Eines steht fest: Wenn die Regierungen in Nord und Süd so weiter machen wie bisher, wird der Hunger auch im Jahr 2030 nicht beendet werden. Die Welternährungsorganisation (FAO) schätzt, dass in einem „Business as usual“-Szenario im Jahr 2030 noch 650 Millionen Menschen unter Hunger leiden werden, das BMZ schätzt 550 Millionen. Dabei gehen sie davon aus, dass knapp 800 Millionen Menschen aktuell hungern. Als hungernd gilt jemand, der ein Jahr lang täglich weniger als 1800 kcal zu sich nimmt, wobei eine „bewegungsarme Lebensweise“ unterstellt wird. Aber viele arme Menschen arbeiten schwer. Ein Rikscha-Fahrer in Indien verbraucht beispielsweise 3000-400 kcal. Würde man eine „normale“ Arbeitsbelastung zugrunde legen, müssten 1,5 Milliarden Menschen als hungernd eingestuft werden. Dann würden die Kosten auch höher ausfallen.

Wie viele öffentliche Gelder werden als notwendig erachtet?

Kurz vor der Entwicklungsfinanzierungskonferenz in Addis Abeba rechnete die FAO vor, wie hoch die Kosten sind, um den Hunger bis 2030 zu beenden. Ihr Ergebnis: 267 Milliarden US$ jährlich. Dabei sind 116 Milliarden US$ für die soziale Sicherung eingeplant und 151 Milliarden US$ an zusätzlichen, armutsorientierten Investitionen, davon 105 Mrd. US$ für ländliche Entwicklung und Landwirtschaft. Der Anteil der öffentlichen Investitionen im ländlichen Raum wird mit 60 Prozent bzw. 64 Milliarden US$ veranschlagt. Nur vier Jahre zuvor hatte die FAO dafür 42,7 Milliarden US$ jährlich berechnet. Es ist offensichtlich, dass jedes Jahr des Nicht-Handelns die Kosten und das Leid von Millionen Menschen erhöht.

Interessant ist ein Vergleich der beiden Studien im Hinblick auf die Bereiche, in die öffentliche Investitionen fließen sollen. In dem aktuellen Bericht wird der als notwendig erachtete Bedarf für öffentliche Investitionen bei Infrastruktur und Forschung jeweils um 130 Prozent und bei Beratung um 160 Prozent höher veranschlagt, während er bei den natürlichen Ressourcen um 40 Prozent niedriger ausfällt. Die Zahlen zur sozialen Sicherung sind nicht vergleichbar, weil in der Berechnung von 2011 die zusätzlich erforderlichen Mittel berechnet wurden, während 2015 der Gesamtbedarf geschätzt wurde. Auch wenn in den letzten Jahren die sozialen Sicherungssysteme in mehreren Ländern positiverweise ausgebaut wurden, ist eine deutliche Steigerung insgesamt erforderlich.

Abkehr vom wachstumsorientierten Diskurs nicht ersichtlich

Die zunehmende Bedeutung, die der Förderung von Infrastruktur, Forschung und Beratung zugeschrieben wird, spiegelt den aktuellen wachstumsorientierten Diskurs wider. Bezüge zu menschenrechtlichen Ansätzen fehlen komplett, auch spezifische Maßnahmen für vulnerable Gruppen und Frauen bleiben weitestgehend unberücksichtigt. Folglich bleibt zu befürchten, dass die durchaus notwendige Verbesserung der Infrastruktur, der Forschung und Beratung sich wieder einmal nicht an den Bedürfnissen der Ärmsten, insbesondere Frauen orientiert. Geradezu alarmierend ist die geringe Rolle, die den öffentlichen Investitionen bei der Bewältigung der Umweltprobleme zugeschrieben wird: sich bereits anbahnende Wasserkrisen, fortschreitende Bodenzerstörung, Verlust der biologischen Vielfalt, Klimawandel. Es ist absurd anzunehmen, dass mehr private Investitionen die Umweltprobleme lösen. 70 Prozent der erforderlichen Investitionen im Bereich der natürlichen Ressourcen sollen nämlich vom Privatsektor getätigt werden. Ein Kurswechsel in Richtung einer ökologischen und sozialen Neuorientierung der Landwirtschaft, wie sie der Weltagrarbericht gefordert hat, ist leider nicht erkennbar.

Private Investitionen sollen es richten

Während die FAO bei der Berechnung der Investitionskosten vor vier Jahren noch positiverweise ausschließlich öffentliche Investitionen im Blick hatte, richtet sich das Augenmerk in den letzten Jahren immer stärker auf die Förderung von privaten Investitionen. „Mehr private Investitionen, mehr Wachstum, weniger Hunger“, so lautet die einfache Formel. Bedauerlichweise wurden ebenso bei der Entwicklungsfinanzierungskonferenz private Investitionen in den Mittelpunkt gerückt und insbesondere Public-Private-Partnerships (PPP) und Mischfinanzierungs-Instrumente unterstützt („blending“). Auch das BMZ setzt sehr stark auf den Privatsektor und sieht vor, dass 10 Prozent der erforderlichen Mittel bis 2030 vom Privatsektor über PPPs erbracht werden sollten. Dabei zeigen Recherchen von Oxfam, Eurodad und anderen die Gefahren und Risiken, die damit verbunden sind. Hinweise auf die Notwendigkeit, dass Menschenrechte eingehalten werden müssen, dass eine soziale und ökologische Rechenschaftspflicht sowie eine staatliche Regulierung im öffentlichen Interesse erfolgen müssen, sucht man vergeblich.

Wer den Hunger bekämpfen will, muss die Hungernden unterstützen

Der Menschenrechtsansatz in der Hungerbekämpfung ist der Schlüssel zum Erfolg. Politikansätze und Programme müssen an den Bedürfnissen von kleinbäuerlichen Familien, Frauen und anderen marginalisierten Gruppen ansetzen und eine Landwirtschaft fördern, die umwelt- und klimagerecht ist. Die Agrarökologie bietet ein großes Potenzial, die Bodenfruchtbarkeit und die Wasserhaltefähigkeit von Böden zu verbessern, die Landwirtschaft an den Klimawandel anzupassen und gleichzeitig die Einkommen von kleinbäuerlichen Betrieben zu erhöhen. Sie stellt eine wichtige Alternative zur industriellen Landwirtschaft dar. Die eklatante Ungleichheit bei der Landverteilung muss angegangen und der Zugang zu Land für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen verbessert werden. Eine wichtige Voraussetzung für eine wirksame Hungerbekämpfung ist nicht zuletzt eine kohärente Handels-, Investitions- und Energiepolitik, sowohl hierzulande wie dort.

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