Wie sich der Preisdruck der Supermärkte für die Saisonarbeiter*innen auf dem Feld anfühlt, zeigt die neue Oxfam-Studie „‚Das hier ist nicht Europa.‘ Ausbeutung im Spargel-, Erdbeer- und Gemüseanbau in Deutschland“.
Schimmel-Zimmer zu Penthouse-Preisen
Die Ergebnisse der Recherche sind erschreckend. Mit allerlei Tricks versuchen die Höfe, die tatsächlichen Löhne der Saisonarbeiter*innen zu drücken – zum Beispiel durch horrende Lohnabzüge für die Unterkunft. Arbeiter*innen zahlen für einfachste Gemeinschaftsunterkünfte mehr als die Durchschnittsmieten deutscher Großstädte. Für eine Baracke ohne Küche verlangt einer der Betriebe 40 Euro pro Quadratmeter. Die durchschnittliche Kaltmiete in der Münchner Innenstadt liegt bei 23 Euro.
Besonders ein Betrieb in Brandenburg erweist sich als skandalös: Die Unterkünfte gleichen Baracken, in den Zimmern wächst Schimmel. Eine Küche gibt es nicht, gekocht wird auf mobilen Herdplatten. „Das hier ist nicht Europa“, resümiert ein befragter Arbeiter. Supermarktgigant Edeka pries derweil „Unterkünfte mit Hotelcharakter“ an.
Zehn Stunden schwere und monotone körperliche Arbeit sind Alltag
Viele Arbeiter*innen sind mit einer kaum durchschaubaren Kombination aus Stunden- und Akkordlöhnen konfrontiert und berichten von schwer oder gar nicht erreichbaren Zielvorgaben. „Das sind keine Einzelfälle. Beschäftigte klagen regelmäßig über falsche Angaben bei der Arbeitszeiterfassung, wodurch sie mehr arbeiten müssen, als sie bezahlt bekommen”, sagt Benjamin Luig von der Initiative Faire Landarbeit. „Zehn Stunden schwere und monotone körperliche Arbeit sind Alltag in der deutschen Landwirtschaft. Aber Lohndumping und massiver Leistungsdruck dürfen kein Geschäftsmodell sein!“ Mitgliedsorganisationen der Initiative Faire Landarbeit beraten deutschlandweit Saisonarbeiter*innen zu ihren Arbeitsrechten.
Kündigung bei Krankheit
Die Studie belegt auch die unzureichende Versicherung der Arbeiter*innen. Die meisten haben keinen umfassenden Krankenversicherungsschutz oder geben an, gar nicht versichert zu sein. Ein Großteil wird über das Modell der kurzfristigen Beschäftigung angestellt. Für diese Arbeiter*innen schließen Betriebe meist private Gruppen-Krankenversicherungen ab, die ein weit geringeres Leistungsspektrum als gesetzliche Versicherungen bieten. Manche berichteten, dass sie ihre Behandlungskosten selbst bezahlen mussten. Wegen extrem kurzer Kündigungsfristen von bis zu einem Tag kommt es vor, dass Arbeiter*innen noch krank oder verletzt die Heimreise antreten.
Marktmacht ja – Verantwortung nein: Supermärkte drücken Preise ins Bodenlose
In Deutschland teilen die Big Four – Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland mehr als 85% des deutschen Lebensmitteleinzelhandels unter sich auf.
Die Verantwortung für diese unhaltbaren Arbeitsbedingungen liegt nicht nur bei den Betrieben, sondern auch bei den deutschen Supermärkten, die für Spargel, Erdbeeren und Gemüse ruinös niedrige Preise zahlen.
„Die Supermärkte üben einen brutalen Preisdruck aus“, sagt Tim Zahn, Referent für globale Lieferketten, Menschenrechte und Migration bei Oxfam. „Den Preisdruck geben die Betriebe nach unten weiter: an die Arbeiter*innen auf den Feldern. Und er hat weitere Folgen: Viele kleinere landwirtschaftliche Betriebe geben auf. Die Supermärkte stehlen sich hier seit Jahren aus der Verantwortung, sie müssen endlich dazu gebracht werden, angemessene Preise zu zahlen.“
Rechte der Saisonbeschäftigten schützen!
Oxfam Deutschland und die Initiative Faire Landarbeit fordern deshalb, dass der Einkauf unter Produktionskosten verboten wird. Die Bundesregierung muss zudem dafür sorgen, dass Saisonarbeiter*innen grundsätzlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden, unter anderem, damit sie vollen gesetzlichen Krankenversicherungsschutz vom ersten Tag an erhalten.
Anders als für frühere Studien hat Oxfam diesmal nicht in Anbaugebieten von Südfrüchten recherchiert, sondern gemeinsam mit dem PECO-Institut direkt vor unserer Haustür. Grundlage der Studie sind eigene Recherchen von Oxfam Deutschland und ein Bericht des PECO-Instituts. Für diesen wurden Arbeiter*innen bei vier Betrieben interviewt, die wir mittels Testkäufen als Lieferanten deutscher Supermärkte identifizieren konnten.
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