Hinweis: Diese Artikel ist aus dem Jahr 2019 – es gibt eine aktuellere Nachricht von 2020 über die unbezahlte Arbeit, die Frauen leisten.

„Die Leute sagen: Mädchen gehören in die Küche. Das muss sich ändern“, sagt Sulemana Shukura. Seit zwölf Jahren unterrichtet sie an einer Schule in Ghana. Ihr Ziel: Mädchen sollen – ebenso wie Jungs – den Unterricht besuchen und einen Abschluss machen können. „Jedes Mädchen hat Potenziale. Gerade hat eine meiner Schülerinnen die Universität abgeschlossen. Und ich arbeite hart daran, noch mehr zu erreichen.“

Die Situation in Sulemana Shukuras Schule ist nur eine von vielen Facetten der Benachteiligung von Mädchen und Frauen weltweit. Und traditionelle Rollenbilder sind nur eine Ursache. Die Hindernisse auf dem Weg von Frauen und Mädchen zu gleichen Chancen und Rechten, wie sie der männliche Teil der Weltbevölkerung hat, zu gleichen Lebensbedingungen und Besitzverhältnissen sind vielfältig.

Schuften zu Lasten der eigenen Zukunft

Fehlt es an öffentlich finanzierten sozialen Grunddiensten, an Kranken- und Altenpflege zum Beispiel oder an Betreuungseinrichtungen für Kinder, sind es meist die Frauen, die diesen Mangel ausgleichen müssen. Überall auf der Welt übernehmen vor allem sie jene Arbeit, für die es keine Bezahlung gibt: Sie kümmern sich um die Kinder, pflegen kranke und alte Familienangehörige, sie putzen, waschen, kochen. Sie gleichen oft auch fehlende Infrastruktur aus: Wo es keine Trinkwasser- und Stromversorgung gibt, sind es Frauen und Mädchen, die Wasser holen und Holz sammeln.

„Frauen leisten weltweit bis zu zehnmal so viel unbezahlte Pflege- und Sorgearbeit wie Männer. Das geht oft zu Lasten der eigenen Zukunftschancen“, sagt Pia Schwertner, Koordinatorin der Kampagne gegen soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland. „Besonders betroffen sind Frauen aus armen Familien. Wer stundenlang laufen muss, um Wasser zu bekommen, wer Kranke pflegen und Kinder versorgen muss, hat keine Zeit, einer Erwerbsarbeit nachzugehen.“

Ein Teufelskreis, der für viele Mädchen schon im Kindesalter beginnt. Anstatt zur Schule zu gehen, müssen sie ihren Müttern helfen. Ohne Schulbildung fehlt ihnen jedoch nicht nur die Zeit, sondern auch die Qualifikation, um später eine fair bezahlte Arbeit zu finden.

Trinkwasserversorgung ermöglicht Schulbesuch von Mädchen

Die Provinz Bujumbura Rural, ein hügeliges Gebiet rund um Burundis Hauptstadt Bujumbura, ist hierfür ein Beispiel. Bis Oxfams Partner, die Organisation d’Appui a l’Autopromotion, hier 2016 eine Trinkwasserversorgung für mehr als 11.000 Menschen baute, mussten Mädchen und Frauen mehrere Kilometer täglich über steile Bergpfade laufen, um Wasser aus Flüssen und dem Tanganyikasee zu holen. „Die Belastung ist jetzt deutlich geringer – vor allem für Mädchen“, sagt Chantal Bizimana, eine der Bewohnerinnen der Provinz. „Sie mussten sich ums Wasser kümmern und mit anpacken, während die Jungs zur Schule gingen.“

Eine Erfahrung, die Nachbarin Gloriose Hatungimana bestätigt: „Früher habe ich jeden Tag zwei Stunden mit Wasserholen verbracht. Meine Tochter musste mir oft helfen und konnte nicht zur Schule. Heute habe ich nach der Arbeit auf dem Feld Zeit, Bananenwein zu brauen und so Geld zu verdienen. Und meine Tochter geht jetzt regelmäßig in die Schule.“

Schulgebühren als Hindernis

Viele andere Mädchen jedoch können nicht zur Schule gehen. Allein in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara besuchen 97,3 Millionen Kinder keine Schule – 52 Millionen von ihnen Mädchen. Oft verhindern Schul- und Studiengebühren, dass Kinder aus armen Familien den Unterricht besuchen. Zudem mangelt es in vielen Ländern weltweit öffentlichen Schulen an Ausstattung und Personal. Soziale Ungleichheit wird so verschärft.

Ein Beispiel: In Kenia stehen die Chancen für einen Junge aus einer reichen Familie eins zu drei, nach dem mittleren Schulabschluss weiter eine Bildungseinrichtung zu besuchen, etwa zu studieren. Für ein Mädchen aus einer armen Familie liegt diese Chance bei eins zu 250.

Potenzielle Ärtzinnen sammeln Brennholz

Der Bericht „Public Good or Private Wealth“ („Gemeinwohl oder Privatvermögen“), den Oxfam im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums in Davos veröffentlicht hat, bringt es auf den Punkt: „Statt ihre Fähigkeiten zu entfalten und zur Lösung von Menschheitsproblemen einzusetzen, holen potenzielle Ärztinnen, Lehrerinnen und Unternehmerinnen Wasser oder sammeln Brennholz.“

Nellie Kumambala, Lehrerin im malawischen Lumbadzi, kennt das Problem nur zu gut, ihre Schüler*innen kommen aus sehr armen Familien. Von einem Studium können sie nur träumen. „Ich erinnere mich an Chimwemwe Gabisa – sie war brillant in Mathematik, sie war die Beste, die ich gelehrt habe. Sie beendete die Sekundarschule, konnte aber nicht zur Hochschule gehen, weil das Geld fehlte.“

Nellie Kumambala, Lehrerin aus Malawi
Nellie Kumambala, Lehrerin aus Malawi

Aminata Sawadogo aus Burkina Faso hat es geschafft, den Teufelskreis zu durchbrechen: Als die fünffache Mutter vor einigen Jahren im Losverfahren zwei Parzellen Land gewann, begann sie, dort Reis anzubauen. Gemeinsam mit anderen Frauen hat sie sich zu einer Kooperative zusammengeschlossen – einer von zehn Reis-Kooperativen mit insgesamt 3.400 Frauen, die Oxfams Projektpartner UNERIZ angehören.

In Weiterbildungen hat sie gelernt, Anbau, Veredelung und Verkauf profitabel zu machen. „Das Geld, das mir die Parboiled-Reis-Produktion bringt, ermöglicht mir viel“, sagt Aminata Sawadogo. „Ich kann Kleidung kaufen, Medizin und Arztbesuche bezahlen und ich kann das Schulgeld für meine Kinder aufbringen.“

Aminata Sawadogo, Reisbäuerin aus Burkina Faso
Aminata Sawadogo, Reisbäuerin aus Burkina Faso
 

Politik ist gefragt

„Frauen weltweit dabei zu unterstützen, ihr Einkommen selbst zu erwirtschaften, ist ein wichtiger Beitrag, um echte Gleichstellung zu erreichen“, sagt Pia Schwertner. „Und hier ist vor allem die Politik gefragt. Weltweit klagen Regierungen über leere Kassen, sobald es um öffentliche Bildung, Gesundheitsversorgung und soziale Sicherung geht. Gleichzeitig dulden sie, dass sich Konzerne und Vermögende ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entziehen, indem sie Gewinne in Steueroasen verschieben oder kleinrechnen. Allein armen Ländern entgehen dadurch jedes Jahr mindestens 100 Milliarden US-Dollar.“

Dabei ist Geld genug da: Würde weltweit das reichste Prozent der Bevölkerung nur 0,5 Prozent zusätzliche Steuern auf sein Vermögen bezahlen, könnten alle 262 Millionen Kinder, die bisher nicht zur Schule gehen, den Unterricht besuchen.

Geld, von dem auch die Schulen von Sulemana Shukura in Ghana und Nellie Kumambala in Malawi profitieren könnten. „Ich zahle jeden Monat Steuern auf mein kleines Gehalt. Ich verstehe nicht, warum Menschen, die alles haben, ihre Steuern nicht zahlen,“ sagt Nellie Kumambala. „Mit mehr Geld könnte an unserer Schule viel gemacht werden. Wir könnten den Schülern Frühstück anbieten. Wir könnten ihnen Bücher und Schuluniformen zur Verfügung stellen. Das würde ihre Startchance ins Leben deutlich verbessern.“

Das fordert Oxfam

Deutschland und die EU müssen Frauenrechte global stärken, indem sie alle Entwicklungsprogramme geschlechtergerecht gestalten und Frauenorganisationen finanziell stärker fördern.

Weltweit müssen Regierungen mehr in gebührenfreie, öffentliche Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung investieren. Nur so kann der Zugang zu Bildung und Gesundheit für alle Menschen gewährleistet werden – unabhängig von ihrem Geschlecht.

Um Investitionen in soziale Gerechtigkeit zu finanzieren, braucht es eine gerechte Steuerpolitik: Regierungen müssen Konzerne und Vermögende angemessen besteuern und Steuerschlupflöcher schließen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Frühjahrsausgabe 2019 der EINS.