Anvisierte Mittelsteigerungen reichen nicht aus

Berlin, 27.11. 2013.  Die Entwicklungsorganisation Oxfam nimmt mit Sorge zur Kenntnis, dass die Entwicklungs- und Klimafinanzierung der zukünftigen Großen Koalition zu unverbindlich bleibt. Das Bekenntnis, sich dem Ziel, 0,7% des Bruttonationaleinkommens für Entwicklung auszugeben, lediglich anzunähern, ist zu wenig. „Bei der Entwicklungs- und Klimafinanzierung müssen jetzt ambitioniert Pflöcke eingeschlagen werden. Wir brauchen einen konkreten Umsetzungsplan mit klaren Zeitzielen, Summen und Finanzierungsquellen“, fordert Tobias Hauschild, Experte für Entwicklungsfinanzierung bei Oxfam.

Es sei begrüßenswert, dass der Koalitionsvertrag zusätzliche Mittel für Entwicklung von insgesamt 2 Milliarden Euro, verteilt auf die nächsten vier Jahre in Aussicht stelle. Dies reiche jedoch letztendlich nicht aus, um sich dem 0,7-Prozent-Ziel entscheidend anzunähern oder es gar zu erreichen. Derzeit liegt die deutsche Entwicklungs-Quote bei 0,38 Prozent, dies entspricht rund 10 Milliarden Euro.

Sicherung der Welternährung und Recht auf Nahrung nicht konkretisiert

Oxfam begrüßt, dass die Förderung der ländlichen Entwicklung und das internationale Engagement für die Sicherung der Welternährung und für das Recht auf Nahrung von zentraler Bedeutung für die schwarz-rote Koalition sind. Gleichwohl ist nicht dargelegt, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Eine Erhöhung der Mittel für die Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und agrar-ökologischer Anbauverfahren wird genauso wenig erwähnt, wie die Herstellung der Politikkohärenz (u.a. im Bereich der EU-Agrar-, Handels- und Investitionspolitik) und eine Überprüfung der bisherigen Public-Private-Partnerships (PPP) auf ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Ernährungssicherung und des Rechts auf Nahrung.

„Wer den Hunger bekämpfen will, muss insbesondere Kleinbauern, Frauen und andere marginalisierte Gruppen spezifisch unterstützen. Davon ist im Koalitionsvertrag nichts zu lesen“, kritisiert Marita Wiggerthale, Agrarexpertin bei Oxfam.

Passus über die Verwendung der Einnahmen aus  der Finanztransaktionssteuer (FTS) für Entwicklung und Klimaschutz gekippt

Im Koalitionsvertrag erklären die Parteien: “Wir wollen eine Finanztransaktionssteuer mit breiter Bemessungsgrundlage und niedrigem Steuersatz zügig umsetzen und zwar im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit in der EU.“ Dieses Bekenntnis zu einer schnellen Umsetzung der FTS und einer breiten Bemessungsgrundlage, das heißt, zu einer Steuer mit möglichst wenigen Ausnahmen, ist eine sehr gute Nachricht. Nun können die Verhandlungen auf europäischer Ebene, die in den letzten Monaten ins Stocken geraten waren, wieder neue Fahrt aufnehmen. Die Einführung der Finanztransaktionssteuer ist damit, trotz aller Attacken der Bankenlobby, noch im Jahr 2014 möglich.

Was hingegen fehlt, ist eine klare Aussage zur Verwendung der Einnahmen. Die Einnahmen aus der Steuer sollen laut Schätzungen allein in Deutschland jährlich ca. 10 Milliarden Euro betragen. Nur wenn diese Einnahmen auch für weltweite Armutsbekämpfung und den Klima- und Umweltschutz verwendet werden, erfüllt die FTS ihren eigentlichen Zweck. Dafür haben wir uns während des Wahlkampfes und der Koalitionsverhandlungen eingesetzt. Für uns bedeutet das Ergebnis des Koalitionsvertrages, dass wir auch in den kommenden Monaten weiterhin daran arbeiten werden, dass aus der Finanztransaktionssteuer eine „Steuer gegen Armut“ wird.

Dass die von der SPD ins Spiel gebrachte Verwendung der Einnahmen aus einer künftigen Finanztransaktionssteuer im Koalitionsvertrag nicht auftaucht, ist bedauerlich. „Hier ist insbesondere der politische Wille der Parteivorsitzenden gefragt“, so Hauschild. „Ohne Unterstützung von höchster Stelle können weitere Mittelsteigerungen für Entwicklung, die aus den Einnahmen der Finanztransaktionssteuer problemlos finanziert werden könnten, nicht erreicht werden.“

Keine Fortschritte bei versprochenen Klima-Hiflen für arme Länder

Auch bei den gemachten Zusagen zur Unterstützung der armen Länder bei der Bewältigung des Klimawandels enthält der Koalitionsvertrag keine klaren Zusagen. Bis zuletzt war noch eine Formulierung im Gespräch, nach der die Erfüllung der Zusagen auch ansteigende Mittel bedeuten solle. In der Endfassung ist dies nun nicht mehr vorgesehen.

Jan Kowalzig, Klimaexperte bei Oxfam: „Es steht zu  befürchten, dass die neue Bundesregierung sich bei den Hilfen für arme Länder im Kampf gegen den Klimawandel auf einen Wortbruch vorbereitet. Im bisherigen Entwurf für den Bundeshaushalt 2014 sind Kürzungen von über 400 Mio. Euro vorgesehen. Hier muss die neue Bundesregierung dringend eine Kehrtwende vollziehen, wenn sie einen neuen Haushaltsentwurf vorlegt. Alles andere würde die Glaubwürdigkeit Deutschlands bei den laufenden Verhandlungen um ein weltweites Klimaschutzabkommen schwer beschädigen.“

Schlechte Aussichten für den deutschen und europäischen Klimaschutz

Auch für den Klimaschutz in Deutschland und Europa ist der Koalitionsvertrag eine Enttäuschung. Eine wirksame Reparatur des Emissionshandels als zentrales Klimaschutzinstrument soll nicht stattfinden. Dazu müssten CO2-Gutschriften dauerhaft aus dem Markt entfernt werden, um so deren Preis zu stabilisieren, damit sich Klimaschutzinvestitionen wirtschaftlich wieder lohnen. Nun ist lediglich verabredet, dass nur die Versteigerung eines Teils der Zertifikate etwas verzögert wird, was unter Experten als wenig wirksam gilt.

Zudem haben sich CDU, CSU und SPD darauf geeinigt, nächstes Jahr in Brüssel ein schwaches europäisches Klimaschutzziel von 40 Prozent Reduktionen bis 2030 durchzusetzen (statt benötigter mindestens 55 Prozent). Dies wäre dann auch der europäische Beitrag für das künftige globale Klimaschutzabkommen, dass 2015 in Paris verabschiedet werden soll – Europa hätte damit seine Klima-Vorreiterrolle endgültig zerstört – mit dem Segen der neuen Bundesregierung.

Soziale Unternehmensverantwortung: Fortschritt beim Schutz der Menschenrechte – Rückschritt bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung

Oxfam begrüßt ausdrücklich, dass die Regierungskoalition sich klar zur Umsetzung der 2011 vom UN-Menschenrechtsrat verabschiedeten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte bekannt hat. Diese setzen den Rahmen für die menschenrechtliche Unternehmensverantwortung und sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu sozial verträglichem Unternehmenshandeln, bei dem in Zukunft Katastrophen wie der Fabrikbrand in Bangladesch im April 2013 vermieden werden können.

Die zentrale Schwäche des Koalitionsvertrages in diesem Bereich ist jedoch die Nichtaufnahme einer gesetzlichen Transparenzpflicht für Unternehmen über ihre sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen, so wie diese von der SPD vorgeschlagen und auch von der EU-Kommission als Gesetzgebungsvorschlag für eine Richtlinie im April 2013 vorgelegt wurde. Eine solche Transparenzpflicht ist ein notwendiger erster Schritt hin zu mehr gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung, da Unternehmen Folgen und Risiken ihrer Geschäftstätigkeiten besser einschätzen und verhindern lernen und zum Beispiel Verbraucher/innen auf dieser Grundlage ethische Kaufentscheidungen treffen können. Positiv zu vermerken ist, dass die Koalition immerhin vorhat, die Grundlagen für ein Nachhaltigkeitslabel zu schaffen, wozu ja weitgehende Transparenz unternehmerischen Handelns notwendig ist und eine entsprechende gesetzliche Pflicht förderlich wäre.

Richtiges Signal: Koalitionsvertrag fordert Eindämmung der Spekulation mit Nahrungsmitteln

Im Koalitionsvertrag bekräftigen CDU, CSU und SPD ihren Willen zur Eindämmung der exzessiven Spekulation mit Nahrungsmitteln. So ist in dem Vertrag zu lesen: „Unsere Finanzmarktpolitik gibt der realwirtschaftlichen Dienstleistungsfunktion des Finanzsektors Vorrang vor spekulativen Geschäften. Indem wir der Spekulation klare Schranken setzen, Transparenz schaffen, nachhaltige Wachstumsstrategien fördern und die Krisenfestigkeit der Finanzmarktakteure stärken, verbessern wir die Funktionsfähigkeit und Stabilität der Finanzmärkte.“ Im weiteren Text wird die Koalition noch deutlicher: „Ebenso tritt die Bundesregierung für eine Eindämmung der Rohstoff- und Nahrungsmittelspekulation ein und befürwortet deshalb insbesondere die Einführung von Positionslimits auf den Rohstoffmärkten.“

„Wir begrüßen die klaren Worte der Koalition zur Eindämmung der Spekulation mit Nahrungsmitteln“, erklärt David Hachfeld, Referent für Wirtschaft und Globalisierung von Oxfam Deutschland. „Mit der Befürwortung der Einführung von Positionslimits greift die Koalition eine Forderung Oxfams und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen auf.“  Positionslimits können die Markt-Dominanz einzelner Akteure verhindern. Wichtig ist dabei vor allem, ob und in welcher Form Limits eingeführt werden, die die Anzahl von Preiswetten begrenzen, die ein einzelner Spekulant eingehen darf. Eventuelle Schlupflöcher müssen in entsprechenden Gesetzestexten geschlossen werden. Die Bundesregierung steht nun in der Pflicht, sich auch auf EU-Ebene im Rahmen der Reform der Finanz- und Rohstoffmärkte für eine klare und transparente Regulierung der Finanzmärkte einzusetzen. Dabei kommt es auch auf die Details an: Aktuell versuchen einige EU-Länder, allen voran die Regierung von Großbritannien, die Regulierungsentwürfe auszuhöhlen. Diese Versuche sollte die Bundesregierung konsequent zurückweisen.

Krisen und Konflikte: Mehr Einsatz für Menschenrechte

In Bezug auf Afghanistan ist die Ankündigung der Koalition willkommen, künftig die zivile Hilfe in das Zentrum des deutschen Engagements zu stellen. „Wir hätten uns in diesem Zusammenhang aber ein ausdrückliches Bekenntnis zur Verteidigung der Menschenrechte und besonders der Frauenrechte gewünscht, die in Afghanistan immer stärker unter Druck geraten“, sagt Robert Lindner, Referent für Krisen und Konflikte bei Oxfam Deutschland. Positiv beurteilt Lindner, dass die Koalition weitere humanitäre Hilfe für syrische Flüchtlinge bereitstellen und aktiv an einer politischen Lösung des Syrienkonflikts mitarbeiten will. Es reicht jedoch nicht aus, Druck auf die unterschiedlichen Konfliktparteien auszuüben, sich an einem Friedensprozess zu beteiligen. Die neue Bundesregierung muss dafür eintreten, dass auch Vertreter/innen der syrischen Zivilgesellschaft gleichberechtigt an den Friedensgesprächen teilnehmen können.