Mehrere Supermarktketten testen derzeit völlig neue Einkaufskonzepte, welche die Einkaufswelt in Deutschland komplett verändern könnten. Sie geben sich nach außen modern und kundenfreundlich. Hinter den Kulissen drängen die Supermärkte ihren Lieferanten jedoch nach wie vor Knebelverträge auf, drohen sie von ihren Listen zu streichen und zwingen sie bei ihren Preisen in die Knie. Anfang Mai verabschiedete der Bundestag nun ein neues Gesetz gegen solcherart unfairer Handelspraktiken. Deutschland erfüllt damit die Mindestvorgaben der EU. Das neue Gesetz setzt Edeka, Aldi & Co. zwar kaum Schranken, schafft aber eine neue Ombuds- und Preisbeobachtungsstelle, die Hoffnung macht. Das Gesetz und die Ombudsstelle gelten für die gesamte Lebensmittelversorgungskette.
Die guten Nachrichten zuerst
Eine langjährige Forderung von Oxfam hat sich nun erfüllt: Dank der SPD-Fraktion wird mit dem Gesetz eine zukunftsweisende Ombudsstelle eingerichtet, die auch Preise und Produktionskosten beobachten soll. Sie ist komplett unabhängig und nicht weisungsgebunden. Kleinbauern und Arbeiter*innen aus dem globalen Süden und Landwirt*innen aus der EU und aus Deutschland können ihr zukünftig alle unfairen Handelspraktiken und unfaire Preise melden. Die Namen der Informationsgeber*innen bleiben immer anonym. Das ist wichtig, denn es herrscht ein „Klima der Angst“: Lieferanten beschweren sich nicht öffentlich, weil sie berechtigte Angst vor der Auslistung haben. Das Recht, sich bei Verstößen zu beschweren, wird zudem gestärkt, indem bereits die Androhung von wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen als unfaire Handelspraktik eingestuft wird. Die Ombudsstelle kann solche Verstöße an die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) weiterleiten, die Bußgelder von bis zu 750.000 Euro verhängen kann. Die Ombudsstelle kann auf der Grundlage von erhaltenen Meldungen auch selbst anonym Untersuchungen initiieren.
Preiskampf bedroht Existenzen
Die CDU-Landwirtschaftsministerin Heinen-Esser aus NRW schlug im Bundesrat „ein allgemeines Verbot des Einkaufs unter Produktionskosten entlang der gesamten Wertschöpfungskette vor“. Etwas, dass es in Spanien seit Februar 2020 gibt. Der Bundestag hat nun immerhin die Empfehlung des Bundesrats hierzu aufgegriffen und prüft ein Verbot. Die Ergebnisse werden in die Evaluierung nach zwei Jahren einfließen. Es bleibt zudem zu hoffen, dass viele Bauern und Bäuerinnen der Ombudsstelle melden, wenn sie unfaire Preise für ihre Erzeugnisse erhalten. Die Ombudsstelle kann auch selbst Preise und Produktionskosten beobachten und damit mehr Licht ins Dunkel bringen. Wie schwierig die Lage in der Landwirtschaft ist, bleibt nämlich vielen Verbraucher*innen verborgen. Die Erzeugerpreise decken z. B. bei Milch und Bananen nicht ihre Produktionskosten. Viele sehen sich gezwungen, ihre Höfe aufzugeben. Allein im Zeitraum 2010-2016 traf dies in Deutschland auf 23.700 Betriebe und in Ecuador im Zeitraum 2015-2018 auf 26.000 Bananen produzierende Familienbetriebe zu.
Deutschland setzt mit dem neuen Gesetz Vorgaben der EU-Richtlinie 2019/633 zu unfairen Handelspraktiken um und geht in einigen Punkten über diese hinaus. Das ist sicherlich auch das Verdienst von Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner, die ihre ursprüngliche Position überdacht hat. Die Verbotsliste wird in Deutschland um folgende Punkte erweitert:
- Händlern wird verboten, nicht verkaufte Ware ohne Bezahlung zurückzuschicken.
- Lagerkosten des Käufers dürfen nicht mehr auf den Lieferanten abgewälzt werden.
- Folge-Listungsgebühren sind zukünftig nicht mehr erlaubt.
Es ist jedoch für Edeka, Rewe, Lidl & Aldi ein Leichtes, die vorgesehenen Verbote zu umgehen. Lieferanten haben mir berichtet, dass sie teilweise ihre Konditionen bereits angepasst und unter nicht verbotenen Namen neu zusammengesetzt haben.
Die Schlupflöcher der CDU/CSU
Die Supermarktketten (und Lebensmittelkonzerne) können Erzeuger*innen und Lieferanten weiterhin systematisch im Preis drücken und ihnen neue unfaire Handelspraktiken aufzwingen. Anfang 2021 hatte Oxfam eine Knebelliste veröffentlicht, die das Ausmaß ihrer unfairen Handelspraktiken erstmals umfassend deutlich macht. Die CDU/CSU hat die Chance vertan, wichtige Schlupflöcher im Gesetz zu stopfen. Sie hat die Einführung einer Generalklausel und ein Verbot von besonders problematischen Handelspraktiken verhindert. Eine Generalklausel hätte der BLE die notwendige Flexibilität gegeben, um gegen noch nicht beschriebene unfaire Handelspraktiken vorzugehen. Sie ist im Kartellrecht und im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb die Regel, nicht die Ausnahme. Eine Generalklausel wurde nicht nur von 50 Organisationen, sondern auch von der Bauern-Protest-Bewegung „Land schafft Verbindung“ und den Freien Bauern gefordert. Zu den besonders problematischen Handelspraktiken, die von Lieferanten immer wieder genannt werden, gehören Listungsgebühren und Werbekostenzuschüsse jeglicher Art. Gerade sie sind jetzt nicht gesetzlich verboten. Ihre Aufnahme in die Verbotsliste wurde sogar vom Bauernverband, vom Raiffeisenverband und von der Ernährungsindustrie gefordert.
Unbefriedigend ist ebenso, dass das neue Gesetz nicht alle Lieferanten vor unfairen Handelspraktiken schützt. Eine Aufhebung der Umsatzschwellen hätte dies möglich gemacht. Stattdessen hat die CDU/CSU darauf gedrungen, dass nur jene Unternehmen unter den Schutz des Gesetzes fallen, die Milch-, Fleisch-, Obst-, Gemüse- und Gartenbauprodukte inklusive Kartoffeln verkaufen. Voraussetzung ist hierbei, dass ihr Jahresumsatz im jeweiligen Verkaufssegment nicht den Wert von vier Milliarden Euro in Deutschland überschreitet und dass er nicht mehr als 20 Prozent des Jahresumsatzes des Käufers ausmacht. Zwar sind nun Molkereien wie DMK und Fleischkonzerne wie Tönnies vor unfairen Handelspraktiken von Dr. Oetker, Nestlé & Unilever sowie von Edeka, Lidl & Co. geschützt. Nicht geschützt sind jedoch Getreidelieferanten, Mühlen und lebensmittelverarbeitende Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 350 Millionen Euro, weil sie nicht unter die Sonderregel zum Anwendungsbereich fallen. Diese wichtigen Akteure innerhalb der Lieferkette geben den Preisdruck von ihren Abnehmern dann wiederum an die Bauern und Bäuerinnen weiter, die am Ende die Leidtragenden sind.
Was politisch noch zu tun ist
Das neue Gesetz ist nicht geeignet, unmittelbar die Verhandlungsmacht der Bauern und Bäuerinnen gegenüber ihren Abnehmern, Verarbeitern und Händlern zu stärken. Es versetzt sie nicht in die Lage, ein stärkeres Gegengewicht zur Macht der Getreidehändler, Mühlen, Schlachtereien, Molkereien, lebensmittelverarbeitenden Unternehmen und Supermarktketten zu bilden. Die strukturell ungleichen Machtverhältnisse auf dem Markt werden hierdurch nicht geändert. Sie sind auch für die Arbeitsbedingungen maßgeblich. Einer ILO-Umfrage unter 1.454 Lieferanten aus 87 Ländern zufolge waren niedrigere Stundenlöhne für Arbeiter*innen zu beobachten, wenn der Lieferant hauptsächlich von einem Anbieter abhängig war oder wenn der Lieferant sehr groß war. Unfaires Verhalten ist nicht die Ursache des wirtschaftlichen Machtungleichgewichts, sondern die Folge dieses strukturellen Ungleichgewichts. Die Zeit ist reif, eine rechtliche Grundlage für Entflechtungen im deutschen und europäischen Kartellrecht zu schaffen. Sie wäre Bestandteil eines gemeinwohlorientierten Kartellrechts.
Preise müssen Kosten decken
Unfaire Preise sind für Bauern und Bäuerinnen hierzulande und im globalen Süden existenzbedrohend. Ihre Preise müssen die Produktionskosten decken sowie die sozialen und ökologischen Kosten widerspiegeln. Nach der Wahl im September muss die neue Bundesregierung das Thema kostendeckende Preise auf die politische Tagesordnung setzen. Es braucht nicht nur ein Verbot des Einkaufs unterhalb der Produktionskosten wie in Spanien, sondern auch entsprechende politische Rahmenbedingungen in Deutschland und auf EU-Ebene. Eine wichtige Voraussetzung für faire Preise ist beispielsweise, dass strukturelle Überschüsse in der landwirtschaftlichen Produktion vermieden bzw. beseitigt werden. Kostendeckende Preise sind auch zentral, um die Arbeitsbedingungen in Plantagen zu verbessern. Die ILO-Umfrage hat nämlich auch gezeigt, dass Einkäufer, die kostendeckende Preise anboten, mit fast zehn Prozent höheren Löhnen auf Lieferantenebene verbunden waren. Das heißt, die Einkäufer können mit der Zahlung kostendeckender Preise unmittelbar zu höheren Löhnen beitragen.
Es braucht ein solidarisches Miteinander
Das Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz wird nur dann zu langfristig fairen Lieferbeziehungen führen, wenn es mit einer Förderung einer sozialverträglichen und ökologischen Landwirtschaft verknüpft ist. Diese geht einher mit einer solidarischen Regionalisierung der Ernährungssysteme und einer Förderung entsprechender regionaler Wertschöpfung. Der holistische Ansatz der Agrarökologie baut auf den grundlegenden Prinzipien des Ökolandbaus auf. Diese umfassen den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, geschlossene Nährstoffkreisläufe, die Unabhängigkeit der Betriebe von externen Betriebsmitteln und eine faire Verteilung von Mehrwert entlang der Wertschöpfungskette. Agrarökologie fördert ein solidarisches Miteinander von Verbrauchern, handwerklichen Lebensmittelherstellern und bäuerlichen Produzenten bzw. solidarische Vermarktungsnetzwerke. Dafür braucht es auch einheitliche und verbindliche Mindeststandards für die Auslobung und Kennzeichnung regionaler Produkte, um diese verlässlich und besser erkennbar zu machen und damit das Vertrauen der Verbraucher in regionale Lebensmittel zu stärken. So können Märkte entstehen, welche den vielfältigen Anbau der Erzeuger mit existenzsichernden Preisen honorieren.
3 Kommentare
Ich finde das Thema sehr interessant, aber sehr schwer zu verstehen als Laie. Ein paar einfache Beispiele wären z.B. gut.
Vielen Dank für Ihren Kommentar! Die Liste von unfairen Handelspraktiken reicht von Renovierungs- und Expansionsboni über Liefermengenausfallgebühren bis hin zu Ausgleichsrabatt und Ertragsausgleich. Lieferanten müssen also zahlen, wenn der Supermarkt eine Filiale renoviert, sie bezahlen Abschläge, wenn Erträge hinter den Erwartungen des Handels zurückbleiben und wenn Waren nicht vor dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums verkauft sind, müssen sie die Kosten ebenfalls mit übernehmen. Siehe Knebelliste: https://www.oxfam.de/system/files/documents/oxfam_2021_knebelvertrage.pdf.
Wenn Supermarktketten, Lebensmittelkonzerne, Fruchtimporteure, Schlachthöfe oder Molkereien (klein-)bäuerlichen Produzent*innen Süden keine Preise zahlen, die ihre Produktionskosten decken, ist das für uns eine unfaire Handelspraktik. Eine wichtige Forderung von uns war deswegen, ein Verbot des Einkaufs von Lebensmitteln unterhalb der Produktionskosten wie in Spanien einzuführen: Siehe Factsheet: https://www.oxfam.de/system/files/documents/oxfam_spanien_verbot_einkauf_unterhalb_von_produktionskosten.pdf.
Vielen Dank, dass Sie sich so klar auch für echte politische Alternativen und ganzheitlichen Wandel einsetzen. Das macht Oxfam zu einem Hoffnungsträger für mich