Wer bekommt wann, welchen und vor allem wieviel Impfstoff? Es gibt wenige Fragen, die die internationale politische Debatte zu Beginn des zweiten Corona-Jahres so sehr beherrschen, wie diese. In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag kurz vor dem Jahreswechsel hat UN-Generalsekretär António Guterres gefordert, dass „die Impfstoffe als globales öffentliches Gut betrachtet werden. Sie müssen überall und für alle Menschen zugänglich und bezahlbar sein.“ Ebenso wie die People's Vaccine Alliance, der auch Oxfam angehört, kritisiert Guterres damit die nationalen Egoismen, die den Wettlauf zwischen den Staaten um einen möglichst schnellen Ausweg aus der Pandemie bislang prägen. In der Tat ist die bisherige Einkaufspraxis nicht gerade von internationaler Solidarität geprägt: Nachdem sich mehrere wohlhabende Staaten – darunter auch Deutschland – über Verträge mit der Pharmaindustrie bereits lange vor der Zulassung der ersten Covid-19-Impfstoffe entsprechende Kontingente gesichert haben, ist absehbar, dass viele Millionen von Menschen im sogenannten Globalen Süden das Nachsehen haben werden und erst sehr viel später geimpft werden können. Welche fatalen Konsequenzen dies für den weiteren Verlauf der Pandemie insbesondere in Afrika haben wird, wo die Zahl der Infektionen in der zweiten Welle zuletzt massiv gestiegen ist, kann man sich leicht ausmalen. Der Leiter der Africa Centres for Disease Control and Prevention, John Nkengasong, warnt zu Recht vor einer globalen “moralischen Katastrophe“, wenn es weiterhin bei der höchst ungleichen Impfstoffverteilung bleibt.

Engagement reicht nicht aus

Nun ist es natürlich keineswegs so, dass die Staatengemeinschaft auf diese Notlage, die sich ja schon zu Beginn der Corona-Krise abgezeichnet hat, nicht reagiert hätte. Mit der Covid-19 Vaccines Global Access-Plattform (kurz COVAX) hat die Weltgesundheitsorganisation in Zusammenarbeit mit GAVI, der Globalen Allianz für Impfstoffe und Immunisierung, und der Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung (CEPI) bereits frühzeitig die institutionellen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass auch ärmere Staaten einen fairen Zugang zu COVID-19-Impfstoffen erhalten können. Ziel ist es, dass die insgesamt 92 förderberechtigten Niedrig- und Mitteleinkommensländer genügend Dosen erhalten, um bis zu 20 Prozent ihrer Bevölkerung impfen lassen zu können. Mittlerweile haben Geberländer, Unternehmen und private Stiftungen 2,4 Milliarden US-Dollar für COVAX zur Verfügung gestellt. Doch so wichtig und anerkennenswert dieses Engagement auch ist – es reicht bei weitem nicht aus. Allein um für den afrikanischen Kontinent die angestrebte Herdenimmunität, einen Impfschutz für ca. 60 % der Bevölkerung, zu erreichen, müssten – so Nkengasong – ca. 10-12 Milliarden US-Dollar mobilisiert werden. Zwar hat erst kürzlich auch die Weltbank ein umfangreiches Hilfspaket zur Bewältigung der medizinischen Kosten der Pandemie geschnürt. Da jedoch nicht nur die Impfungen, sondern auch Schutzausrüstungen, Tests und nicht zuletzt die Behandlung von Corona-Infizierten hohe Kosten verursachen, ist das Finanzierungsdefizit weiterhin beträchtlich.  

Doch nicht nur die ungleiche Verteilung des Impfstoffes stellt ein großes Hindernis bei der Bekämpfung der Pandemie im Globalen Süden dar. Denn obgleich das Recht eines jeden Menschen auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit ein Menschenrecht ist, hat weniger als die Hälfte der Weltbevölkerung ausreichenden Zugang zu medizinischen Grundleistungen. Ein wesentlicher Grund: Die Gesundheitssysteme in armen Ländern sind häufig von völlig unzureichender Qualität und schlecht finanziert. Doch um eine umfängliche Impfung für die notwendige Immunisierung der Bevölkerung zu erreichen, benötigt man Gesundheitssysteme, die eine so große Aufgabe auch bewältigen können – die insbesondere über funktionierende Kühlketten und Logistik, aber auch über genügend Personal verfügen, das für die Durchführung von Impfungen ausgebildet ist.

Große Herausforderungen sind auch mit den sozialen Folgen der Pandemie verbunden, denn die weltweit angeordneten Lockdown-Maßnahmen haben viele Millionen Menschen in die Armut getrieben. Auch wenn die meisten Länder versuchen, durch zusätzliche Sozialleistungen die besonders hart betroffenen Bevölkerungsgruppen (insbesondere Ältere, Kinder und Arbeitslose) zu unterstützen, so ist die bisherige Bilanz – wie eine von Oxfam kürzlich veröffentlichte Studie gezeigt hat – doch eher ernüchternd: Nur wenige Regierungen haben Maßnahmen beschlossen, die über Einmalzahlungen hinaus auch längerfristige Hilfen garantieren; und in den allermeisten Ländern werden über die zusätzlichen Mittel nicht einmal die Hälfte ihrer Einwohner*innen erreicht. Um die Menschen nicht nur in der Corona-Krise, sondern auch zukünftig in vergleichbaren Krisensituationen besser zu schützen, sind gut funktionierende Sozialsysteme unerlässlich. In vielen Teilen der Welt ist jedoch gerade dies bislang nicht gewährleistet. Zumeist fehlt es dabei nicht am politischen Willen, sondern allein an ausreichenden finanziellen Ressourcen. Um einkommensschwachen Länder beim Aufbau entsprechender Systeme zu helfen, hat Oxfam daher gemeinsam mit über 200 zivilgesellschaftlichen Organisationen die Einrichtung eines Globalen Fonds für soziale Sicherheit gefordert, der eine solidarische und gut abgestimmte Unterstützung durch die Staatengemeinschaft ermöglichen würde.

Internationale Zusammenarbeit verstärken

In der Corona-Krise hat jedes Land bereits auf dem eigenen Territorium mit großen Herausforderungen zu kämpfen, wenn es darum geht, die medizinischen, ökonomischen und sozialen Folgen der Pandemie halbwegs in den Griff zu bekommen. Aber in der globalen Perspektive gibt es auch eine über die eigenen Staatsgrenzen hinausreichende Verantwortung, und die trifft nun einmal in erster Linie diejenigen Mitglieder der Staatengemeinschaft, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke in der Lage sind, die schwächeren Mitglieder zu unterstützen. Diese – letztlich auf global geteilten Grundwerten beruhende – Verantwortungsbeziehung besteht nicht nur in politischer Hinsicht, sondern sie ist vor allem auch eine Konsequenz aus den Verpflichtungen, die die Staaten völkerrechtlich eingegangen sind. Der UN-Sozialpakt verlangt von ihnen, sich im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten auch für den Schutz der Rechte von Menschen einzusetzen, die nicht auf ihrem Staatsgebiet leben. Deutliche Worte zu diesen extraterritorialen Wirkungen, die sich in der aktuellen Krise insbesondere aus dem Recht auf Gesundheit ergeben, haben die Expert*innen des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gefunden: Ihrer Auslegung des Pakts zufolge haben die Staaten „die Pflicht zur internationalen Zusammenarbeit und Unterstützung, um den allgemeinen und gerechten Zugang zu Impfstoffen zu gewährleisten, wo immer er benötigt wird. Der pandemische Charakter von COVID-19 stärkt diese Verpflichtung der Staaten. Daher müssen die Staaten ihre internationale Zusammenarbeit verstärken, um so schnell wie möglich weltweit einen allgemeinen und gerechten Zugang zu Impfstoffen gegen COVD-19 zu gewährleisten, auch für die Bevölkerung der am wenigsten entwickelten Länder, die möglicherweise nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um ihrer Bevölkerung den Zugang zu Impfstoffen zu garantieren.“ Ähnliche Konsequenzen für die internationale Zusammenarbeit sind auch mit dem Recht auf soziale Sicherheit verbunden – auch hier enden die rechtlichen Bindungen nicht an den Landesgrenzen.

Die Geberländer sollten diese unmittelbar aus den Menschenrechten folgenden Verpflichtungen ernst nehmen. Um ihrer Verantwortung für die Menschen im Globalen Süden gerecht zu werden, ist es notwendig, dass sie ihr Engagement sowohl im Rahmen der COVAX-Initiative als auch beim Ausbau der sozialen Sicherungs- und Gesundheitssysteme noch einmal deutlich ausweiten.

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