Theoretisch könnte die neue Bundesregierung schon im Amt sein, wenn im November Deutschland Gastgeber der nächsten UN-Weltklimakonferenz ist – unter dem Vorsitz des vom Klimawandel besonders bedrohten Inselstaates Fidschi. Auf der Tagesordnung: die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens. Der Vertrag gilt als Meilenstein der internationalen Klima-Diplomatie. Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur soll möglichst auf maximal 1,5°C begrenzt werden, die weltweiten Treibhausgasemissionen im Laufe des Jahrhunderts auf „Netto-Null“ sinken, alle Länder im Fünf-Jahres-Rhythmus Klimaschutzziele einreichen und die reichen Länder die armen Länder bei der Bewältigung des Klimawandels ausreichend unterstützen. Nur ein Jahr nach dem Pariser Klimagipfel trat das Abkommen in Kraft. Im Bundestag wurde der Klimavertrag einstimmig und parteiübergreifend ratifiziert.

5:1 für das Pariser Abkommen

Für die Menschen vor allem in den armen Ländern, denen Stürme, Überschwemmungen oder Dürren schon jetzt die Lebensgrundlagen zunehmend zerstören, ist das Pariser Abkommen so etwas wie der letzte Rettungsanker. Nur: Papier ist geduldig. Auf die Umsetzung kommt es an, zum Beispiel in Deutschland während der nächsten Legislaturperiode. Immerhin: Der Klimawandel bereitet 71% der Deutschen große Sorgen – mehr als es z.B. drohende Altersarmut oder Arbeitslosigkeit tun.

Von den sechs Parteien, die wohl demnächst im Bundestag vertreten sein werden, stehen fünf zu dem Abkommen. Nur die AfD fordert den Austritt Deutschlands – und leugnet die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Klimawandels, eine Haltung, die man sonst eher beim US-Präsidenten Donald Trump oder der fossilen Energieindustrie findet (abgesehen von gelegentlichen Äußerungen bei der FDP). Dass sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die LINKE aus ganzem Herzen zum Klimavertrag bekennen, wundert nicht weiter. Aber auch CDU/CSU, SPD und FDP sind rhetorisch gut dabei.

Konkreter Klimaschutz: 2020-Ziel wird krachend verfehlt

Das reicht natürlich nicht. Vielmehr wird sich schnell zeigen, wie sehr sich die nächste Bundesregierung und der künftige Bundestag wirklich um das Pariser Abkommen scheren – und sich daran machen, eine erbärmliche Blamage abzuwenden: Das 2007 von Schwarz-Rot festgelegte, 2009 von Schwarz-Gelb und 2013 von der Neuauflage der Großen Koalition bekräftigte Ziel, die klimaschädlichen Treibhausgase bis 2020 gegenüber 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, droht krachend verfehlt zu werden. Die geforderten Gegenmaßnahmen: Die Grünen wollen die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke zügig abschalten, die LINKE den Ökostromanteil steigern. Dass die SPD in ihrem Wahlprogramm an dem Ziel explizit festhält und sich CDU/CSU immerhin noch vage den „bestehenden Energie- und Klimazielen“ verpflichtet fühlen, ist hoffentlich nicht nur blassgrüne Rhetorik – immerhin ist es die gegenwärtige Bundesregierung, die seit Jahren den Ausbau der erneuerbaren Energien ausbremst, statt wirksame Maßnahmen zu beschließen. Die FDP erwähnt ehrlicherweise das Ziel gar nicht erst und möchte das Erneuerbare-Energien-Gesetz (wie übrigens auch die AfD) abschaffen und die weitere Entwicklung weitgehend dem Markt überlassen, etwa dem europäischen Emissionshandel, der allerdings wegen eines – großenteils politisch gewollten – Überangebots an billigen CO2-Zertifikaten auf absehbare Zeit völlig unwirksam bleiben wird.

CO2-neutral innerhalb einer Generation?

Dazu passt auch, dass die FDP den Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung für planwirtschaftliche Bevormundung hält und als nationalen Alleingang ablehnt (wie übrigens auch die AfD). Der FDP ist wohl entgangen, dass die Pariser Beschlüsse sämtliche Länder zur Vorlage solcher langfristiger Strategien verpflichten, von nationalem Alleingang also keine Spur. Für Deutschland hatte das Umweltministerium nach breiter Debatte mit Verbänden, Industrie und Wissenschaft einen Vorschlag vorgelegt, der 2016 nach zähem Ringen innerhalb der Bundesregierung verabschiedet wurde und nun das Ziel, die deutschen Treibhausgase bis 2050 um 80 bis 95 Prozent abzusenken, mit (allerdings zu schwachen) Zwischen- und Sektorzielen konkretisiert. Alle übrigen Parteien halten an dem Plan fest. Weil für eine Umsetzung des Pariser Abkommens das untere Ende des Zielkorridors (minus 80 Prozent) nicht ausreicht, möchten die Grünen und die LINKE die Ziele entsprechend verschärfen und mit einem Klimaschutzgesetz absichern; die SPD strebt immerhin noch vage an, den Plan weiterzuentwickeln; CDU/CSU sehen keinen Bedarf einer Anpassung. Dennoch gilt: In welcher Konstellation auch immer, die nächste Bundesregierung muss die Weichen für die in dem Plan niedergelegte Große Transformation stellen.

Die Gretchenfrage: Kommt der Ausstieg aus der Kohle?

Die klimapolitische Gretchenfrage in der nächsten Legislaturperiode wird übrigens die nach dem Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle sein. Dem UN-Wissenschaftsrat IPCC zufolge muss zur Begrenzung des Klimawandels auf ein halbwegs beherrschbares Maß die Stromerzeugung weltweit deutlich vor 2050 emissionsfrei werden. Natürlich haben dabei die reichen Industrieländer voranzugehen. Wenn die künftige Bundesregierung dem Pariser Abkommen nicht den Todesstoß durch Unterlassen versetzen möchten, muss sie den Kohleausstieg beherzt angehen. Ermutigend ist, dass fast drei Viertel der Bundesbürger von der nächsten Bundesregierung dafür einen Fahrplan erwarten.

Am ehrgeizigsten wären dabei, wenig überraschend, die Grünen – die dreckigsten Kohlekraftwerke sollen sofort vom Netz, die erneuerbaren Energien bis 2030 komplett übernommen haben und der Ausstieg durch ein Kohleausstiegsgesetz geregelt werden. Den Ausstieg will auch die LINKE, bis 2035, offenbar aber (das steht natürlich nicht im Wahlprogramm) mit Ausnahme Brandenburgs: Dort möchte die rot-rote Landesregierung die landesweiten Klimaziele abschwächen, damit die Braunkohlekraftwerke länger laufen können. CDU/CSU und SPD drücken sich in ihren Wahlprogrammen um eine klare Aussage und haben ansonsten (als derzeitige Bundesregierung) den Einstieg in den Ausstieg bisher blockiert. Statt dessen verweisen sie (wie auch die FDP) in ihrer jeweiligen Tonlage darauf, dass die erneuerbaren Energien zwar mehr werden sollen (FDP, CDU/CSU: wenn es der Markt so will), die fossilen Energien aber noch auf lange Zeit den Klimawandel weiter verschärfen dürfen. In einer Antwort an Eurosolar findet die FDP sogar, dass Deutschland zur Erfüllung des Pariser Abkommens gar nicht vollständig aus der Kohle aussteigen müsse – eine steile These im Widerspruch zur Klimawissenschaft.

Klima-Hilfen für arme Länder

Schließlich wird die nächste Legislaturperiode zeigen, ob Deutschland sich an bestehende Zusagen hält, die armen Länder beim Klimaschutz und bei der Anpassung an die klimatischen Veränderungen zu unterstützen. Zentral ist hier das Versprechen der reichen Länder, die Klima-Hilfen bis 2020 auf 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr zu steigern. CDU/CSU fühlen sich hoffentlich weiter daran gebunden; immerhin war es die Bundeskanzlerin, die 2015 verkündete, die deutschen Klima-Hilfen würden bis 2020 verdoppelt, auch wenn bei ihrer Erfüllung getrickst wird. Die SPD geht einen Schritt weiter und fordert, diese Klima-Hilfen müssten zusätzlich zu den Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit kommen – richtig so, denn die Klima-Hilfen sind Teil des fairen deutschen Beitrags bei der Bewältigung des Klimawandels und dürfen nicht von den ohnehin knappen Budgets für Bildung, Gesundheitsfürsorge oder Armutsbekämpfung abgezweigt werden. Die Grünen und die LINKE sehen das ähnlich und fügen die Idee hinzu, die Einnahmen einer möglichen Finanztransaktionssteuer auch zur Unterstützung der armen Länder beim Klimaschutz zu verwenden. Die FDP sagt zu dem Thema wenig, aber man darf skeptisch sein, ob sie nach der Wahl zu einer Speerspitze der Solidarität mit den vom (auch durch deutsche Kohlekraftwerke angeheizten) Klimawandel heimgesuchten Ländern des Globalen Südens würde.

Und jetzt?

Die Bundestagswahl wird so oder so klimapolitisch die Weichen stellen – vom ehrgeizigen Klimaschutz im Geiste von Paris über ein Weiterwurschteln in der Energiewende bis hin zur verantwortungslosen Kehrtwende ist alles drin.

  • Eine (derzeit wohl eher unwahrscheinliche) rot-rot-grüne Bundesregierung könnte – zumindest nach dem, was die Wahlprogramme blumig beschreiben – die Dekarbonisierung Deutschlands zu einem ihrer großen Projekte machen, wobei es kein Geheimnis ist, dass sich Teile der SPD weiter dem letztlich unvermeidlichen Ausstieg aus der Kohlekraft weiter verweigern.
  • Wahrscheinlicher ist ohnehin, dass uns Angela Merkel als Bundeskanzlerin erhalten bleibt. Immerhin: Man kann wohl darauf setzen, dass sie selbst sehr genau weiß, welche fundamentale Bedrohung der Klimawandel für die Welt darstellt, und dass aktiver Klimaschutz unsere Wirtschaft keinesfalls beeinträchtigen, eher noch gewaltig ankurbeln wird. Aber mit ihrer Partei befindet sie sich nun einmal in einem Machtgefüge, das einem alten und eher konventionellen Verständnis von Wirtschaft zugewandt ist. Das steht dem Klimaschutz und einer modernen, klimafreundlichen Form des gesellschaftlichen Fortschritts oft entgegen. Wichtige Impulse könnten daher von möglichen Koalitionspartnern ausgehen. Man darf allerdings vermuten, dass die FDP den Klimaschutz eher weiter auszubremsen versuchen würde – wie sie es etwa in Nordrhein-Westfalen derzeit unternimmt. Die Grünen stünden für das Gegenteil, damit aber vor der Herausforderung, ausreichend Kraft und Einfluss zu entwickeln, um etwa den Wirtschaftsflügel der Union vom Ausstieg aus der Kohle und den übrigen Bausteinen einer Großen Transformation zu überzeugen.
  • Hingegen verhieße eine Fortsetzung der Großen Koalition zwar vertraute Ansätze und Altbekanntes – aber womöglich auch: ein Weiterwurschteln in der Energiewende, viel warme Worte zum Pariser Abkommen und ansonsten in vielen Bereichen fortgesetztes Versagen beim Klimaschutz.

11 Kommentare

Wen wählen? Na klar, die ödp (ökologisch-demokratische Partei), weil sie auf alle Fragen von oxfam eine zukunftsfähig Antwort gibt, unabhängig ist und einen echten Wandel Richtung Klimaschutz, Gemeinwohlökonomie und Postwachstumsökonomie zum Ziel hat und außerdem unabhängig ist (da sie keine Konzernspenden annimmt und keine Aufsichtsratsposten)! Leider wurde sie von oxfam nicht erwähnt, weil sie momentan noch nicht zu den "Großen und Mächtigen" gehört.

Lieber Herrr Dunker,

richtig, unterschiedliche Meinungen gehören zum demokratischen Prozess. Gut so. Genauso gehört dazu, dass wir als Oxfam die Linke in Brandenburg kritisieren, wenn sie eine Abschwächung der bestehenden Klimaziele in Erwägung zieht – und zwar auch dann schon, bevor solche eine Erwägung zu einem Beschluss geworden ist. Der oben verlinkte Artikel der Süddeutschen Zeitung erweckt zudem doch sehr den Eindruck, als sei dieses interne Papier nicht ganz so belanglos, als dass Kritik daran etwa überflüssig wäre. In jedem Fall würden wir es ausdrücklich begrüßen, wenn sich herausstellt, dass die rot-rote Landesregierung an den bestehenden Klimazielen festhält, alle Überlegungen hinsichtlich einer Abschwächung der Ziele begräbt und ansonsten das ihrige dazu beiträgt, dass in spätestens 10-15 Jahren das letzte brandenburgische Kohlekraftwerk vom Netz geht.

Herzliche Grüße,
Jan Kowalzig

Die kleine(re)n Parteien - zumeist unter ferner liefen genannt - kommen immer zu kurz (z.B. ÖDP oder andere Parteien, die sich für Umwelt, Natur- und vor allem für Klimaschutz einsetzen) ...

Das finde ich - ehrlich gesagt - ziemlich u n f a i r und u n g e r e c h t !

Die großen Parteien und deren Wahlprogramme kennt man doch
schon zu Genüge.

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