Vor einem Jahr erreichte die Geschichte internationaler Steuerskandale ihren vorläufigen Höhepunkt: Am 5. November 2017 wurde mit den Paradise Papers die bis dato größte Steuerdaten-Enthüllung veröffentlicht. Das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), zu dem unter anderem die Süddeutsche Zeitung gehört, hatte 13,4 Millionen Dokumente ausgewertet, die vor allem aus der Bermuda-Dependance der weltweit aktiven Anwaltskanzlei Appleby stammten. Die Untersuchung offenbarte neben den Offshore- Geschäften bekannter Persönlichkeiten vor allem die windigen Steuervermeidungs-Strategien von mehr als 100 multinational agierenden Konzernen, darunter Apple und Nike.

Wie schon bei anderen Enthüllungen wie den Panama Papers war der Ruf nach Konsequenzen laut. Eine Kernforderung: Wir brauchen echte Steuertransparenz, um zu wissen, was internationale Konzerne in Steueroasen machen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um die Steuervermeidung auf Kosten der Menschen in armen und reichen Ländern zu beenden. Zur Erinnerung: Entwicklungsländer verlieren durch die Steuervermeidung von Konzernen schätzungsweise bis zu 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr – das ist mehr, als in Form weltweiter Entwicklungshilfe in diese Länder fließt (2017: rund 145 Milliarden US-Dollar).

Steuertransparenz, da war doch was? Stimmt, die Europäische Kommission hat bereits 2016 einen Vorschlag präsentiert, nach dem alle Konzerne ihre Gewinne und darauf gezahlte Steuern pro Land veröffentlichen sollen. Eine solche öffentliche länderbezogene Berichterstattung gibt es für große europäische Banken bereits seit einigen Jahren – und sie hat sich bewährt: Eine jüngst veröffentlichte wissenschaftliche Untersuchung zeigt, dass sich die Steueraufwendungen der Banken nach der Einführung der Veröffentlichungspflicht erhöhten und die länderspezifische Berichterstattung ein wichtiges Instrument zur Eindämmung der Steuervermeidung sein kann.

Also echt gut, dass die Europäische Kommission hier voranschreitet – sie hat nur leider die Rechnung ohne den Wirt, d.h. die EU-Mitgliedstaaten gemacht. Denn die sitzen den Vorschlag nun aus und können sich nicht dazu durchringen, sich überhaupt mit dem Thema zu befassen. Die Hoffnung, dass die Bundesregierung unter SPD-Finanzminister Scholz die Blockadehaltung von CDU-Vorgänger Schäuble auf EU-Ebene aufgibt, ist groß – immerhin war die Forderung nach öffentlicher Konzernberichterstattung Teil des SPD-Wahlprogramms und hat entsprechende Erwartungen geweckt. Bislang ist aber keine Bewegung zu erkennen. Wie zu hören ist, könne in der Großen Koalition mit der Union kein Konsens in dieser Frage gefunden werden. Das eigentlich Enttäuschende aber ist: Finanzminister Scholz begründet seine ablehnende Haltung nicht so sehr mit der Koalitionsräson. Vielmehr übernimmt er quasi die Rhetorik seines Vorgängers: Er wolle zwar ein effizientes System gegen Steuervermeidung – dieses solle aber auch von den Konzernen akzeptiert werden. Und da dies offenbar in Fragen der Veröffentlichungspflicht nicht gegeben ist, könne die Bundesregierung den Kommissionsvorschlag nicht unterstützen.

Wie bitte? Ex-SPD-Finanzminister Peer Steinbrück sagte einmal in Bezug auf den Kampf gegen Steuervermeidung, man dürfe die Frösche nicht fragen, wenn man den Sumpf trockenlegen will. Stimmt. Politik muss vor allem im Interesse der Bürgerinnen und Bürger erfolgen, auch gegen den Willen von Konzernen. Und genau deshalb muss die Bundesregierung den Weg zu echter Steuertransparenz in der EU frei machen. Nächste Chance: Im November tagt der für die länderspezifische Konzernberichterstattung zuständige EU-Ministerrat, da muss das Thema auf die Tagesordnung. Und dann muss möglichst zügig mit den EU-Partnern der Kommissionsvorschlag in EU-Recht gegossen werden.

Die Bundesregierung muss im November endlich Farbe bekennen und die EU-Regelung unterstützen. Aussitzen gilt nicht. Sonst ist die Veröffentlichung des nächsten Rekordsteuerleaks nur eine Frage der Zeit.

1 Kommentar

Es ist nicht verwunderlich, dass die SPD nur noch bei 14% liegt.

Kommentieren

Wir freuen uns über anregende Diskussionen, sachliche Kritik und eine freundliche Interaktion.

Bitte achten Sie auf einen respektvollen Umgangston. Auch wenn Sie unter einem Pseudonym schreiben sollten, äußern Sie bitte dennoch keine Dinge, hinter denen Sie nicht auch mit Ihrem Namen stehen könnten. In den Kommentaren soll jede*r frei seine Meinung äußern dürfen. Doch es gibt Grenzen, deren Überschreitung wir nicht dulden. Dazu gehören alle rassistischen, rechtsradikalen oder sexistischen Bemerkungen. Auch die Diffamierung von Minderheiten und Randgruppen akzeptieren wir nicht. Zudem darf kein*e Artikelautor*in oder andere*r Kommentator*in persönlich beleidigt oder bloßgestellt werden.

Bitte bedenken Sie, dass Beleidigungen und Tatsachenbehauptungen auch justiziabel sein können. Spam-Meldungen und werbliche Einträge werden entfernt.

Die Verantwortung für die eingestellten Kommentare sowie mögliche Konsequenzen tragen die Kommentator*innen selbst.