Ohne angemessenen Schutz müssen Hunderte schwangere Frauen, unbegleitete Kinder und Folterüberlebende in den überfüllten Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln ausharren. Mangelndes Personal und fehlerhafte Verfahren führen dazu, dass das System zum Schutz dieser besonders bedürftigen Menschen versagt. Das zeigt ein neuer Oxfam-Bericht.

Unzumutbare Zustände

Zu wenig Personal

Dem Bericht zufolge gab es auf der Insel Lesbos im vergangenen Jahr nur einen einzigen von der Regierung bestellten Arzt. Dieser war für die Untersuchung von bis zu 2.000 Geflüchteten zuständig, die dort jeden Monat ankamen. Im November war überhaupt kein Arzt vor Ort, um die medizinischen Untersuchungen zur Identifizierung von besonders schutzbedürftigen Menschen durchzuführen. Die Verfahren sind zudem äußerst undurchsichtig und wurden alleine im vergangenen Jahr drei Mal verändert.

Eine Frau trägt ihr Kind in einem Flüchtlingscamp
Nach griechischem und europäischem Recht gelten als besonders schutzbedürftige Menschen unter anderem unbegleitete Kinder, Schwangere, Frauen mit Kleinkindern, Menschen mit Behinderungen und Folterüberlebende.

Mütter wurden bereits vier Tage nach einer Geburt mit Kaiserschnitt aus dem Krankenhaus weggeschickt und mussten fortan in Zelten leben.

Psychisch Kranke und weitere gefährdete Personen werden häufig eingesperrt. In einem Fall wurde ein 28-jähriger Asylbewerber aus Kamerun aufgrund seiner Nationalität fünf Monate eingesperrt, obwohl er ernste psychische Probleme hatte. Niemand überprüfte seine körperliche und geistige Gesundheit, bevor er inhaftiert wurde, und es dauerte einen Monat, bis er einen Psychologen aufsuchen konnte. „Nur zwei Stunden am Tag durften wir den Container verlassen. Den Rest der Zeit sitzt man auf engstem Raum mit 15 anderen Männern, die alle ihre eigenen Probleme haben“, berichtet der Mann.

Gewalt in überfüllten Camps

Geflüchtete, die sexualisierte Gewalt und andere Traumata erleiden mussten, sind hohen Belastungen ausgesetzt. Im Camp Moria in Lesbos gibt es regelmäßig gewalttätige Auseinandersetzungen. Zwei Drittel der Bewohner*innen geben an, sich nicht sicher zu fühlen.

Zudem ist das Camp Moria, ein sogenannter EU-Hotspot, hoffnungslos überfüllt. Nach Angaben des UNHCR lebten Anfang Dezember 2018 knapp 5.000 Migranten im Camp Moria in Lesbos, was fast der doppelten Zahl der offiziellen Kapazität von 3.100 Plätzen entspricht. Weitere 2.000 Menschen lebten in einem Überlaufcamp neben Moria, dem sogenannten Olivenhain.

Heftige Regenfälle und drohende Minusgrade

Der Winter hat Lesbos heftigen Regen beschert, der die Zeltbereiche der Camps in ein schlammiges Sumpfgebiet verwandelten. Es wird erwartet, dass die Temperatur bald unter den Gefrierpunkt rutscht und Schnee fällt. Um sich warm zu halten, verbrennen die Menschen alles, was sie finden können, einschließlich Plastik, und nehmen gefährliche improvisierte Heizungen in ihre Zelte.

Ein Schuh liegt im Matsch
Das Camp Moria in Lesbos, Griechenland: Der Winter hat heftigen Regen beschert, der die Zeltbereiche in ein schlammiges Sumpfgebiet verwandelte.

Absolut unverantwortlich

Es ist absolut unverantwortlich, diese besonders schutzbedürftigen Menschen alleine zu lassen. Die griechische Regierung und ihre europäischen Partner haben die Aufgabe und Pflicht sicherzustellen, dass die Bedürfnisse dieser Menschen erkannt und berücksichtigt werden. Lokale Behörden und Hilfsorganisationen unternehmen viel, um die Bedingungen in diesen Camps zu verbessern. Doch dies ist kaum möglich, solange die Politik darauf zielt, die Menschen auf unbestimmte Zeit auf den Inseln gefangen zu halten.

Die Politik muss handeln

Oxfam fordert die griechische Regierung und die EU-Mitgliedstaaten auf, mehr Fachpersonal, darunter Ärzt*innen und Psycholog*innen, einzusetzen und das System zur Identifizierung besonders schutzbedürftiger Menschen auf den griechischen Inseln zu verbessern. Außerdem müssen regelmäßig mehr Asylbewerber*innen auf das griechische Festland überstellt werden, insbesondere die besonders Schutzbedürftigen.

Wir fordern zudem die EU-Mitgliedstaaten auf, mehr Verantwortung für die Aufnahme von Geflüchteten zu übernehmen, indem sie die Dublin-Verordnung im Einklang mit den vom Europäischen Parlament geforderten Eckpunkten reformieren.

Oxfam ist vor Ort

Oxfam arbeitet seit 2015 in Lesbos, um die Menschen vor Ort zu unterstützen. Hauptsächlich gewährleisten wir den Schutz von Asylbewerber*innen. Dazu gehören Schulungen von Multiplikator*innen, Workshops für Frauen sowie Rechtshilfe und soziale Unterstützung für Asylbewerber*innen, die durch lokale Partnerorganisationen erfolgen.

Seit März 2017 konnten wir allein in Lesbos mehr als 7.000 Menschen unterstützen.

Weltweit unterstützen wir mit rund 3.600 lokalen Partnern Menschen in über 90 Ländern.

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Den englischen Bericht „Vulnerable and Abandoned“ können sie hier herunterladen:

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