassana verbessert werden. Insgesamt konnten wir bereits mehr als 500.000 Menschen erreichen. Doch ohne zusätzliches Geld und den dringend nötigen Zugang zu Gebieten, in denen Menschen von Hilfslieferungen abgeschnitten sind, werden Hunger und Mangelernährung zunehmen, was viele Menschen das Leben kosten könnte.

Um dem entgegenzuwirken, benötigen wir Ihre Unterstützung! Unser Ziel ist es, bis nächstes Jahr 850.000 Menschen mit humanitärer Hilfe zu erreichen.

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