Letzte Nacht war die Hölle. Und genauso war es in der Nacht davor. Nachts ist die Juni-Hitze in Gaza unerträglich. Es kann leicht 35 Grad heiß und dabei extrem schwül werden. Um drei Uhr morgens stand ich mit meinen drei kleinen Kindern auf dem Dach unseres Hauses. Wir versuchten, in der stillen Nacht jeden noch so schwachen Windhauch einzufangen, um wenigstens ein bisschen Abkühlung zu bekommen. Am Abend zuvor war es dasselbe. Es macht uns verrückt.

Die Bevölkerung als Hauptleidtragende

Die Hauptursache für die aktuelle Drosselung der Stromversorgung sind politische Streitigkeiten zwischen verschiedenen palästinensischen Parteien. In Verbindung mit der seit über 10 Jahren bestehenden israelischen Blockade des Gazastreifens machen die Stromsperrungen das Leben hier vollends unerträglich. Wir waren schon vorher gefangen, aber jetzt leiden wir unter einer doppelten Blockade. Nirgendwo gibt es ein Entkommen. Orte, an denen wir der Hitze wenigstens für kurze Zeit entkommen könnten, sind teuer und wimmeln von Menschen. Wir können nicht an den Strand gehen – wir können nicht einmal in die Nähe des Ufers gehen – durch die Stromkrise ist das schon vorher gefährlich verschmutzte Meerwasser noch verseuchter geworden. Lange, bevor man das Wasser sehen kann, kann man es riechen. Wenn unsere Kinder auch nur in seine Nähe gehen, können sie leicht krank werden.

Wir hatten kaum ein richtiges Leben, als wir noch acht Stunden Strom pro Tag hatten. Jetzt ist es noch viel schlimmer. Alles, was wir tun, dreht sich um Strom. Die Krise verändert unsere Lebensweise in jeglicher Hinsicht. Ich muss spätestens um zwei Uhr nachts aufstehen, um die Wäsche aufzusetzen. Sonst werden wir unter schmutziger Kleidung begraben. Die Krise bestimmt, was wir essen können. Der Kühlschrank steht nutzlos in der Küche, so dass wir nichts einkaufen können, was gekühlt werden muss. Die Hitze und der Strommangel lassen sonst alles verderben.

Und ich gehöre noch zu den Glücklichen. Ich habe einen guten Job und ein ordentliches Zuhause, und doch ist das Leben für meine Familie und mich kaum zu ertragen. Ich weiß nicht, wie die Ärmsten der Armen damit fertig werden sollen.

Wenn ich an sie denke, schäme ich mich. Ich denke an jene hunderttausende Leute, die bereits seit zehn Jahren arbeitslos sind und in asbestbelasteten und eng zusammengequetschten Häusern leben; nicht einmal ein Hauch kühler Luft findet einen Weg in ihre Wohnungen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie das aushalten. Wie schaffen sie es, durch die Nacht zu kommen? Wie bewahren sie ihr Essen auf? Die ganze Situation ist für uns alle schlimm, aber für sie ist sie katastrophal.

Eine menschengemachte Katastrophe

Es fühlt sich genauso an wie im Krieg. An allem herrscht extremer Mangel, nur gibt es dieses Mal keine Raketeneinschläge. Und genauso wie ein Krieg ist dies hier eine menschengemachte Katastrophe. Das Problem ist die Politik. Schon morgen könnten sich die Dinge für uns ändern, wenn es denn einen politischen Willen dazu gäbe.

Die Politiker müssen verstehen, was hier geschieht, doch stattdessen streiten sie sich. Dies muss endlich aufhören und sie müssen ihr Augenmerk wieder auf jene Menschen richten, für deren Schutz und Wohlergehen sie verantwortlich sind. Stattdessen haben wir jetzt eine neue Blockade, nur mit anderen Mitteln.

Ich kann mich noch daran erinnern, was ich dachte, als die politischen Spannungen und dann die Blockade begannen: Das alles könne nicht mehr als ein paar Monate dauern, vielleicht maximal ein Jahr. Doch jetzt sind schon 10 Jahre vergangen und alles ist nur noch schlimmer geworden. Die UNO hat in dieser Woche gesagt, dass Gaza unbewohnbar werden könnte. In der Tat sind in diesem fast unbewohnbaren Ort zwei Millionen Menschen zwischen der Grenzmauer und dem Meer gefangen. Es ist die Hölle. Wir sterben hier langsam und allmählich.

Die Verhältnisse in Gaza sind weder menschenwürdig noch notwendig. Vor nicht allzu langer Zeit hätten wir uns nie vorstellen können, dass das Leben hier noch schlimmer werden könnte – mit manchmal nur vier Stunden Strom pro Tag, ohne sauberes Wasser und ohne Möglichkeit für die allermeisten hier, diesen Ort zu verlassen. Aber im Moment sind vier Stunden Strom am Tag und alles, was dies für uns bedeuten würde, mehr, als ich zu hoffen wage.

Die Hoffnung schwindet nach und nach. Genauso, wie nach all den früheren Kriegen, sind wir auch in dieser Krise dazu verdammt, im Dunkeln darauf zu warten, was das Schicksal noch alles für uns bereit hält.

Mehr Hintergrundinformationen über die Stromkrise in Gaza finden Sie hier: Stromkrise in Gaza: Versorgungsprobleme wie im Krieg

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